Unter Männern - Schwul in der DDR (2012)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Leben zwischen FKK und Coming-out

„Wie hat man als Schwuler in der DDR leben können? Meine Eltern und Großeltern kann ich das kaum fragen.“ Also hat Ringo Rösener gemeinsam mit Markus Stein einen Dokumentarfilm gemacht. Röseners Motivation entsprang zunächst einem ganz persönlichen Interesse: 1983 in der DDR geboren, hat er außer dem Niedergang des Staates nicht mehr viel vom Leben im Sozialismus mitbekommen, wohl aber erlebt, „dass Homosexualität damals wie heute im ostdeutschen Flachland als Problem behandelt wird“. Mit Unter Männern – Schwul in der DDR ist ein Film entstanden, der mehr leistet, als das spezielle Erkenntnisinteresse des Regisseurs zu befriedigen. Der Film erzählt nicht nur vom Leben homosexueller Männer in der DDR, sondern wirft jenseits der schwulen Thematik die Frage auf, wie jeder Mensch sein Leben leben sollte, um mit sich selbst im Alter im Reinen zu sein.

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Christian Schulz ist fast achtzig und einer der sechs Protagonisten des Films. Der pensionierte Lehrer hat sich nie offen als schwul geoutet und wollte eigentlich gar nicht bei dem Film mitmachen. Er tat es trotzdem, denn „vielleicht hilft es manchen anderen, aus meinem Leben Lehren zu ziehen“. Jahrelang hat er gegen seine Homosexualität abgekämpft, mit psychiatrischer Hilfe wollte er „gesellschaftskonformer“ werden. Lange hat er seine sexuelle Neigung nicht ausgelebt, sondern sich stattdessen in den Sport gestürzt. Der Turner ist der Zweifler unter den Porträtierten, der nun mit seinem (nicht) gelebten Leben hadert: „Ich denke, wenn ich mich geoutet hätte, wäre das besser gewesen. Da war ich zu feige.“

Ganz anders Frank Schäfer. Der Frisör, der dem Punk auch im Sozialismus eine Frisur gab, war „unängstlicher als die DDR“, lebte auch damals offensiv schwul und provozierte mit seinem bunten Look gerne die Staatsmacht. Er ist der Paradiesvogel unter den sechs Protagonisten, allesamt eindrucksvolle Persönlichkeiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die der Film aber trotzdem nicht als „Typen“ verkauft. Denn jeder hat auf seine Weise eine interessante Lebensgeschichte zu erzählen und Ringo Rösener bringt jedem einzelnen vor der Kamera spürbare Neugier und Respekt entgegen.

Er befragt die Männer nicht einfach, ihre Statements werden nicht zu einem bunten, oberflächlichen Kaleidoskop des schwulen Lebens in der DDR montiert. Stattdessen bringt der Regisseur sich selbst als Mensch auf Spurensuche in den Film ein, im Off-Text und auch vor der Kamera, er sitzt mit seinen Protagonisten zusammen, lässt sie erzählen, kramt mit ihnen in Fotos, Zeichnungen und Erinnerungen. Es sind angenehme, offene Gesprächssituationen, in denen die Männer von ihrem Coming-out und ihrem Leben berichten und dabei vor der Kamera viel von sich Preis geben: Eduard Stapels, Theologe und als treibende Kraft der ostdeutschen Schwulenbewegung immer im Schussfeld der Stasi; der Grafiker Jürgen Wittdorf, der davon erzählt, wie es ist „wenn man Liebe sucht und mit dem Tod bedroht wird“; der Glaskünstler John Zinner, der sich traute, sich in der tiefsten Thüringischen Provinz zu outen und „damit eine Lawine lostritt“; Helwin, aus Chile eingewandert, für den die DDR mit ihrer FKK-Kultur ein wahres „Schwulenparadies“ war.

Vieles in Unter Männern – Schwul in der DDR erzählt sich auch in nicht Gesagtem, in Blicken, Reaktionen, Lachen. Die ruhige Kameraarbeit vom Stativ und die präzise, nicht zurechtstutzende Montage lassen den Raum für diese Zwischentöne. Rösner ist eingeweihter Gesprächspartner („du als schwuler Fragesteller weißt das ja“), scheut sich aber nicht, ab und an „unwissend“ nachzufragen, z.B. um auch szenefernem Publikum zu vermitteln, was eine „Klappe“ ist.

In der DDR wurden sexuelle Handlungen unter Männern zwar nicht unter Strafe gestellt, wohl aber geächtet. Die Protagonisten erzählen nicht nur die Geschichte ihrer sexuellen Emanzipation in Familie und Umfeld, sondern auch von Vergewaltigungen durch Polizisten, Gewalt durch heterosexuelle Männer, beziehungszersetzende Machenschaften der Stasi.

Jeder der sechs Protagonisten hat seine persönlichen, negativen wie positiven Erfahrungen gemacht und ist seinen ganz eigenen Lebensweg gegangen, in Unter Männern – Schwul in der DDR entsteht daraus ein differenzierter Einblick in das (schwule) Leben in der DDR und eine universelle Reflexion über Lebenslauf und Selbstbestimmung.

(Kirsten Kieninger)
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Ringo Rösener ist Baujahr 1983 und hat die DDR eigentlich gar nicht mehr so recht miterlebt. Jetzt im Jahr 2012 versucht der Regisseur wie viele andere auch, die Geschichte der DDR zu rekapitulieren und interessiert sich dabei in seinem Erstlingswerk für das Leben schwuler Männer in der DDR.

Homosexualität wurde in der Deutschen Demokratischen Republik nicht verfolgt. Trotzdem, geoutet hat sich keiner, denn anders sein — egal auf welche Art und Weise — ist in keinem totalitären System willkommen. In der DDR wurde man damit automatisch zum Staatsfeind und zur überwachten Person zweiter Klasse. Wie also lebte man als Schwuler in der DDR? Rösner lässt sechs Männer zu Wort kommen, einige von ihnen sprechen zum ersten Mal in ihrem Leben offen über ihre Homosexualität. Sie teilen ihre persönlichen Liebes- und Leidensgeschichten, die vor allem von einem bestimmt sind: vom Schweigen.

Dabei gehen die Geschichten teils massiv auseinander. Während die einen so von Angst bestimmt waren, dass sie ihre sexuelle Identität schlichtweg wegschlossen und sie lieber gar nicht auslebten, zog es andere in die wenigen Kneipen und vor allem in die öffentlichen Toiletten, wo sich heimlich, still und leise die schwule Community zum Tête-à-tête traf. Dabei ließen Örtlichkeiten wie das Leipziger Bahnhofsklo allerdings keine allzu große Romantik zu. Gepaart mit der Angst vor Spitzeln, Verrätern und Erpressern war es mehr als nur schwer tatsächliche Partnerschaften, die über einen Abend hinaus gingen, aufzubauen.

So berichten vor allem die älteren Protagonisten von einem Leben in Einsamkeit. Erst in den 1980er Jahren ändert sich das Klima und im Zuge des immer größer werdenden Unmuts, gewinnt auch eine neue Generation Schwuler mehr Mut sich zu äußern. Vor allem der ausführlich portraitierte Eddy Stapels, quasi der Begründer der Schwulenbewegung der DDR und Frisör und Erfinder der DDR-Punkfrisur erweist sich als lauter und offener Verfechter der Sache, allerdings nicht ohne Folgen. Während Stapels massiv unter Beobachtung steht und man seine Gruppen immer wieder zu zerschlagen versucht, werden andere von Polizisten drangsaliert, immer wieder festgenommen, geschlagen und sexuell missbraucht.

Unter Männern — Schwul in der DDR ist ein Flickenteppich, die Portraits und Erfahrungen zum teil so markant verschieden, dass sie kein homogenes Bild ergeben. Gemeinsam haben alle nur, dass vor allem das Schweigen ihren Weg bestimmt. Einige der Männer wurden dadurch gebrochen, andere nicht. Letztendlich bleibt die Dokumentation hinter ihrem Potential zurück. Rösener vermag es nicht die Geschichten zu einem Bild zu verknüpfen, so wie er es eigentlich intendiert. Die Puzzlestücke kommen nicht zusammen, manche Protagonisten fordert er nicht heraus oder geht zu fahrig und oberflächlich mit ihnen um. Es bleibt das Gefühl zurück, dass viel zu viel doch ungesagt bleibt.

(Festivalkritik Berlinale 2012 von Beatrice Behn)

Unter Männern - Schwul in der DDR (2012)

„Wie hat man als Schwuler in der DDR leben können? Meine Eltern und Großeltern kann ich das kaum fragen.“ Also hat Ringo Rösener gemeinsam mit Markus Stein einen Dokumentarfilm gemacht. Röseners Motivation entsprang zunächst einem ganz persönlichen Interesse: 1983 in der DDR geboren, hat er außer dem Niedergang des Staates nicht mehr viel vom Leben im Sozialismus mitbekommen, wohl aber erlebt, „dass Homosexualität damals wie heute im ostdeutschen Flachland als Problem behandelt wird“.

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