Wrong Elements

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Opfer, die zu Tätern werden

Macht und Machtmissbrauch sind Themen, die den Journalisten Jonathan Littell umtreiben. Vor zehn Jahren hat er Die Wohlgesinnten geschrieben, einen Tatsachenroman über Nazis und den Holocaust, im französischen Original mehr als 900 Seiten lang. Littell ist also keiner, der sich gerne kurzfasst. Das merkt man auch seinem neuesten Werk, dem Dokumentarfilm Wrong Elements, an. Er dauert 133 Minuten – aber die haben es in sich. Denn Littell betreibt seine Feldstudie zur Macht diesmal in Uganda.
Im Mittelpunkt des Films stehen Geoffrey, Micheal, Nighty und Lapisa, vier ehemalige Kindersoldaten der Lord’s Resistance Army (LRA). Gegründet von Joseph Kony als Widerstandsbewegung gegen Yoweri Museveni verschleppte diese Armee von 1989 an Kinder in den Busch, wo sie die Wahl hatten, sich als Soldaten dem Kampf zu verschreiben oder erschossen zu werden. Mehr als 60.000 Kinder verschwanden innerhalb von 25 Jahren, nur die Hälfte kam lebend zurück. Was sie getan haben, traumatisiert sie bis heute.

So geht es Lapisa, die von Alpträumen geplagt wird, Geister sieht und bei einer Heilerin Hilfe sucht. So geht es Nighty, die Rebellenführer Kony als Geliebte zugeführt wurde und von ihm einen Sohn aus dem Busch mit zurückgebracht hat. So geht es Michael, an dem der Verwandte eines Opfers versucht hat, Rache zu nehmen. Sie alle versuchen, mit ihrer Vergangenheit klarzukommen, und sie brauchen Zeit, um über das zu sprechen, was ihnen widerfahren ist. Littell nimmt sich diese Zeit. Fast 14 Wochen hat er in Uganda gedreht, ist mehrmals in das Land gereist, hörte sich viele Geschichten an bis er die vier Protagonisten seines Films gefunden hat. Denen kommt der Film sehr nah. Sie besuchen die ehemaligen Flüchtlingslager, die Aufenthaltsstätten im Busch, die Orte der Massaker. Geoffrey, Michael und Nighty tun dies gemeinsam. Sie kennen einander, seit sie als Kindersoldaten von der LRA verschleppt wurden, und haben eine Freundschaft geschlossen, die bis heute hält. Vielleicht auch, weil sie mit niemandem sonst über jene Zeit sprechen können. Die Rückkehr an die Orte der Vergangenheit ist für sie auch eine Reise zurück in ihre Kindheit. Sie reden über das Erlebte, rekonstruieren spontan Szenen, toben aber auch ausgelassen im Busch herum, als wären sie wieder zehn Jahre alt – doch diesmal ist ihr ausgelassenes Treiben von der Sorge befreit, misshandelt oder erschossen zu werden. Der Regisseur verschwindet dabei komplett, er muss keine Fragen an seine Protagonisten stellen, die Dynamik zwischen ihnen lässt ihn als distanzierten Beobachter hinter der Kamera zurück.

Ohnehin stellt Littell in diesem Film nur sehr selten direkt Fragen. Wenn er das tut, sind es meist Schlüsselmomente. Als Geoffrey beispielsweise in ein Dorf zurückkehrt, in dem er als Kindersoldat an einem Massaker beteiligt war und sich bei einer alten Frau entschuldigen will. Wie schwer es ihm fällt, ist seinem Gesicht deutlich abzulesen. Dennoch befragt ihn Littell zu Schuldgefühlen und Vergebung. Es ist einer der stärksten Momente des Films.

Wrong Elements geht der Frage nach, wie aus Opfern Täter werden, und will ergründen, wie diese selbst in ihrer Täterrolle noch Opfer sind. Littell ist ein gewaltiger Film gelungen, dessen Geschichten gefangen nehmen und auch Tage später noch nachdenklich machen.

Wrong Elements

Macht und Machtmissbrauch sind Themen, die den Journalisten Jonathan Littell umtreiben. Vor zehn Jahren hat er Die Wohlgesinnten geschrieben, einen Tatsachenroman über Nazis und den Holocaust, im französischen Original mehr als 900 Seiten lang. Littell ist also keiner, der sich gerne kurzfasst. Das merkt man auch seinem neuesten Werk, dem Dokumentarfilm Wrong Elements, an. Er dauert 133 Minuten – aber die haben es in sich. Denn Littell betreibt seine Feldstudie zur Macht diesmal in Uganda.
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