Taste The Waste

Jedes fünfte Brot, jeder zweite Salat

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Offensichtlich ist die Welt komplett irre geworden. Zu diesem Eindruck könnte man zumindest gelangen, wenn man sich Valentin Thurns erschütternden Dokumentarfilm Taste The Waste anschaut, der unter die Lupe nimmt, wie wir Menschen mit dem Rohstoff Nahrungsmittel umgehen und welche perversen und vollkommen absurden Mechanismen wir auf diesem Sektor etabliert haben, von denen die meisten von uns nichts wissen. Und dennoch ist es auch der Verbraucher, der eine Mitschuld an dem Dilemma trägt, von dem der Film berichtet: Rund die Hälfte aller Lebensmittel, die tagtäglich produziert werden, landen nicht in unseren Mägen, sondern auf dem Müll. Es ist eine Verschwendung ungeheuren Ausmaßes, die angesichts der Hungersnöte und der weltweiten Armut absurd erscheint und zutiefst ungerecht. Würde man es schaffen, diese Lebensmittel nicht wegzuwerfen, sondern zu verteilen, wäre es ein Leichtes, die Weltbevölkerung zu ernähren – von den logistischen Problemen einmal abgesehen.
Taste the Waste beginnt mit den beiden Österreichern Gerhard und Robert, die "Mülltaucher" aus Überzeugung sind. Sie ernähren sich hauptsächlich von dem, was Supermärkte Tag für Tag auf dem Müll entsorgen, weil die Lebensmittel vielleicht nicht mehr schön genug ausschauen, obwohl sie noch vollkommen einwandfrei und unbedenklich zu verzehren sind. Ähnliches weiß auch der Landwirt Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf aus Spenge in Westfalen zu berichten, der die Hälfte seiner Kartoffeln nicht ernten kann, da sie entweder zu klein oder zu groß für die entsprechenden Normen sind, wobei auch sie ohne jede Gefahr essbar wären. Dies sind nur zwei Beispiele und noch nicht einmal die erstaunlichsten aus einer Vielzahl ähnlicher Fälle, die Valentin Thurn rund um den Globus in akribischer Detektivarbeit zusammengetragen hat. Ebenso geht es um Gurken, die nicht den richtigen Krummheitsgrad passen und deshalb auch vom Konsumenten nicht gekauft werden, es geht um Tomaten, deren Rot nicht in die normierten Farbskalen passt und deshalb entsorgt werden. Es geht um die Anspruchshaltung der Kunden und die Richtlinien vieler Supermärkte, die auch noch am Abend ein prall gefülltes Brotregal erwarten und dabei billigend in Kauf nehmen, dass nach Ladenschluss ein Gutteil der Ware auf dem Müll landet.

Die Überproduktion und das daraus entstehende Maß an Verschwendung ist aber nicht nur moralisch höchst fragwürdig, sondern schädigt auch die Umwelt massiv. So sei die Landwirtschaft für mehr als ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich, heißt es in dem Film. Zusätzlich entweicht durch das Verrotten achtlos weggeworfener Lebensmittel auf der Müllkippe Methangas, das bei der Erderwärmung 25-mal so stark wirkt wie Kohlendioxid. Zudem verschärft der Lebensmittelhandel mit seinem rigorosen Vorgehen den Kampf zwischen Arm und Reich auf dem Weltmarkt für Nahrungsmittel und sorgt durch Spekulationen dafür, dass sich die Menschen in den ärmeren Regionen der Erde vieles von dem, was wir achtlos wegwerfen, selbst dann nicht leisten könnten, wenn es bis zu ihnen gelangen würde. Es ist wie gesagt ein System, das auf Ungleichheit, Ausbeutung und Verschwendungssucht basiert – und wir alle sind ein Teil dieses Systems.

Dass es auch anders geht, zeigen die vielen Beispiele, die Valentin Thurn in Taste The Waste ebenfalls zusammengetragen: Felicitas Schneider etwa ist Müllforscherin am Institut für Abfallwirtschaft der Universität Wien, ihre Exkursionen in das, was man in den Mülltonnen der Supermärkte vorfindet, öffnet einem wahrlich die Augen für das ganze Ausmaß der Verschwendung. Oder Roland Schüren, der weggeworfene Brote als Brennmaterial für seine eigene Bäckerei verwendet, um so wenigstens noch einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz durch eine sinnvolle Verwendung der täglichen Überproduktion zu leisten. Auch wenn es nur verschwindend geringe Akte des Widerstands gegen das System sind – sie machen Mut darüber nachzudenken, wo jeder Einzelne im eigenen Umfeld bewusster mit den Auswüchsen unserer Überflussgesellschaft umgehen kann.

Allerdings – und das ist ein kleiner Wermutstropfen bei dem Film, der aber wahrscheinlich der Kinotauglichkeit geschuldet ist - vermisst man bei der Unmenge an Fakten des öfteren Quellen und Belege für die erschreckenden Zahlen, die hier immer wieder genannt werden.

Stellenweise merkt man dem Film auch an, dass Valentin Thurn sich zuvor bereits ausführlich mit dem Thema in TV-Beiträgen beschäftigt hat, ästhetisch und insbesondere durch die Schnittfolgen wirkt das Ganze sichtbar an den Kriterien und Standards von TV-Dokumentationen ausgerichtet, was aber dem Informationsgehalt und der impliziten Drastik von Taste The Waste keinen Abbruch tut

Aus dem faktenreichen Film ist übrigens auch ein Buch entstanden, wie dies auch bei anderen Dokumentarfilmen ähnlichen thematischen Zuschnitts der Fall war. Es trägt den Titel Die Essensvernichter und wurde von Valentin Thurn gemeinsam mit Stefan Kreutzberger geschrieben. Beides, der Film und das Buch sind eine ganz konkrete und sehr erschreckende Handlungsanweisung, die man eigentlich jedem Verbraucher als Pflichtlektüre anraten müsste.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/taste-the-waste