Werden Sie Deutscher

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Deutsche Tugenden und Absurditäten

Die Teilnehmer des Integrationskurses müssen sich warm anziehen. Sich durch die deutsche Grammatik zu kämpfen ist eine Sache, sich in der deutschen Gesellschaft zurecht zu finden eine ganz andere. Im schlecht geheizten Unterrichtsraum einer Berliner Volkshochschule treffen Welten aufeinander. Jorge aus Argentinien macht große Augen unter seiner bunten Strickmütze, Shipon aus Bangladesh hat seine dicke Jacke angelassen, die Palästinenserin Insaf sitzt selbstbewusst mit Kopftuch neben Emilia aus Bulgarien, die als einzige nicht zu frieren scheint.
600 Stunden Sprachkurs und 45 Stunden Orientierungskurs gilt es für Shipon, Jorge, Insaf und die anderen aus 15 verschiedenen Ländern zu absolvieren, bevor sie offiziell als „integriert“ gelten. Während die Realität vieler Migranten im Wirbel hitzig geführter Integrationsdebatten gerne vereinfacht und verzerrt wahrgenommen wird, hat die Regisseurin Britt Beyer ein wenig genauer hingeschaut: Über 10 Monate hat sie einige Integrationskurs-Teilnehmer durch Unterricht und Alltag begleitet. Ihr Dokumentarfilm Werden Sie Deutscher liefert in 84 Film-Minuten nicht nur ein differenziertes Bild „der“ Migranten, sondern hält auch den Deutschen einen sehenswerten Spiegel vor. Denn die Lektionen, die Ausländer lernen müssen, wenn sie dauerhaft in Deutschland leben und arbeiten wollen, spricht Bände über das Selbstverständnis unseres Landes.

Obwohl die Protagonisten des Films gemeinsam die Schulbank drücken, könnten ihre Hintergründe kaum unterschiedlicher sein: Insaf lebt schon seit 20 Jahren in Deutschland. Bisher kam die Palästinenserin nie dazu, richtig Deutsch zu lernen, immer wieder kam ein Kind dazwischen, sagt sie. Und wozu die Sprache eines Landes lernen, wenn ständig die Abschiebung aus diesem drohe? Inzwischen hat die Familie einen dauerhaften Aufenthaltsstatus, die Kinder sind jetzt Teenager und helfen ihren Eltern beim Deutsch lernen. Shipon ist vor 2 Jahren aus Bangladesh nach Deutschland gekommen. Obwohl er mit einer Deutschen verheiratet ist, muss er Angst vor Abschiebung haben, denn die Behörden wittern eine Schein-Ehe. Der Argentinier Jorge ist erst vor 7 Monaten wegen seiner Freundin nach Deutschland gekommen. Er hat in Frankreich 6 Jahre als Koch gearbeitet, sein Traum ist es jetzt hier ein kleines Musik-Lokal zu eröffnen. Die behördlichen Hürden, die zu nehmen sind, um sich im Gastronomiebereich selbstständig zu machen, sind schon für einen Muttersprachler anspruchsvoll genug. Als Ausländer sieht man das nochmal mit anderen Augen – und Jorges werden immer größer, als ihm die Beraterin den Procedere-Parcours erklärt.

Doch er und seine Mitschüler lassen sich nicht entmutigen. Weder von unverständlichem Behörden-Deutsch, noch von herausfordernden Unterrichtseinheiten. Die Lehrer Frau Kaminski und Herr Schütz geben ihr Bestes, sie mit viel Empathie, er dagegen eher spröde. Ein Adjektiv das auch den Film selbst ganz gut beschreibt: Werden Sie Deutscher entwickelt seinen Charme aus der Beobachtung. Der Zuschauer wird kommentarlos mit dem deutschen Selbstbild konfrontiert, so wie es offiziell im Integrationskurs vermittelt wird und wie die Schüler darauf reagieren. Das hat etwas Entlarvendes und daraus entwickelt der Film streckenweise einen beachtlichen Unterhaltungswert. So manche (Rollenspiel-)Situation ist bezeichnend und nicht frei von heiterer Absurdität, aber auch von latenter Befangenheit oder Gehemmtheit. So ist es nun mal, in deutschen Unterrichts-Situationen, in denen die Kommunikation schwierig ist.

Das muss man als Zuschauer aushalten. Genauso wie den deutschen Humor. Denn den könne man nur entschuldigen und aushalten – wie Jorge einmal verschmitzt meint. Und während die anderen noch grübeln, ob es überhaupt so etwas wie deutschen Humor gibt, macht Herr Schütz bierernst mit dem Unterricht weiter. Es wird sogar die „beleidigte Leberwurst“ bemüht, wenn es um Sprichwörter geht, die bezeichnend für das Miteinander in diesem Lande sind. Mit „Zeit ist Geld“ und „pünktlich auf die Minute“ werden die Teilnehmer des Integrationskurses vorgewarnt, wie die Deutschen ticken. Sie sollen nicht hilflos in den deutschen Ernst des Lebens entlassen werden. Und so werden in Rollenspielen nicht nur das Bewerbungsgespräch am Telefon geübt, sondern auch die Diskussion mit der Polizeistreife oder die Konfrontation mit dem Nachbarn im Treppenhaus, der sich mal wieder beschwert. Von „Darf man seine dreckigen Schuhe vor die Tür stellen?“ bis „Wann ist man integriert?“ werden alle Fragen rund ums Deutsch sein verhandelt.

Der lose dramaturgische Faden des Films verläuft quer durch den Unterricht bis zur abschließenden Prüfung. Auf die Lebenssituationen der Protagonisten werden hier und dort einige Schlaglichter geworfen. Dabei kommt man ihnen unterschiedlich nahe, manche bleiben eher exemplarische Charaktere. Und obwohl sich das Gefühl einschleicht, dass aus der Ausgangsidee filmisch noch mehr herauszuholen gewesen wäre, ist Werden Sie Deutscher mehr als ein sehenswerter Beitrag zur Integrationsdebatte: Es ist ein gesellschaftlicher Spiegel, in dem zu sehen ist, was wir sonst gar nicht wahrnehmen: Was für ein Bild geben die Deutschen eigentlich ab?

Werden Sie Deutscher

Die Teilnehmer des Integrationskurses müssen sich warm anziehen. Sich durch die deutsche Grammatik zu kämpfen ist eine Sache, sich in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden eine ganz andere. Im schlecht geheizten Unterrichtsraum einer Berliner Volkshochschule treffen Welten aufeinander. Jorge aus Argentinien macht große Augen unter seiner bunten Strickmütze, Shipon aus Bangladesh hat seine dicke Jacke angelassen, die Palästinenserin Insaf sitzt selbstbewusst mit Kopftuch neben Emilia aus Bulgarien, die als einzige nicht zu frieren scheint.
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