Die Ausbildung

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Wenn der Personalchef sogar mit den Azubis per Du ist und in der Kantine ein Bio-Gericht bestellt - dann befinden wir uns mitten in der modernen Arbeitswelt. Die erscheint nach außen soft wie ein Wellness-Bad, ist aber in Wahrheit härter als ein Steinbruch, wie Dirk Lütter in seinem beängstigend realistischen Spielfilm-Debüt nachweist.
Man muss es eigens betonen: Dies ist keine Dokumentation, sondern eine gut recherchierte, durch Gespräche mit Betriebsräten und Mobbingopfern unterfütterte Spielhandlung. Und zwar eine, die so oder so ähnlich an tausend anderen Orten ablaufen könnte, in Versicherungsbüros, Bankfilialen oder Marketingagenturen. Nur die strenge Stilisierung der meist unbewegten Bilder mit ihren langen Einstellungen und symmetrischen Kompositionen macht deutlich, dass es sich nicht um abgefilmte Realität handelt. Sondern um eine Kunstform, die durch ihre distanzierte Bildsprache umso eindringlicher die Entfremdungseffekte eines unmenschlichen Wettbewerbsdrucks offen legt.

Die Geschichte handelt von Jan (Joseph K. Bundschuh), einem Zwanzigjährigen aus kleinbürgerlicher Familie, der sein letztes Lehrjahr absolviert und um jeden Preis übernommen werden möchte. Der junge Mann ist dabei kein Unsympath, sondern ein introvertiertes Rädchen im Getriebe, das es allen recht machen will. Der Druck, der auf ihm lastet, findet nur im aggressiven Fahrstil ein Ventil. Und so kann man es dem jungen Mann nicht wirklich übel nehmen, dass er seine Teamleiterin beim Personalchef anschwärzt.

In einem Inszenierungsstil, der in seiner Unemotionalität an die "Berliner Schule" erinnert, lässt Dirk Lütter die heuchlerischen Strukturen der modernen Personalführung umso drastischer hervortreten. Wo eine Kritik die Lebensgrundlage bedroht, spricht man von "Feedback". Wo eine Kündigung ansteht, möchte man "eine gemeinsame Lösung finden". Die große Duzgemeinschaft ist unter dem Kostendruck längst in eine Dreiklassengesellschaft gespalten. Die wenigen, die noch einen unbefristeten Vertrag haben, müssen fürchten, schon bald von Leiharbeitern verdrängt oder von "Befristeten" gemobbt zu werden.

Die Ausbildung schlägt keine propagandistischen Töne im Stil des Aufklärungskinos aus den 1970er Jahren an. Dirk Lütter hält sich aber an die gute alte Erkenntnis, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Folglich ist nicht das Böse im Menschen für die unmoralischen Verhältnisse verantwortlich. Sondern menschenfeindliche Strukturen zwingen zu egoistischen Handlungen. Der leise, zurückgenommene Film prangert weder Jan noch den Personalchef persönlich an. Er zeigt sie als Gefangene in einem System, das ihnen wenig Alternativen lässt, wenn sie selber überleben wollen.

Ganz im Stile der "Berliner Schule" kommt es Dirk Lütter darauf an, Dinge zu beschreiben, auch wenn sie quälend sind. Das verleiht seinem Film eine bestechende, glasklare Konsequenz. Im Unterschied zu anderen Filmen dieser minimalistischen Machart gönnt er dem Zuschauer jedoch manchmal eine Prise Humor. Fein dosiert zwar, dadurch aber umso geschmackvoller.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-ausbildung