Zulu

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Vergeben oder vergelten?

Schon bevor Jerome Salle mit seinen Largo Winch-Filmen erfolgreich war, erhielt er aus den USA immer wieder Angebote, Filme zu inszenieren. Häufig waren es Rachegeschichten, die man ihm unterbreitete, aber die interessierten ihn nicht. Zu plump, zu simpel, zu dumm erschienen sie ihm. Stattdessen las er Caryl Fereys Roman Zulu und fand darin eine Geschichte, die er verfilmen wollte. Eine Geschichte, die von Vergebung handelt, aber mit Vergeltung endet.
Ali Sokhela (Forest Whitaker) untersucht mit seinen Leuten Brian Epkeen (Orlando Bloom) und Dan Fletcher (Conrad Kemp) den Mord an einer jungen Frau. Nach scheinbar einvernehmlichem Beischlaf wurde sie erschlagen. Ihre Leiche fand man im botanischen Garten. Da die Obduktion ergibt, dass sie die neue Designerdroge Tik genommen hat, wird im entsprechenden Milieu ermittelt. Doch die Hintergründe dieses Mordes reichen weit tiefer. Sie führen zurück in die Vergangenheit, in die Zeit des Apartheid-Regimes, dessen Drahtzieher im Zuge der Wahrheits- und Versöhnungskommission straffrei davon gekommen sind. Sokhela und Epkeen, die beide von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht werden, ermitteln, haben aber keine Ahnung, in welches Wespennest sie damit stechen.

Salle interessiert sich für dieses neue Südafrika, das ohne blutige Revolution, aber dafür mit langsamer Evolution zu einem Punkt gekommen ist, an dem Schwarze und Weiße miteinander leben. Dafür mussten die Opfer den Tätern vergeben, die Täter aber auch um Vergebung bitten. In einem Land der krassen Unterschiede, der Reichen und der Armen, der Verlierer und Gewinner ist die Vergangenheitsbewältigung ein sich durch alle Schichten ziehendes Thema, das in Zulu en passant eingewoben wird, vor allem aber auch davon profitiert, dass Salle als Ausländer den Blick von außen wagen kann, während er zugleich mit einer fast vollständigen südafrikanischen Crew gearbeitet hat, die ihm vor Augen führte, wie es um den momentanen Status der Gesellschaft eigentlich bestellt ist.

Zulu ist dabei kein dröges Drama, sondern ein mitreißender Thriller, der auch davon lebt, am Beispiel seiner zwei Hauptfiguren ein Land zu porträtieren, das innerlich zerrissen ist und noch einen langen Weg hat, bis es vollends geheilt ist. Noch leben die Generationen, die die Apartheid miterlebt haben, noch sind die Ressentiments, die sich daraus ergeben, vorhanden. Davon geprägt sind auch die beiden Hauptfiguren. Brian, der seinem Vater, einem vor Jahren verstorbenen, strammen Nationalisten, nicht vergeben kann und ihm sogar die namentliche Nennung auf dem Grabstein verweigert, und Ali, der körperlich so sehr Schaden genommen hat, dass er seelisch darunter zerbrach.

Der eine ist ein Wrack, das trinkt, rumhurt, dem Sohn entfremdet und von der Frau verlassen worden ist, der andere ein unter Insomnie leidender Mann, der im Leben kaum etwas anderes als seine Arbeit hat. Sie sind einsame Wölfe in einer Stadt, in der das Verbrechen wie ein Krebsgeschwür wuchert. Was wie Chiffren typischer Polizeifilme anmuten könnte, wird in den fähigen Händen von Forest Whitaker und Orlando Bloom Schauspielgold. Sie sind es, die den Zuschauer in die Geschichte hineinziehen, es ist ihre emotionale Reise, an der man inbrünstig teilhaben will. Es ist auch der ständig drohende Absturz, der Zulu so packend macht, der Kampf mit der eigenen Moral, der mit der Frage einhergeht, wann es genug ist, wann Vergebung nicht länger gegeben, sondern durch kaltblütige Rache ersetzt werden muss.

Jerome Salle zeigt in Zulu nicht das Südafrika, das Touristen kennen. Er geht in die Ghettos, in die dreckigen Gegenden, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekommt. Bei Zulu ist Südafrika so etwas wie der geheime Hauptdarsteller, der mindestens so wichtig wie die beiden Ermittler ist. Das Schicksal dieses Landes hängt über allem, wie ein Damoklesschwert, das jeden Moment fallen könnte. Ein bisschen ist es wie die Ruhe vor dem Sturm. Das Apartheid-Regime ging nicht in Blut und Feuer unter, es war keine Revolution, sondern eine Evolution, die stattfand. Aber einem solchen Zustand ist auch immer inhärent, dass er kippen kann. Zulu lebt von der Veränderung, im Kleinen wie im Großen, aber er zeigt exemplarisch an seinen beiden Hauptfiguren, dass die Vergangenheit niemals abgeschlossen ist – und dass der Weg in die Zukunft nicht zwangsläufig friedlich, sondern auch blutig begangen werden kann, wenn die Leidensfähigkeit eines Mannes, ja einer ganzen Gesellschaft, überschritten wird.

Zulu

Schon bevor Jerome Salle mit seinen „Largo Winch“-Filmen erfolgreich war, erhielt er aus den USA immer wieder Angebote, Filme zu inszenieren. Häufig waren es Rachegeschichten, die man ihm unterbreitete, aber die interessierten ihn nicht. Zu plump, zu simpel, zu dumm erschienen sie ihm. Stattdessen las er Caryl Fereys Roman „Zulu“ und fand darin eine Geschichte, die er verfilmen wollte.
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Meinungen

Lisa · 17.04.2014

Prädikat besonders wertvoll?
Ich fasse es nicht...muss man wirklich andauernd solch brutale Gewaltszenen im Kino zeigen?

Simon · 16.04.2014

Der Film ist nicht sehenswert. Die Filmproduzenten geben sich immer öfter keine Mühe, sich eine ordentliche Handlung auszudenken. Stattdessen gibt es eine Aneinanderreihung von brutalsten Gewaltszenen. Wirklich enttäuschend!

hellerleuchter · 15.01.2014

Knallharter Gangsterdrogenthriller um die neue und hochgefährliche synthetische Droge Tik, die mit der Tochter eines Rugbytrainers (nicht Spieler) ein prominentes Opfer gefunden hat. Orlando Bloom als ein vom Leben zerfressener aber effizient agierender Bulle hat jedwedes Elbenkostüm weit hinter sich gelassen. Er prügelt, tötet und schert sich einen Dreck um Vorschriften und Regeln. Ungepflegt, mit Siebentagebart und nach Alkohol stinkend versucht er zudem noch, die Verbindung zur Exfrau und dem gemeinsamen Sohn nicht zu verlieren. Als absoluten Counterpart findet sich Forest Whitaker als Zulu und Captain der Polizeieinheit wieder. Vom Leben gezeichnet, als Kind verstümmelt und unglaublich einsam sind nur sein Job und seine Mutter als Haltepunkte greifbar. Gemeinsam lösen sie die verzwickte Geschichte, die weit in die dunkle Zeit der Apartheit zurück reicht.

Der Film zeigt ungeschminkte Bilder, auf denen medizinische Versuche an Menschen, brutale Morde und abgrundtiefe Verzweiflung, zumeist ohne Schwenk dem Zuschauer aufgezwungen werden. Dermaßen brutales Gangsterkino habe ich schon lange nicht mehr gesehen und eine FSK 16 ist hier IMHO mindestens angeraten.

Jérôme Salle hat mit wahrhaft großer Kunst und phantastischer Ensemblelleistung einen schier unfassbaren Film geschaffen. Das Ergebnis hat unbedingt Platz auf der Leinwand verdient und sollte fleissig diskutiert werden. Dennoch ist zu befürchten, dass er am Kino vorbeiproduziert worden ist. Denn ohne entsprechendes und vor allem breit aufgestelltes Marketing in den Medien und einer erläuternden Auffangbotschaft für die paralysierten Kinobesucher nach dem Film, wird das Projekt wohl scheitern.

Trotz der Brutalität, die niemals als reisserisches Schockelement dient sondern die Dinge zeigt, "wie sie wohl sind", taugt der Film für Oberstufenschulkino. Und zwar insbesondere im Jahr 1 nach Mandela!

Gesehen am 14.01.2014 in München