Vergiss Dein Ende

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Auf der Suche nach sich selbst

Eine Familie sitzt zusammen beim gemeinsamen Mittagessen. Der Sohn Heiko (Eugen Krößner) ist mit seiner schwangeren Freundin Steffi (Nadine Pasta) zu Besuch, während sich Mutter Hannelore (Renate Krößner) liebevoll um ihren offensichtlich pflegebedürftigen Mann Klaus (Hermann Beyer) kümmert. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, beschimpft dieser seine Frau, schlägt nach ihr, rastet aus. Ein Ausbruch, der ein lähmendes Entsetzen über die zuvor noch beschauliche Szenerie legt. Heiko ist wütend auf seinen Vater, während seine Mutter versucht den Vorfall abzuwiegeln. Und irgendwie haben beide recht – der Sohn, weil er die Respektlosigkeiten, die seiner Mutter widerfahren, nicht mit ansehen kann und die Mutter, weil sie weiß, dass diese Übergriffe keiner willentlichen Bösartigkeit entspringen, sondern Symptome sind für die Krankheit, an der ihr Mann leidet – Demenz.
Es ist eine Szene, wie sie sich vermutlich in der Realität häufig abspielt unter deutschen Dächern. Demenz ist zu einem allgegenwärtigen Problem in Deutschland geworden, rund 1,2 Mio. Menschen leiden an der Krankheit, bis zum Jahr 2050 werden es 2,6 Mio. sein, so schätzt man. Und fast immer stehen die Betroffenen den Veränderungen, denen die Erkrankten ausgesetzt sind, genauso hilflos gegenüber wie Heiko und seine Mutter. Andreas Kannengießers Abschlussfilm an der HFF „Konrad Wolf“ zeichnet sensibel das Bild einer Krankheit nach, deren destruktive Kraft nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch deren Familie auf eine harte Zerreißprobe stellt.

Vier Jahre schon pflegt Hannelore ihren Mann und ist dabei mit ihren Sorgen und Nöten weitgehend auf sich allein gestellt. Bis sie es eines Tages nicht mehr aushält und der bedrückenden Situation ohne Aussicht auf Besserung einfach entflieht. Kurzentschlossen heftet sich sich ihrem Nachbarn Günther (Dieter Mann) an die Fersen, der zu einer Reise aufgebrochen ist. Mit der Verzweiflung einer Ertrinkenden klammert sie sich an ihn, folgt ihm bis auf eine Insel in der Ostsee, wo Günther ein Ferienhäuschen hat. Zunächst widerwillig nimmt sich der Mann seinem ungebetenen Gast an, denn eigentlich will er nichts als seine Ruhe und in Frieden sterben. Günther hat vor kurzem erst seinen Lebensgefährten durch Krebs verloren und eigentlich soll seine Reise auf die Insel eine Reise ohne Wiederkehr sein. Weil beide aber ein ähnliches Schicksal teilen, kommen sie sich behutsam näher und werden beinahe so etwas wie Freunde – zumindest für eine kurze Zeit…

Geschickt hat Andreas Kannengießer sein überwiegend in farbentsättigten, in unzähligen Grau- und Blautönen Bildern gehaltenes Drama Vergiss Dein Ende gegen den Strich gebürstet und gegen die Chronologie der Handlung montiert, was nur anfangs ein wenig irritiert. Untermalt von sehr akzentuierter und sparsam eingesetzter Musik und illustriert von einer äußerst variablen Kamera, deren verschiedene Lichtstimmungen das ganze Spektrum der Emotionen widerspiegeln, liegt die Stärke des Films vor allem bei dem liebevollen Interesse für die Figuren mit all ihren großen und kleinen Schwächen. Zusammengehalten wird die bewegende, in tristem Realismus gehaltene Geschichte, die aber zumindest kleine Akzente der Hoffnung in ein Meer aus Hoffnungslosigkeit zaubert, von einer durchweg überdurchschnittlichen Besetzung, die den Figuren Kraft und Tiefe verleiht.

Aufgrund des Themas ist Vergiss Dein Ende kein leichter Film, der zudem keinerlei Antworten auf die drängenden Fragen bietet, mit denen sich Angehörige von Demenzkranken tagtäglich auseinandersetzen müssen. Andererseits: Wie könnten diese auch aussehen? Dennoch bietet Vergiss Dein Ende gerade für Menschen, die als Angehörige oder Freude mittelbar oder unmittelbar vom Thema Demenz betroffen sind, eine überaus ernsthafte und niemals kitschige Auseinandersetzung mit den vor allem psychologischen Folgen der Erkrankung.

Vergiss Dein Ende

Eine Familie sitzt zusammen beim gemeinsamen Mittagessen. Der Sohn Heiko (Eugen Krößner) ist mit seiner schwangeren Freundin Steffi (Nadine Pasta) zu Besuch, während sich Mutter Hannelore (Renate Krößner) liebevoll um ihren offensichtlich pflegebedürftigen Mann Klaus (Hermann Beyer) kümmert. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, beschimpft dieser seine Frau, schlägt nach ihr, rastet aus.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen