Zen for Nothing

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Dem Sojakäse beim Dampfen zusehen

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ (Theodor W. Adorno) „Zen bringt überhaupt nichts“, warnt Abt Muho Nölke, ein gebürtiger Berliner, seine Jünger von Beginn an. Warum kommen sie dann überhaupt so zahlreich zu ihm in das abseits gelegene Zen-Kloster? Nölke ist der einzige nicht gebürtige Japaner, der das Amt des Zen-Meisters weltweit innehat. In Antaiji leitet er seit 2002 mit eigensinnigem Elan die kleine, relativ autark lebende Gemeinschaft im Geiste des Zen-Meisters Kodo Sawaki (1880-1965). Ein Zen-Kloster ist im Grunde schon ein paradoxer Ort, das wird in Werner Penzels äußerst reduzierten, sehr meditativen Blick schnell klar: Denn im Leben der Protagonisten scheint sich das urromantische Diktum von Novalis („Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause.“) eben noch nicht in die post-postmoderne Variante umgewandelt zu haben: „Wo gehen wir denn hin? Immer zur Arbeit.“ Sie alle wollen hier zu sich selbst finden. Aber in der Gemeinschaft, das ist das nächste Paradoxon des Films. Einerseits werden so in Penzels Sichtweise die scheinbaren Vorzüge einer nach innerer Ausgeglichenheit strebenden Lebensform angepriesen. Andererseits werden eben jene scheinbaren Vorteile im nächsten Moment – auf narrativer Seite betont zurückgenommen und in den besten Szenen nicht frei von Humor – wertfrei zur Disposition gestellt.
Von ehrlichen Sinnsuchern und abgefallen Glücksrittern hätte Zen For Nothing in diesem Sinne auch durchaus heißen können. Fokussiert auf einen ganz besonderen Ort: Das einsame, Zen-Kloster Antaiji an der japanischen Westküste ist nicht gerade ein historischer Pilgerort wie er in manchen Reisebüchern dieser Welt steht, dagegen aber schon seit längerem ein angesagtes Zufluchts- wie Rekreationsdomizil für Menschen aus verschiedenen Nationen und Kulturen. Sie suchen vor allem den mythisch beschworenen Zen-Geist aus uralten Zeiten, der seit gefühlten Ewigkeiten in die Matrix der japanischen Mentalität eingebrannt zu sein scheint. „Zu sich selbst kommen“, „wirklich loslassen können“ sind im ersten Moment vielleicht banal klingende Zen-Elemente, die sich jedoch zum Teil gerade bei europäischen Sinnsuchern vermehrter Aufmerksamkeit erfreuen: Einfach einmal das eigene Leben einen endlos lang gezogenen Moment hinter sich lassen, neu anfangen, nach vorne blicken und dabei die vermeintlich wahrste Wahrheit finden.

Das klingt einfach sehr verlockend, nicht nur für Sabine Timoteo (Gespenster, Driften). Der Regisseur Werner Penzel (Step Across The Border, Middle Of The Moment) hat dafür die renommierte Schweizer Schauspielerin auf ihrem sehr persönlichen Glücksweg monatelang und durch die Jahreszeiten hindurch mit der Kamera begleitet. Viel mehr noch: Zusammen mit seiner japanischen Lebensgefährtin Ayako Mogi (Ton), haben die beiden das ganze Projekt Zen For Nothing – das sich online zum Teil auch in Hörspielvideos- oder Outtakes weiterverfolgen lässt – von Grund auf entwickelt.

Dass dabei unterm Strich keinesfalls 100 Minuten Leere entstanden sind, hängt in erster Linie mit der Behutsamkeit der Regie, die auf lange, beinahe regungslose Einstellungen setzt, und mit der teilweise kongenialen Ton-Montage durch den music wizard Fred Frith zusammen, der schon mehrere Sally-Potter-Filme als OST-Mastermind verantwortete oder auch durch seine Zusammenarbeit mit Thomas Riedelsheimer (z.B. in Rivers and Tides) und Michael Klier (Ostkreuz) internationale Aufmerksamkeit erregt hatte. Auf diese Weise entwickeln Penzels mächtig konzentrierte Bilder ein noch spannenderes Innenleben: Tee-Koch-Zeremonien werden zu einem synästhetischen Rundumerlebnis, unterbrochen nur durch Passagen landwirtschaftlicher Arbeit auf dem Reisfeld, und Meditationspassagen weniger fremdartig. Genau diese Dinge stehen nämlich auf dem jeweiligen Tagesprogramm. Gemeinsame Mahlzeiten – selbstverständlich ohne Tischgespräche – strukturieren des Weiteren den Lebensrhythmus jener außergewöhnlichen, insgesamt recht vielsprachigen Zen-Gemeinde. Zudem gibt es hier, im krassen Gegensatz zu viel strengeren Zen-Klöstern, Männlein nebst Weiblein ebenso selbstverständlich wie WLAN. Sake trinken oder Zigarettenqualm? Beides wird grundsätzlich toleriert. Und wenn einer der Zen-Jünger mit dem E-Bass zur eigenen Erleuchtung los jammen will, ist das genauso wenig ein Problem. Barfuß-durchs-Leben-zu-gehen wird hier wörtlich genommen: Ruhig beobachtend, sehr genau eingefangen von Penzels Kamera. Das weckt sofort Neugierde bei einem unvoreingenommenen Kino-Publikum – und verschreckt Zuschauer, die sich womöglich eine locker-flauschige Wellness-TV-Reportage erwartet hatten: Konzentration ist hier alles.

Zen bedeutet schließlich vom Wortsinn her nicht mehr, aber auch nicht weniger, als „Geradeaus-Weitergehen“: Das Zen-Leben gleicht dementsprechend einem beständigen Fluss, Enttäuschungen, gar Rückschläge werden darin als tiefgreifende Befreiungselemente angesehen. Einen echten Missionsgedanken, den sich in der oberflächlich-popkulturellen Variante einst Madonna oder Richard Gere auf die Fahnen geschrieben hatten, gibt es aber an keiner Stelle. Davon erzählt Werner Penzels Zen For Nothing ebenso. Auch monotheistische oder anderweitige Gottes- wie traditionelle Schöpfungsbegriffe werden innerhalb der hölzernen Klostermauern mehrheitlich abgelehnt: Sie würden ja bloß von der stundenlangen, dann auch wirklich schmerzhaften Sitzmeditation in der „Zazen-Methode“ ablenken …

Dabei begleitet Penzels Konzeptfilmgestus sowohl das Erlernen korrekter Verbeugungsrituale wie das angemessene Verhalten innerhalb der Meditationshallen des eigenständigen Zen-Klosters Antaiji. Dem Filmemacher-Haudegen Werner Penzel, einem Ex-Krautrock-Musiker und passionierten Weltenwanderer, der sich schon in den 1960ern Jahren der Regie wie dem Gedichteschreiben zuwandte und der 1978 das erste Mal selbst in einem Zen-Kloster lebte, ist mit Zen For Nothing eine angenehm unaufdringliche, mitunter geradezu kontemplative Dokumentarfilmarbeit über die Kraft des Nichts gelungen: Im Subtext verhandelt sie nichts weniger als den (Un-)Sinn des Lebens, was auch immer das im Einzelfall sein mag, eben je nach Zuschauerstandpunkt. Ist das Ganze also nur ein neo-spiritueller New-Age-Hokuspokus – oder im Grunde doch eine extrem reduzierte Selbst(er)findungskultur? Entscheiden Sie selbst: Denn es ist Ihr Leben – und das lässt sich ändern.

„Du musst dein Leben ändern.“ (Peter Sloterdijk)

Zen for Nothing

„Zen bringt überhaupt nichts“, warnt Abt Muho Nölke, ein gebürtiger Berliner, seine Jünger von Beginn an. Warum kommen sie dann überhaupt so zahlreich zu ihm in das abseits gelegene Zen-Kloster? Nölke ist der einzige nicht gebürtige Japaner, der das Amt des Zen-Meisters weltweit innehat. In Antaiji leitet er seit 2002 mit eigensinnigem Elan die kleine, relativ autark lebende Gemeinschaft im Geiste des Zen-Meisters Kodo Sawaki (1880-1965).
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