Welcome

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Allein durch den Ärmelkanal

Er gilt als der „Mount Everest“ der Langstreckenschwimmer: Die 33 Kilometer des Ärmelkanals zwischen Calais und Dover sind selbst für austrainierte Profis nur mit Begleitboot und viel Glück zu meistern. Aber davon lässt sich der 17-Jährige Bilal nicht abschrecken. Der junge Kurde hat sich nun mal in den Kopf gesetzt, nach England zu fliehen. Nichts kann ihn aufhalten, auch nicht die zehn Stunden in zehn Grad kaltem Wasser oder die 500 Schiffe, die hier jeden Tag unterwegs sind.
Bilal (Firat Ayverdi) ist nicht der einzige, der in Calais festhängt, wo die Behörden die Flüchtlinge und ihre humanitären Helfer mit allen legalen und halblegalen Mitteln schikanieren. Weil der Fluchtversuch als blinder Lkw-Passagier scheitert, sieht der junge Mann nur noch einen Weg. Er nimmt Trainingsstunden bei Simon (Vincent Lindon), dem örtlichen Schwimmlehrer. Der steht den Schicksalen der hier Gestrandeten eher gleichgültig gegenüber. Aber vielleicht könnte er mit einer menschenfreundlichen Aktion seine Frau zurückgewinnen. Die hat bei ihrem Engagement für die Flüchtlingshilfe einen Neuen lieben gelernt, der weniger soziale Ignoranz an den Tag legt als Simon.

Das ist der Stoff für zwei Filme in einem: ein Sozialdrama, das über eine Beziehungsgeschichte erzählt wird — über die Annäherung zwischen Bilal und Simon, der nach und nach väterliche Gefühle für den jungen Sturkopf entwickelt. Regisseur Philippe Lioret (Die Frau des Leuchtturmwärters) webt den politisch-sozialen Faden fast unmerklich in das emotionale Geflecht, das die Handlung trägt und vorantreibt. Dass er sein Anliegen nicht vor sich herträgt, ist ein großer Pluspunkt für diesen unspektakulär anmutenden Film, der seine handwerkliche Meisterschaft erst auf den zweiten Blick preisgibt. Raffiniert, wie Lioret die Figur des Simon anlegt: Wäre dieser immer leicht neben sich stehende Trauerkloß ein Gutmensch mit reinem Herzen, dann wäre wohl alles an eine Politschnulze für weltschmerzgeplagte Sozialarbeiter verloren. Aber Vincent Lindon verleiht dem Simon eine geheimnisvolle Aura, etwas Unbestimmtes und Unvorhersehbares. Es ist, als wäre dieser Mensch in ein jahrelanges Wachkoma verfallen, enttäuscht von Fehlschlägen in der Karriere und in der Liebe, taumelnd durch einen Alltag, in dem er sich eingerichtet hat, der ihn aber schon lange nicht mehr interessiert. Und dann kommt dieser Junge und rüttelt mit seinem Elan und seiner unbeugsamen Entschlossenheit Simons bessere Seiten aus dem Tiefschlaf.

Genauso präzise wie die emotionalen Verflechtungen der fiktiven Figuren hat Lioret den sozialen Unterbau seines über weite Strecken dokumentarisch anmutenden Spielfilms herausgearbeitet. Bevor das Drehbuch für Welcome entstand, fuhr der Regisseur und Autor nach Calais, sprach mehrere Wochen mit den Menschenrechtsaktivisten, schaute sich die lausigen Unterkünfte, die lebensgefährlichen Fluchtmöglichkeiten und die Schikanen der Behörden an. Alle sozialen Fakten, die in dem Film angesprochen werden, entsprechen der Situation vor Ort. Sogar die Figur des Bilal ist realen Vorbildern nachempfunden. Lioret traf tatsächlich einen 17-Jährigen, der nach England wollte, um dort seine Freundin wieder zu finden. Und er hörte, dass einige Verzweifelte tatsächlich vorhatten, über den Ärmelkanal zu schwimmen.

All das war für den Regisseur ein Schock, wie er in einem Interview bekannte. Und zwar ein so großer, dass er sich zu einem Nazi-Vergleich hinreißen ließ: „All das hätte 1943 stattfinden können und könnte von einem Typen handeln, der Juden bei sich versteckt und erwischt wird.“ Da sind natürlich Schlagzeilen vorprogrammiert, die der Film gar nicht nötig hat. Der erzählt auf bewundernswert unangestrengte Weise eine berührende Geschichte, auf die sich jeder seinen eigenen Reim machen darf.

Welcome

Er gilt als der „Mount Everest“ der Langstreckenschwimmer: Die 33 Kilometer des Ärmelkanals zwischen Calais und Dover sind selbst für austrainierte Profis nur mit Begleitboot und viel Glück zu meistern. Aber davon lässt sich der 17-Jährige Bilal nicht abschrecken. Der junge Kurde hat sich nun mal in den Kopf gesetzt, nach England zu fliehen. Nichts kann ihn aufhalten, auch nicht die zehn Stunden in zehn Grad kaltem Wasser oder die 500 Schiffe, die hier jeden Tag unterwegs sind.
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Meinungen

@Bundschuh · 05.03.2010

Welch billige Polemik zwei Gruppen von sozial Bedürftigen gegeneinander auszuspielen. Im Grundgesetz ist das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte in Artikel 16a verankert - und das nicht ohne Grund. Zudem stellt die geringe Anzahl von Asylanträgen (19.164 im Jahre 2007) wohl kaum eine nennenswerte Belastung für eine reiche Industrienation wie Deutschland dar.

Johann Bundschuh · 04.03.2010

Migranten in die EU beanspruchen Leistungen in 4 bestimmten Bereichen, auf die schlechtgestellte Einheimische angewiesen sind: 1. öffentliches Schulwesen 2. öffentliche Gesundheitsvorsorge 3. öffentliche Wohnungen 3. ungelernte Arbeitsplätze, weil sie kein deutsch könnnen.

Ob also wohlhabende deutsche Befürworter offener EU-Grenzen bereit sind eine Bewegung für höhere Sozialbesteuerung zu gründen? Es ist viel bequemer dem deutschen Pöbel sowas aufzubürden, schliesslich geht der Prolet doch nicht ins Programmkino. Der kultivierte Menschenfreund a la Pro Asyl profitiert lieber von billigen afrikanischen Putzfrauen und promovierten russischen Handwerkern am Fiskus vorbei.

Peter · 09.02.2010

Super Film, richtig erschütternd, was da gezeigt wird!

Zeynep Degirmenci · 08.02.2010

Der Film war ausgezeichnet. Man lernt da kennen, wie der Frankreich mit den Flüchtlingen so extrem und faschistisch umgeht. Scheiße! Einfach Scheiße!