Unser Amerika

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Viva Sandino!

Wer bei Amerika sogleich nur an die USA denkt, wird hier enttäuscht werden, oder auch nicht, denn Unser Amerika richtet seinen Fokus auf ein anderes Amerika. Und zwar auf das kleine Land zwischen Karibik und Pazifik, in dem vor 25 Jahren, als die Zeit der großen Revolutionen auf dem amerikanischen Kontinent bereits vorüber zu sein schien, das Volk mit einem politischen Umsturz die über vier Jahrzehnte andauernde Diktatur der Familie Somoza beendete — Nicaragua.

Die schweizerische Dokumentarfilmerin Kristina Konrad, die schon einige Projekte dieser Art vor allem in Uruguay realisiert hat, kehrt nach 20 Jahren in ein Land zurück, in dem sie einst Zeugin gewaltiger gesellschaftspolitischer Bewegungen wurde. Ausgehend von ihren eigenen Erinnerungen an die turbulenten Geschehnisse und Verhältnisse des Nicaraguas der achtziger Jahre spürt sie vor allem den Frauen dieser Gesellschaft nach, deren einst bewaffneter Kampf der Revolution nun zu einem des Überlebens in einem Alltag geworden ist, der als Folge von Krieg und Korruption noch immer vom eklatanten Mangel am Notwendigsten bestimmt wird. Was ist aus den Menschen, den Frauen Nicaraguas 25 Jahre nach der Revolution geworden? Welche politischen und persönlichen Errungenschaften und Verluste haben ihr Leben verändert? Welche Bedeutung kommt den einstigen Träumen von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit heute zu, und inwieweit konnten die großen Ziele der Revolution tatsächlich verwirklicht werden?

Diesen Fragen widmet sich die Dokumentation Unser Amerika, wobei die Regisseurin selbst in der Funktion einer Erzählerin den Film begleitet, der weniger eine nüchterne Darstellung als die engagierte Hommage an ein von Natur- und politischen Katastrophen gebeuteltes Land und seine Menschen ist, die innerhalb üppiger, landschaftlicher Schönheit oder stürmischer Verwüstung nicht müde werden, ihren Überlebenskampf immer wieder neu zwischen resignativem Fatalismus und verblüffend kreativer Improvisation dennoch tapfer und mit erstaunlicher Fröhlichkeit zu gestalten.

Mit der Präsidentschaft Anastasio Somozas im Jahre 1937 begann die schreckliche Epoche der Herrschaft dieser Familie in Nicaragua, die mit diktatorischen Mitteln die Macht und vor allem den bescheidenen Reichtum des Landes vollständig übernahm, um die Bevölkerung, die in Armut und Dreck weit gehend von schulischer Bildung ausgeschlossen war, systematisch auszubeuten und zu unterdrücken. Kaum ein anderes Land war bereits zuvor so heftig von postkolonialen Bürgerkriegen und ihren Folgen seit der Unabhängigkeit von der spanischen Krone im Jahre 1821 erschüttert worden, so dass es Somoza, der seine (außen)politische Ausrichtung stets an jener der USA orientierte, immer wieder gelang, im Schatten der ihm wohl gesonnenen Weltmacht seine Regierung der Willkür über ein ausgezerrtes Volk auch angesichts massiver Proteste und Unruhen zu stabilisieren.

Als sich in den späten siebziger Jahren jedoch sogar der Unmut der privilegierten Unternehmer zu offenem Protest und Widerstand gegen die zunehmende Skrupellosigkeit und Habgier der Somozas regte, vollzog sich schließlich das, was noch kurz zuvor auch von der Weltöffentlichkeit als absolute Utopie bezeichnet wurde: Unter Führung der Befreiungsbewegung FSLN, die im Sinne der antiimperialistischen Überzeugung des Guerillaführers Augusto César Sandino auch den bewaffneten Kampf gegen die Diktatur befürwortete, wurde Somoza schließlich gestürzt und floh im Juli 1979 in die USA, nicht ohne sämtliche Kassen des Staates zu plündern, so dass das öffentliche Leben vollständig zum Erliegen kam.

Es blieb ein Land der zahlreichen Opfer und Verwüstungen zurück, hoch verschuldet und mittellos, und doch gelang ein schleppender Wiederaufbau mit radikalen Reformen der sandinistischen Sozialpolitik. In dieser desolaten Situation begann nun der Terror der USA unter der Präsidentschaft Ronald Reagans, der als so genannter „Contra-Krieg“ in die Geschichte einging, während dessen es sich der Wirschaftriese zur Aufgabe machte, den „marxistisch-leninistischen“ Zwerg Nicaragua auf allen möglichen Ebenen zu bekämpfen. Selbst die Verurteilung durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag konnte den zerstörerischen Fanatismus der selbst ernannten Weltmacht kaum stoppen- ein Umstand, der die internationale Politik erheblich erschütterte.

Heute lebt die nicaraguanische Bevölkerung wie zuvor in Armut, und zahlreiche soziale Errungenschaften der Sandinisten wurden auf Grund von wirtschaftlicher Not wieder abgeschafft. Doch es ist eines der Motive Kristina Konrads, ihr filmisches Porträt eben nicht am Scheitern der Revolution zu orientieren, sondern an der stellenweise rührenden Tapferkeit besonders der Frauen des Landes, die niemals aufgeben, an die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit ihres Umsturzes der Diktatur zu glauben und unter permanentem Verzicht auf banale Notwendigkeiten für ein würdevolles Leben in ihrem Land zu kämpfen.

Als Protagonisten in Unser Amerika begegnen wir Frauen, die während der Revolution in Bataillonen kämpften und sich heute sozial engagieren, über einen alten Mann der indigenen Volksgruppe, der Zeit seines Lebens für deren Rechte eintrat, bis hin zu verstorbenen Dichtern, Guerilleros und Diktatoren den unterschiedlichsten Gesichtern Nicaraguas. Wer sich auch jenseits von fair gehandeltem Kaffee in Weltläden für das Leben und die Politik dieses Landes interessiert, findet mit der Dokumentation von Kristina Konrad einen bewegenden Zugang auf persönlicher und politischer Ebene, der trotz des Ausmaßes an Elend weniger Mitleid als Bewunderung für seine Menschen hervorruft.

„Alles ist anders, wenn du dich entschieden hast.“, lautet der Untertitel dieser Dokumentation, und es ist möglicherweise ihre zentrale Aussage, dass für eine Entscheidung gegen eine Diktatur mit all ihren Folgen kein Preis zu hoch ist.
 

Unser Amerika

Wer bei Amerika sogleich nur an die USA denkt, wird hier enttäuscht werden, oder auch nicht, denn Unser Amerika richtet seinen Fokus auf ein anderes Amerika.

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Meinungen

Susan · 08.01.2010

Warum nennt die Autorin den Film "Unser Amerika"? Kann mir hier jemand weiter helfen.

Anton Kulmus · 05.11.2005

Dieser Film ist hervorragend gemacht. Weil ich schon einige Male in Nicaragua war, sind mir die Verhältnisse einiger Massen bekannt. Für Leute, die noch nie in einem solchen Land waren, dürfte dieser Film sehr verständlich sein. Es wäre u.U. sinnvoll, die Situation der Frauen in Nicaragua heute deutlicher zu zeigen: Z.B. Arbeitsverhältnisse in einer Zona franca.
Wo kann man eine DVD erwerben? akulmus@gmx.de