The Broken Circle (2012)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Tätowierungen sind für die Ewigkeit – oder vielleicht doch nicht? Elise (Veerle Baetens) jedenfalls kennt sich damit aus: Über und über ist ihr Körper mit Bildern bedeckt und fast alle von ihnen erzählen etwas über ihr Leben, über die Euphorie der Liebe und die fast zwangsläufig folgenden Enttäuschungen. Irgendwann einmal wird sie dem Bluegrass-Musiker Didier (Johan Heldenbergh) erzählen, dass sich unter manchen ihrer Tattoos der Name eines verflossenen Liebhabers verbirgt, dessen Name nach dem Ende der Liebe getilgt wurde – schließlich ist sie selbst Tätowiererin. Aus den beiden wird ein leidenschaftliches Liebespaar und alles scheint sich zum Guten zu wenden, als schließlich ihre Tochter Maybelle auf die Welt kommt. Dann aber bekommt das Mädchen im Alter von sieben Jahren(Nell Cattrysse) Krebs und plötzlich stellt sich das Glück wieder einmal als allenfalls kurzfristiger Moment heraus, dem zwangsläufig ein Unglück folgen muss. Und weil sich manche Geschichten nicht so leicht ausmerzen lassen wie die Namen vergangener Lieben, weil sie sich tief in die Seele eines Menschen eingeschrieben haben, droht die Beziehung von Elise und Didier an dem grausamen Schicksal ihres Kindes zu zerbersten.

Nicht chronologisch, sondern in Ellipsen und wilden Zeitsprüngen erzählt The Broken Circle vom Entstehen und Vergehen der Liebe, von kurzen Momenten des Glücks und bitteren Stunden. Die allgegenwärtige Bluegrass-Musik bildet dabei die Klammer für den wilden Parforce-Ritt durchs Reich der Gefühle, sie ist Ausgangspunkt der Liebe zwischen Elise und Didier, bietet Trost und Schutz, wird zum Ventil ihrer Leidenschaft und nimmt so neben den Hauptpersonen eine zentrale Rolle ein, die dem Film seinen ganz eigenen Ton gibt und die ihn unverwechselbar macht.

The Broken Circle ist kein Film, der Gefangene macht – dies gilt weder für die Figuren, die so viel erleiden müssen, noch für den Zuschauer, der dem Ansturm von Schicksalsschlägen und großen Emotionen nahezu schutzlos ausgeliefert ist. Vielmehr setzt Felix van Groeningen alles auf die Karte Emotion und reizt seine reichlich vorhandenen Trümpfen selbstbewusst und gekonnt aus: Hinreißende Schauspieler, wundervolle Musiknummern, allesamt von den Darstellern selbst mehr als nur gekonnt dargeboten, dazu Krankheit und Tod, Liebe und Verlust, Trauer und ein klein wenig Verrücktheit – all das verknüpft der Film höchst gekonnt zu einem schillernden Teppich der Gefühle, der garantiert kein Auge trocken lässt. Und all das, ohne dass der Film den schmalen Grat zum Kitsch streifen würde. Wobei allerdings die Szene am Grab von Maybelle da eine – wenngleich zutiefst ergreifende – Ausnahme bildet. Spätestens hier wird klar: Wer jetzt nicht Rotz und Wasser heult, der hat entweder kein Herz und/oder sollte ernsthaft darüber nachdenken, ob er/sie jemals zur Gründung einer (wie auch immer zusammengesetzten) Familie taugt.

Selbst der einzige Wermutstropfen, die etwas aufgesetzt wirkende Metaebene, in der über die Chancen und Risiken der Stammzellenforschung räsoniert wird, kann den unglaublich starken und tiefen Eindruck, den dieser Film hinterlässt nicht schmälern – im Gegenteil. Vielmehr verdeutlicht nämlich diese kleine Unstimmigkeit, mit welch enormem Talent van Groeningen gesegnet ist. Das konnte man bereits bei seinem Erstling Die Beschissenheit der Dinge (2009) bewundern, dem gegenüber The Broken Circle nochmal eine klare Steigerung darstellt. Und wenn man berücksichtigt, welche ungeheure Wucht sein neuer Film trotz minimaler Macken entfaltet, dann muss einem ganz schwindelig werden vor lauter Vorfreude auf seinen nächsten Film. Ohne Zweifel ist Felix van Groeningen eines der ganz großen Talente des jungen belgischen und europäischen Kinos. Sein neuer Film The Broken Circle müsste eigentlich auch in den deutschen Kinos einschlagen wie eine Bombe. Man wünscht sich nicht nur dies ganz dringend, sondern auch, dass andere Filmemacher (auch deutsche) van Groeningens Mut zum großen Gefühl folgen. Das Publikum, so bin ich mir ganz sicher, wäre dankbar dafür.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-broken-circle-2012