Wasted Youth

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Chronik eines Sommertags

„Not macht erfinderisch“ weiß ein altes Sprichwort. Das gilt nicht nur für diverse Filme und TV-Serien, in denen die Helden die hohe Kunst der Improvisation beherrschen – MacGyver hat es in dieser Hinsicht ja zu großer, mittlerweile gar ikonischer Meisterschaft gebracht. Auch das Kino selbst hat sich in Zeiten der Not immer wieder als erfindungsreich erwiesen, hat die Beschränkung in den zur Verfügung stehenden finanziellen und technischen Mitteln oder den freiwilligen Verzicht immer wieder aufs Neue dazu genutzt, neue Formen des Erzählens, neue ästhetische Wege oder eine bis dato nicht gesehene Bildsprache zu erschaffen, um die Hindernisse zu umgehen. So ist der italienische Neorealismo entstanden, Dogma95, die rumänische neue Welle oder diverse Kinematographien, die während Diktaturen verschiedenster Couleur Verblüffendes erschufen. Ein Musterbeispiel der vergangenen Jahre bildet sicherlich auch das neue griechische Kino der Krisenjahre, das mit Filmen wie Dogtooth, Alpen und Attenberg zumindest auf Festivals weltweit für Furore sorgte. Schon allein deshalb lohnt der Blick auf Spielfilme aus dem von der Finanzkrise besonders stark betroffenen Land derzeit in ganz besonderem Maße.
Wasted Youth von Arjyris Papadimitropoulos und Jan Vogel ist ein auf den ersten Blick typischer Repräsentant dieses Kino der Krise, gerade einmal 274.000 US-Dollar hat der Film gekostet und wenn man ganz ehrlich ist, sieht man das dem Film auch an. Andererseits aber ist gerade diese Kargheit der Bilder ja ein wesentliches Merkmal der jungen und wütenden Generation des neuen griechischen Kinos. Wie ihre Kollegen Athina Rachel Tsantari (Attenberg) und Giorgos Lanthimos (Dogtooth, Alpen) geht es auch dem Griechen und dem Deutschen in ihrem Film um die Verlorenheit der Jugend, um Perspektivlosigkeit und darum, was dies mit den Menschen anrichtet, die davon betroffen sind. Im Falle von Wasted Youth aber nehmen Papadimitropoulos und Vogel nicht den Umweg über kompliziert-bizarre Konstellationen, sondern erzählen vergleichsweise direkt von den Sorgen und Nöten ihrer Protagonisten.

Wasted Youth spielt an einem heißen Sommertag in Athen. Die Kamera folgt dem 16-jährigen Harris (Haris Markou), der gerade seine pubertäre Trotzphase durchlebt und sich den Erwartungen seiner Eltern durch Rückzug in eine Gruppe von Skatern entzieht, mit denen er abhängt und die sich um nichts anderes kümmern als um sich selbst, die nächste Party, den nächsten Drink, das nächste Mädchen. Der alternde Streifenpolizist Vasilis (Ieronymos Kaletsanos) hingegen hat ganz andere, sehr konkrete Probleme. Eigentlich hasst er seinen Job, die miserable Bezahlung, die kaum den Lebensunterhalt seiner Familie sichern kann, das verheerende Image seines Berufs, die Allgegenwart der schwierigen ökonomischen Lage des Landes. Ganz am Ende des Films werden sich die Lebenswege dieser beiden Menschen aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichen sozialen Schichten kreuzen – und man ahnt schon die ganze Zeit zuvor, dass diese Begegnung keine glückliche sein wird.

Stellenweise merkt man es dem Film an, dass der Darsteller des buchstäblich durchs Leben gleitenden Skaters Harris kein Profi ist. Doch genau darin liegt die Stärke des Films – die gekonnte Kombination aus Laiendarstellern und Profis verleiht dem Protokoll eines Sommertages eine Frische und Direktheit, die gut mit dem Thema des Films harmoniert und die den Ereignissen, die sich lose an einem Fall aus dem Jahre 2008 orientieren, eine beinahe schon beklemmende Authentizität verleiht.

Dazu finden Arjyris Papadimitropoulos und Jan Vogel (Un)Orte und mit ihnen Atmosphären in Athen, die eigentlich über eine große symbolische Kraft verfügen: Ein leerer Swimmingpool beispielsweise, die Villen der Reichen, diverse Plätze in der griechischen Hauptstadt, die manchmal fast geisterhaft leeren Straßen, die Hitze, die man zu spüren vermeint – hinter all diesen Fassaden und Kulissen ahnt man das Bild einer Gesellschaft, die alle Anzeichen einer vom Untergang bedrohten Kultur aufweist. Dennoch fehlt dem Film etwas, das die anderen Repräsentanten des neuen griechischen Kinos auszeichnet. Die Ambivalenz von Kälte und Zärtlichkeit, der Sarkasmus, die Künstlichkeit der gesellschaftlichen, sozialen und intimen Versuchsanordnungen, die die Filme von Tsantari und Lanthimos auszeichnet und die gerade ihre Sprengkraft ausmacht, sucht man bei Papadimitropoulos und Vogel vergebens.

So erreicht der Film zwar nicht die Größe seiner griechischen Kontrahenten, vermittelt aber einiges vom Talent der beiden Filmemacher, denen mit Wasted Youth immer noch ein beachtliches, atmosphärisch dichtes Generationenporträt gelungen ist, das dennoch viel mehr sein könnte als das.

Wasted Youth

„Not macht erfinderisch“ weiß ein altes Sprichwort. Das gilt nicht nur für diverse Filme und TV-Serien, in denen die Helden die hohe Kunst der Improvisation beherrschen – MacGyver hat es in dieser Hinsicht ja zu großer, mittlerweile gar ikonischer Meisterschaft gebracht.
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