William S. Burroughs: A Man Within

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Beat-Poet, Outlaw, Monster

Es gibt Filmtitel, die nichtssagend sind. Und solche, die mit wenigen Worten eine komplexe Story haargenau auf den Punkt treffen. Zu letzteren zählt ganz sicher Jonathan Yony Leysers assoziatives Porträt des Beatpoeten William S. Burroughs, der tatsächlich ein Leben lang „a man within“ war: Ein Mann, der sich nie festlegen ließ, sondern der immer zwischen allen Stühlen saß, der sich niemals wirklich zugehörig fühlte, sondern stets außen vor blieb. Ein wahrer Outlaw war er, ein freier Geist und eine ebenso faszinierende wie widersprüchliche Persönlichkeit, die viele Künstler inspirierte und prägte, ein Außenseiter, der zugleich das heimliche Zentrum der US-amerikanischen Subkultur war — und das über viele Jahre hinweg.
Gemeinsam mit Allen Ginsberg und Jack Kerouac bildete der 1914 in St. Louis, Missouri geborene William S. Burroughs die Speerspitze der Beat-Literatur. Aus begütertem Hause stammend, studierte er in Harvard Literatur und begann später nach dem Umzug nach New York mit Heroin zu experimentieren – es war der Beginn einer lebenslangen Abhängigkeit, die auch sein Schreiben beeinflusste: In seinem ersten Buch mit dem Titel Junk und dem Untertitel Confessions of an Unredeemed Drug Addict, 1953 unter einem Pseudonym veröffentlicht, schrieb Burroughs über seine Drogenerfahrungen. Und die hatten nicht nur Einfluss auf sein literarisches Schaffen, sondern auch auf sein Privatleben: Im Rausch stellte er die berühmte Apfelszene aus Wilhelm Tell mit seiner Frau nach und erschoss diese aus Versehen, was für ihn offensichtlich ein Schockerlebnis war, das Burroughs Drogenabhängigkeit, seinem Schaffensdrang und seiner bis dato verheimlichten Homosexualität einen regelrechten Schub gaben.

Allein die schiere Anzahl derer, die Yony Leyser in seinem Film zu Wort kommen lässt (sei es mittels Archivmaterial im Falle derer, die schon verstorben sind, oder in Interviews, die aber niemals zu einem Reigen von „talking heads“ werden), ist schon erstaunlich genug. Noch bemerkenswerter ist es freilich, wie illuster die Runde derer ist, die hier über Burroughs Auskunft geben. Neben Musikern wie Patti Smith, die sich in den schwulen Dichter verliebt hatte und von einer Hochzeit phantasierte, Laurie Anderson, Iggy Pop, Thurston Moore von Sonic Youth, Jello Biafra von den Dead Kennedys, Grant Hart (Hüsker Dü) und Genesis Breyer P-Orridge sehen wir Allen Ginsberg, die Filmregisseure John Waters, Gus Van Sant, David Cronenberg und unzählige Weggenossen, die einen eher privaten Einblick in das Leben von Burroughs gewähren, und den Schauspieler Peter Weller, der als eine Art Erzähler fungiert.

Es sei eine Liebe auf den ersten Blick gewesen, so beschreibt der gerade erst 25 Jahre alte Regisseur Yony Leyser seine erste Begegnung mit dem Werk des radikalen Poeten. In der Schule habe er Naked Lunch gelesen und sei so fasziniert von dieser Stimme der Gegenkultur gewesen, dass er später nach Lawrence in Kansas, dem letzten Wohnort von Burroughs zog, um den Spuren seines Idols zu folgen. Dennoch ist A Man Within kein ehrerbietiger Film geworden, keine Lobhudelei, weil Burroughs als Person und Charakter viel zu widersprüchlich war, um ihn uneingeschränkt und vorbehaltlos zu verehren. „Er war berühmt für die falschen Dinge“, so bringt es John Waters an einer Stelle auf den Punkt, „er war schwul, er war ein Junkie, er sah nicht gut aus, er hat seine Frau erschossen, er hat über Arschlöcher und Heroin geschrieben. Er war nicht einfach zu mögen.“

Dass Burroughs nicht unbedingt liebenswert war, das wird auch durch das Verhältnis zu seinem Sohn deutlich, der nicht nur den Unfalltod der Mutter miterleben musste und der später immer wieder versuchte, dem Vater nahe zu sein – bis er mit 33 Jahren an den Folgen seiner Alkoholsucht verstarb. Dass Burroughs selbst so lange überlebte, lag in Zeiten von AIDS, so heißt es an einer Stelle des Films, vor allem daran, dass man ihm stets die „Ehre“ des ersten Schusses mit einer noch ungebrauchten Nadel überließ.

Dennoch ist der Ansatz, den Leyser wählt, von einer großen Sympathie für den Porträtierten geprägt – genauso, wie bei jedem der Interviewten trotz aller Vorbehalte gegen Burroughs immer auch ein großes Maß an Bewunderung mitschwingt. Und so klingt der letzte Tagebucheintrag, den Burroughs kurz vor seinem Tode im Jahre 1997 vornahm, beinahe schon tröstlich für einen, der nie im Leben Ruhe fand, geschweige denn so etwas wie eine erfüllte und von gegenseitiger Zuneigung geprägte Beziehung: „Liebe? Was ist das? Das natürlichste Schmerzmittel, das es gibt.“

William S. Burroughs: A Man Within bildet trotz der Einteilung in thematische Blöcke keine „geschlossene“ Biographie des Dichters ab, sondern ist wie dessen Prosa wild und assoziativ montiert und scheint an etlichen Stellen die Cutup-Technik von Burroughs kongenial in einen chaotisch-inspirierenden Bewusstseinsstrom der Bilder zu übersetzen. Dass Burroughs Zeit seines Lebens ein Rätsel war und alles dazu tat, auch eines zu bleiben, respektiert Yony Leyser in seiner gelungenen Annäherung an einen Mythos. Die Lücken zwischen dem, was im Dunkeln bleibt und jenem, was widersprüchlich ist, füllt er so gekonnt mit Archivmaterial und darauf aufbauenden zeitgeschichtlichen Exkursen, mit Gedankenblitzen, Prosaversatzstücken, rauhen Schnitten und Interviewfragmenten, dass man trotz oder gerade wegen der vielen Fragen, die offenbleiben, am liebsten zu einem Buch greifen würde, um im Licht des Gesehenen die Schriften dieses Mannes neu zu entdecken. Wer sich dann doch lieber einen Film ansieht, der wird danach höchstwahrscheinlich eine unbändige Lust verspüren, sich noch einmal David Cronenbergs Naked Lunch anzuschauen.

Sicherlich ist William S. Burroughs: A Man Within in erster Linie eine archivarische Arbeit, die vor allem bereits vorhandenes Material ordnet und mit neuem Interviewmaterial verbindet, um so den Bogen eines überreichen Lebens voller Extreme und Widersprüche einzufangen. Yony Leyser aber gelingt das Kunststück, die Biografie des Schriftstellers und Privatmannes William S. Burroughs auf so spannende Weise miteinander zu konfrontieren, dass man danach erst recht neugierig ist auf diesen Mann und sein Werk. Mehr kann solch ein Porträt eigentlich kaum leisten.

William S. Burroughs: A Man Within

Es gibt Filmtitel, die nichtssagend sind. Und solche, die mit wenigen Worten eine komplexe Story haargenau auf den Punkt treffen. Zu letzteren zählt ganz sicher Jonathan Yony Leysers assoziatives Porträt des Beatpoeten William S. Burroughs, der tatsächlich ein Leben lang „a man within“ war:
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