Süßes Gift

Die Probleme Afrikas mit der Entwicklungshilfe

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

In manchen afrikanischen Dörfern sind die Menschen daran gewöhnt, dass das Essen vom Himmel fällt. Dürreperioden lassen nicht nur traditionell nomadische Hirtenvölker hungern, die Erträge afrikanischer Bauern sind insgesamt zu gering, um die Bevölkerung zu ernähren. Also werfen Hilfsorganisationen in einigen Regionen nicht nur vorübergehend Maissäcke aus Flugzeugen ab. Diese ursprünglich als Nothilfe gedachten Nahrungsspenden aber degradieren die Menschen zu Bettlern und lähmen die Eigeninitiative. In Peter Hellers Dokumentarfilm ziehen viele afrikanische Gesprächspartner des Regisseurs insgesamt eine recht kritische Bilanz von rund 50 Jahren Entwicklungshilfe.
Seit dem Ende der Kolonialherrschaft wurden rund 600 Milliarden US-Dollar an Hilfsmitteln nach Afrika gebracht, aber im subsaharischen Teil wächst die Armut. Das führt zu noch mehr Entwicklungshilfe – ein Teufelskreis, sagen einheimische Kritiker wie ein Wirtschaftsjournalist, ein Ökonomieberater und Mitarbeiter verschiedener Initiativen, die nach neuen Rezepten und Wegen aus der Dauerkrise der ländlichen Bevölkerung suchen. Diese Kritiker thematisieren nicht nur das Interesse des Apparats ausländischer Hilfsorganisationen mit seinen rund 40.000 Personen auf dem Kontinent, sich selbst zu erhalten. Sie benennen auch die hausgemachten Probleme wie Korruption oder fehlende staatliche Investitionen in die Landwirtschaft.

Heller, der seit vielen Jahren Dokumentarfilme in und über Afrika dreht, bezieht mit der Wahl seiner Interviewpartner und den Fallbeispielen über gescheiterte oder wenig erfolgreiche Entwicklungsprojekte deutlich Position. Keines seiner Beispiele bleibt jedoch widerspruchsfrei und Patentrezepte oder nur bessere Alternativen haben die Kritiker meistens auch nicht. So wenig objektiv, transparent und schlüssig die Aufarbeitung der Thematik an vielen Stellen auch wirkt, liefert der Film dennoch einen interessanten Beitrag zur Diskussion, ob die am Vorbild der Geberländer orientierten Hilfsprojekte noch zeitgemäß sind. Ihr größtes Plus bezieht die Dokumentation aus ihrer Langzeitanalyse dreier Projekte in Kenia, Tansania und Mali, die sie mit Originalaufnahmen aus ihren Jahrzehnte zurückliegenden Anfängen anreichert.

In der Region Manantali in Mali wurde in den 1980er Jahren von westlichen Unternehmen ein gigantischer Staudamm gebaut, als Stromlieferant nicht nur für Mali, sondern auch für Mauretanien und Senegal. 30 Dörfer wurden umgesiedelt und man versprach den Bauern Anschluss an die Stromversorgung und bewässertes Land für den Reisanbau. Heute aber sitzen die alten Leute resigniert vor ihren Hütten unter den Fernleitungen: In ihren Dörfern gibt es keinen Strom und ihr Mais- und Hirseanbau wirft nicht genug ab, um die Menschen satt zu kriegen. Junge Männer, die am Rande jenes Entwicklungsprojekts eine handwerkliche Ausbildung bekamen, um sie zur Gründung eigener lokaler Betriebe zu befähigen, zogen danach jedoch lieber weit weg, um sich eine Stelle zu suchen.

In Kenia widmete sich ein Projekt dem Ziel, aus Hirten, deren Rinder- und Ziegenherden der Dürre zum Opfer gefallen waren, sesshafte Fischer am Ufer des Turkana-Sees zu machen. Fische gibt es in dem großen Gewässer bis heute genug, doch die Nomaden setzten ihr neues Einkommen wieder in den Erwerb von Tierherden ein, die ihre Existenz auf Dauer nicht sichern konnten. Außerdem setzten die norwegischen Entwicklungshelfer eine gigantische Tiefkühlfabrik an das Seeufer, die ihren Betrieb nach kurzer Probezeit einstellen musste, weil es weder sauberes Wasser noch Strom gab. Dennoch sehnen sich viele Dorfbewohner nach der Rückkehr der europäischen Entwicklungshelfer – und bekommen in der Gegenwart eine neue Perspektive dank eines kenianischen Fischexporteurs, der die leerstehende Fabrik nutzen will.

In Tansania scheiterte das Projekt einer Kooperative, die den Baumwollanbau nach westlichem Vorbild mit chemischem Dünger und teuren landwirtschaftlichen Maschinen intensivierte, am Verfall der Weltmarktpreise. Die Vertragsbauern eines tansanischen Bio-Baumwolllieferanten im Meatu-Distrikt sind hingegen zufrieden: Sie bekommen eine Abnahmegarantie für die Ernte. Schließlich fordert jemand, sich auch auf das bäuerliche Know-How des Kontinents zu besinnen. Wenn es aus diesem kontroversen Film mit seinem allzu weitgreifenden Thema eine relativ sichere Erkenntnis gibt, dann diese, dass die Adressaten moderner Entwicklungshilfe darin gefördert werden sollten, den Weg zu gehen, der ihnen selbst am besten entspricht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/suesses-gift