Werner Nekes - Das Leben zwischen den Bildern

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Eine subtile Form der Avantgarde

„Ist die Avantgarde tot?“ wird Werner Nekes einmal gefragt. „Noch nicht“, antwortet er, „wir sind ja noch hier.“ Am 22. Januar 2017 ist Nekes im Alter von 72 Jahren gestorben. Mit ihm hat es vielleicht nicht die komplette Avantgarde dahingerafft, aber das Kino hat doch definitiv einen Filmemacher verloren, der auch im Alter noch weit progressiver war als so mancher seiner jungen Kollegen. Die Fotografin und Filmemacherin Ulrike Pfeiffer hat ihm mit dem Dokumentarfilm Werner Nekes — Das Leben zwischen den Bildern ein Denkmal gesetzt. Auf der Berlinale 2017 feierte er seine Premiere und wirkt angesichts seines Protagonisten auf den ersten Blick unerwartet konventionell.
Wir treffen auf Werner Nekes in seinem Haus in Mülheim an der Ruhr. Hier, interviewt vom Kritiker und Filmwissenschaftler Daniel Kothenschulte, raucht er unentwegt. Er trifft auf alte Freunde und Weggefährten, dazu gibt es Ausschnitte aus seinen Filmen und von einem Besuch in einer von Alexander Kluges Gesprächssendungen für die TV-Plattform dctp. Ab und an berichtet eine Stimme aus dem Off von biografischen Fakten, dann wieder hängt Nekes’ eigene Stimme über den Bildern schwebend Erinnerungen nach, erklärt seine Methoden. Er redet langsam und im Präteritum, man könnte das leicht als altmodisch und behäbig auffassen. Aber das wäre ein Missverständnis.

Werner Nekes, 1944 in Erfurt geboren, hat mehr als hundert Kurz- und Langfilme gedreht, der Bekannteste darunter wahrscheinlich die 1986er Schlagerparodie Johnny Flash mit Helge Schneider. Viele seiner übrigen Werke rutschten der breiten Öffentlichkeit durch: für Oberhausen ist er nicht politisch und realistisch, für den Mainstream nicht zugänglich genug. „Ich kann keine Geschichten erzählen“, sagt Nekes selbst von sich. Stattdessen interessiert er sich für den kurzen Moment der Schwärze zwischen den Frames, in dem der Zuschauer zwei aufeinander folgende Bilder in seiner Wahrnehmung zu einer zusammenhängenden Bewegung synthetisiert. Er experimentiert mit Dreifachbelichtungen und Montagetechniken, dreht, sobald er einmal Zugang zu einer Kamera hat, fünf Filme im Monat. „Werner is’n Kind,“ sagt Helge Schneider von ihm. Er sagt das ganz ernst. Dieses Kind tritt Anfang der 1970er Jahre eine Professur in Hamburg an, vertritt dort Ansichten eines radikalen Kinos, stellt später Forderungen an das Kino des 21. Jahrhunderts. Für ihn bedeutet das in erster Linie einen Rückgriff auf die Filmgeschichte: viele Möglichkeiten der frühen Tage seien noch gar nicht genutzt worden, aus ihnen könne man so viel weiterentwickeln.

Werner Nekes — Das Leben zwischen den Bildern beginnt mit Aufnahmen optischer Apparaturen und Phänomene: Guckkästen, Anamorphosen, Laternae Magicae. So beginnt sich der Dokumentarfilm Filmgeschichte scheinbar zu erschließen wie Nekes selbst, der solche alten Medientechniken in seinen eigenen Filmen einsetzt und neu denkt. Die japanische Tradition des Makimonos, eines Landschaften zeigenden Rollbildes, setzt er 1974 in Makimono zur filmischen Technik um, filmt eine gute halbe Stunde lang eine schwedische Landschaft in kontinuierlich fließenden Kamerabewegungen, bis das Gesehene selbst fast wirkt wie ein Material – eine Leinwand, auf die man die nächste Schicht auftragen kann. Für Werner Nekes sind das Poetische und das Sammeln eng verwandt. Dabei geht es ihm gar nicht so sehr um den Besitz des Objekts selbst, sondern vielmehr um den Blick darauf, das Erleben. So finden sich in Nekes’ Besitz nicht nur optische Apparaturen. Er sammelt auch Daguerreotypien, alte Partituren, Gemälde und Holzschnitte und kennt ihre Geschichte. Er besitzt Bücher über frühe Augenchirurgie, natürlich, weil die Camera Obscura im Grunde wie ein Auge funktioniert. Wenn er seinem Enkel die frühen Comics der Reihe Little Nemo In Slumberland zeigt und von deren filmischer Qualität schwärmt, drehen sich hunderte Fragezeichen über dem Kopf des kleinen Jungen. Aber etwas von der vermittelten Faszination bleibt garantiert hängen. Nekes kennt obskure Komponisten und weiß, dass jeder römische Soldat einst Schafgarbe als Medizin mit sich führen musste. Er ist nicht nur ein Medienhistoriker, er ist vielmehr ein Universalgelehrter. In seinen Werken steckt nicht nur die Film-, sondern auch die Foto-, die Mediengeschichte, geballtes technisches und kulturelles Wissen. Wirklich exzentrisch ist das im Grunde nicht. Ulrike Pfeiffer zeichnet das Bild eines Mannes, der tatsächlich kein bisschen verschroben ist. Der alles aus einer bestimmten Überzeugung heraus tut.

Neue Sehprozesse, erklärt Werner Nekes, führen zu einem neuen Verständnis der Umwelt. Wenn das so ist, dann entpuppt sich Werner Nekes — Das Leben zwischen den Bildern als hervorragende Schule für den Blick. Dann erscheint es nämlich überhaupt nicht mehr konventionell oder gar langweilig, wenn Pfeiffer immer wieder Landschaften aufnimmt, wenn das Licht sich auf Gräsern und Bäumen bricht und man in den Wolkenformationen Gesichter zu erkennen beginnt. Wenn Nekes mit Helge Schneider im Garten Schach spielt – natürlich mit historischen Schachfiguren. Die Kamera fängt die sich gegenübersitzenden Männer von der Seite ein, vor einem sonnigen Hintergrund in finstere Schatten getaucht. Sie werden selbst wie zu Scherenschnitten, zu Figuren in einem Praxinoskop. Werner Nekes — Das Leben zwischen den Bildern entpuppt sich bei genauem Hinsehen selbst als eine subtile Form der Avantgarde, die Nekes’ Ansätze aufnimmt und für den Dokumentarfilm weiterentwickelt.

Werner Nekes - Das Leben zwischen den Bildern

„Ist die Avantgarde tot?“ wird Werner Nekes einmal gefragt. „Noch nicht“, antwortet er, „wir sind ja noch hier.“ Am 22. Januar 2017 ist Nekes im Alter von 72 Jahren gestorben. Mit ihm hat es vielleicht nicht die komplette Avantgarde dahingerafft, aber das Kino hat doch definitiv einen Filmemacher verloren, der auch im Alter noch weit progressiver war als so mancher seiner jungen Kollegen.
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