Winterreise (2006)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der doppelte Bichler

Dieser Mann ist eine Urgewalt, ein tösendes Ungetüm, ein Mann aus einer anderen Zeit: Franz Brenninger (Josef Bierbichler) ist Kaufmann und wieder einmal pleite. Nun flippt er aus und verflucht mit harschen Wortkaskaden die ganze Welt: Autofahrer, die permanent die linke Spur belagern, die Bank, die ihm nicht mehr mit einem Kredit unter die Arme greifen will, überhaupt die ganze verfluchte Welt, in der einer wie er nichts mehr verloren hat, weil er längst alles verloren hat. Vom medizinischen Standpunkt betrachtet, ist dieser vierschrötige Grantler, seines Zeichens Eisenwarenhändler aus Wasserburg am Inn, ein klinischer Fall, irgendwo in den weiten Feldern der psychischen Erkrankungen zwischen manisch-depressiv und paranoid anzusiedeln. Und doch ist er ein ganz normaler Mann, einer, wie man ihm vielleicht ein Dutzend Mal am Tag auf der Straße begegnet und sich wundert über seine Wut und seinen uneingestandenen Selbsthass.

Dem Brenninger Franz sind die Kunden längst weggelaufen, nur seine Frau Mucki (Hanna Schygulla) ist noch bei ihm geblieben und hat sich vor dem Wüterich in ein Nest aus Krankheiten zurückgezogen. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, als sich Brenninger in einem Anfall von Wagemut auf dubiose Geschäfte mit einem kenianischen Geschäftsmann einlässt und sein letztes Geld verliert. Wild entschlossen reist Brenninger mit der Übersetzerin Leyla (Sibel Kekilli) nach Kenia, um den Gauner zu schnappen, der ihn betrog, und so sein Leben doch noch zum Guten zu wenden.

Begleitet von Stücken aus Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ (zum Teil gesungen von Josef Bierbichler selbst), die – und das ist eine starke Parallele zu Hans Steinbichlers(Hierankl Film – auch eine Reise ins Herz einer fortschreitenden Depression beschreibt, entwirft der Film in beeindruckender Weise die Seelenlandschaft eines kranken und alten Mannes. Brenninger ist einer, der sich auflehnt gegen das Leben, der alle seine urwüchsige Kraft herausschleudert, der sich verschwendet im Kampf gegen – zumeist selbst errichtete Windmühlen. Vor allem aber ist Winterreise eines – die beeindruckende One-Man-Show des Josef Bierbichler, der hier alle Facetten seiner Schauspielkunst zeigt und der diesen Film ohne Zweifel zu einem der herausragenden Werke dieses Kinoherbstes macht. Bisweilen scheinen die anderen Akteure – mit Ausnahme Sibel Kekilis – und in wenigen Momenten auch die Dramaturgie vor so viel Leinwandpräsenz zu kapitulieren. Doch es zählt zum großen Verdienst Hans Steinbichlers, dass er immer wieder die Balance zwischen seiner Hauptfigur und dem Rest des Ensembles herstellen kann – über manche Episode während des in Afrika spielenden zweiten Teils des Films sieht man allerdings besser gnädig hinweg.

Nach Deutschland. Ein Sommermärchen und der Trunkenheit des Sommers, in der wir alle für kurze Zeit davon träumen durften, dass alles vielleicht doch noch gut würde, folgte mit dem Herbst die Ernüchterung. Die beiden Bichlers liefern mit ihrem kraftvoll-melancholischen Film die Bilder zu den bevorstehenden kalten Monaten – ein Blick in die waidwunde deutsche Seele, der bei aller Übertreibung und Kraftmeierei einen großen Anteil an Wahrheit enthält.
 

Winterreise (2006)

Dieser Mann ist eine Urgewalt, ein tösendes Ungetüm, ein Mann aus einer anderen Zeit: Franz Brenninger (Josef Bierbichler) ist Kaufmann und wieder einmal pleite.

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Meinungen

Cosy · 17.12.2006

von Dr. Bernhard möchte ich mich nicht behandeln lassen

Dr. Bernhard · 15.12.2006

Sehenswert.

Franz · 28.11.2006

Ein kraftvoller Monomane der sich von keinem Regisseur mehr was sagen lässt ist fast so langweilig wie diese Klonstars. Aber einverstanden, 50 mal Arschloch sagen ist mutig und kunstvoll.

· 27.11.2006

Ein mutiger Film, der Widersprüche aushält, ein kraftvoller Hauptdarsteller, der sich wohltuend von den geklonten, glatten Männerfiguren des deutschen Kinos unterscheidet.

BertrandRussel · 26.11.2006

Pseudo-tiefsinniges und vor Selbstgefälligkeit triefendes Drama um einen Provinzpatriarchen, der im Alter zu einer zweiten Pubertät findet. Das Ganze ist unterlegt mit einem Patchwork aus Anleihen an die deutsche Romantik und esoterischen Bildern wie aus Werbefilmen. Am Schluß ist man erleichtert, durch den selbstgewählten Exitus des Protagonisten von dessen Gefühlssperrfeuer befreit zu sein.

Riccarda Z. · 25.11.2006

Winterreise ist ein Wolperdinger unter Kinofilmen

Romeo · 24.11.2006

Dieser Film wird günstigstenfalls in einer Kuriositäten-Geschichte des bayerischen Kinos überleben und fällt in erster Linie durch die höfische Rezeption auf, die ein düsteres Bild der Weltfremdheit unserer zeitgenössischen Film-Intelligenzia zeichnet.

@Dieter Matzka · 24.11.2006

Eine Differenzierung zwischen Autor und erfundener Figur tut schon Not, wenn man einen Film verstehen will. Oder sind alle Krimischriftsteller zugleich auch Mörder?

götz · 24.11.2006

wie sie alle diesen steinbichler heiligen, weil er dummheit auf den altar hebt

Dieter Matzka · 24.11.2006

Eine One Man Show über Bierbichler ergibt noch lange keinen guten Film.
Wer aber in einem Film zulässt, dass man pauschal die Afrikaner als Nigger beschimpft und inszenierend diese Beschimpfung im Raum stehen lässt - die Afrikaszenen waren nur negativ - dann kann man von einem rassistischen Film sprechen.
Steinbichler sollte sich für die nächsten Jahre auf Regieassistenz verdingen. Er hat noch viel zu lernen.

Kirmayr · 23.11.2006

Der Film ist einfach notwendig gewesen.
So ist es halt im Leben, mehr ist dazu nicht zu sagen.
Kirmayr