Zeit des Zorns

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Jagdszenen im Iran

Ali (Rafi Pitts) wurde vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen. Nun muss er froh sein, überhaupt eine Stelle bei einem Sicherheitsdienst zu bekommen. Da er aber aufgrund seines Gefängnisaufenthaltes als tendenziell unsicher gilt, wird ihm die Nachtschicht zugeteilt, was bedeutet, dass der schweigsame Mann und passionierte Jäger seine Frau Sara (Mitra Hajjar) und seines sechsjährige Tochter Saba (Saba Yaghoobi) kaum noch zu Gesicht bekommt. Und diese Einsamkeit und Isoliertheit, sie wird für diesen Mann zum alles beherrschenden Gefühl, falls sie dies nicht sowieso schon immer war.
Als er eines Tages vom Dienst nach Hause kommt, sind Sara und Saba weg. Zunächst erscheint ihm dies nicht ungewöhnlich, doch als sie stundenlang nicht zurückkehren macht er sich Sorgen. Schließlich wendet er sich an die Polizei, wo er zunächst stundenlang verhört wird und man ihm seltsame Fragen stellt, bis man mit der Wahrheit herausrückt: Sara geriet durch Zufall in einen Schusswechsel zwischen der Polizei und aufrührerischen Elementen und wurde getötet. Über Saba ist allerdings nichts bekannt. Ali macht sich auf die Suche nach seiner Tochter, sie ist sein letzter Strohhalm, doch es nutzt nichts. Am Ende wird auch sie tot aufgefunden und wieder muss er zur Identifizierung ins Leichenschauhaus.

Der Verlust der Tochter und Alis Ohnmacht sind der Katalysator für eine Wut, die vermutlich schon lange in ihm gärt. Er macht nun das, was er am liebsten macht: Auf die Jagd gehen. Aber nicht auf Tiere, sondern auf Menschen. Mit seinem Gewehr platziert er sich auf einer Anhöhe oberhalb der Stadtautobahn, nimmt einen Polizeiwagen ins Visier und drückt ab. Danach flieht er in die Wälder, in denen er sonst immer jagen geht. Und weil sich die Polizei schnell an seine Fersen heftet, wird nun Ali selbst zum Gejagten, der schließlich von zwei Polizisten gestellt und verhaftet wird. Doch statt ihn der Staatsgewalt auszuliefern, will einer der beiden an ihm ein Exempel statuieren, schließlich hat er einen der Ihren umgebracht…

So atemlos sich der Inhalt des Filmes auch anhören mag – Rafi Pitts schildert dies alles eher zäh und betulich und baut stattdessen auf teilweise ziemlich verklausulierte und dann wieder recht platte Metaphern, die den Iran als ein Land am Rande des Bürgerkriegs schildern. Auf der einen Seite die arrogante und korrupte Staatsmacht, auf der anderen eine gesichtslose Masse von Rebellen, die wir nie zu Gesicht bekommen, von denen allenfalls mal erzählt wird oder deren Schreie „Nieder mit dem Diktator“ wir einmal auf der Straße hören. Zwischendrin das Individuum, das in dieser Gesellschaft nicht länger funktionieren kann.

Eine eigentlich recht viel versprechende Ausgangssituation, aus der Pitts aber unterm Strich zu wenig macht. Mit Sehnsucht erinnert man sich an den letztjährigen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag Darbareye Elly / About Elly von Asghar Farhadi, der ungleich eleganter und vor allem schauspielerisch überzeugender das Alltagsleben im Iran schilderte. Im Pressegespräch nach der Premiere seines Films bei der Berlinale erklärte Rafi Pitts, dass er selbst am ersten Drehtag die Rolle des Ali übernommen habe, da sich der eigentliche Hauptdarsteller als unzuverlässig herausgestellt habe. Dies war unter vielen Entscheidungen, die ein Regisseur im Verlauf eines Films zu treffen hat, vielleicht die entscheidende und entscheidend Falsche. Man verlässt das Kino mit dem Gefühl, dass dieser Film durchaus von Belang hätte sein können, wenn uns seine Hauptperson und sein Anliegen im Laufe von 92 Minuten nur ein klein wenig näher gebracht worden wären. So aber bleibt das Gefühl, dass die immer wieder spürbare Gesellschaftskritik und Zustandsbeschreibung des Landes deutlich kraftvoller und zwingender hätte ausfällen können, ja sogar müssen.

Zeit des Zorns

Männer im Knast oder solche, die gerade aus dem Knast entlassen wurden: Wenn es bislang einer Mikrotrend des Berlinale-Wettbewerbs gib, dann ist es dieser. Rafi Pitts Film „Zeit des Zorns“ bildet da keine Ausnahme.
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