Ummah - Unter Freunden (2013)

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Neues aus Neukölln

Neukölln ist Berlins Vorzeige-Problembezirk (im Gegensatz zum Wedding, über den lieber niemand redet). Kein Wunder also, dass Cüneyt Kayas Drama UMMAH – Unter Freunden eben hier angesiedelt ist. Darüber, dass Neukölln inzwischen eher für die Hipster als für Migranten bekannt ist, sieht Kaya großzügig hinweg und nimmt die arabischstämmige Diaspora in den Blick.

Obwohl der deutsche Daniel (Frederick Lau), Ermittler beim Verfassungsschutz, im Zentrum der Handlung steht, gibt Regisseur Cüneyt Kaya den arabischstämmigen Figuren im Film nicht nur eine unabhängige Stimme, sondern auch eine eigene Perspektive. Abbas (Kida Khodr Ramadan) und Jamal (Burak Yigit), die Daniel mit offenen Armen in ihren Freundeskreis aufnehmen, können sich hier offen über den merkwürdigen Deutschen austauschen, Sorgen und auch Misstrauen äußern, bis auch wir nicht mehr sicher sind, was Daniel im Schilde führt. Zu keinem Zeitpunkt werden sie als zwielichtige Figuren inszeniert. Unsere Zweifel ihnen gegenüber, so merken wir im Laufe des Films, entspringen lediglich den eigenen Vorurteilen. Haben wir erst einmal verstanden, dass die bärtigen Männer mit dem arabischen Akzent in dieser Geschichte nicht die Bösen sind, geht uns die Diskriminierung, die sie erleiden, an die Nieren. So werden Abbas und Jamal auf Grund ihres Aussehens grundlos von der Polizei verhaftet. Die Beamten treten den beiden Männern erschreckend respektlos gegenüber. „Ich muss zu meiner Familie“, bittet Abbas. Doch das interessiert niemanden.

Cüneyt Kaya kann nicht nur Vorurteile widerlegen, er erlaubt dem Zuschauer auch einen sehr authentischen Einblick in die arabische Diaspora in Berlin. Der Koranunterricht einer Männergruppe wird auch für uns zu einer inspirierenden Lehrveranstaltung und die Gastfreundschaft und Fürsorge der Gemeinschaft für ihre Mitglieder wie auch den Außenseiter Daniel berühren uns. Manch eine kulturelle Gepflogenheit mag dem deutschen „Eindringling“ fremd vorkommen, wie beispielsweise das laute Verkünden von Geldgeschenken bei einer Hochzeitsveranstaltung, doch niemals geben diese Sitten und Bräuche Anlass zur Belustigung. Dabei zeichnet Cüneyt Kaya ein durchaus differenziertes Bild der Neuköllner Subkultur, verschweigt weder den Drogenhandel, noch die Vorurteile der arabischen Migranten den Deutschen gegenüber. So gelingt es ihm, einen beidseitigen Aufruf zu Verständnis und Toleranz zu formulieren.

In diesem Zusammenhang ist es höchst bedauerlich, dass Frauen in Kayas Inszenierung auffällig abwesend sind. Die klassische Kopftuchdiskussion wird am Rande aufgegriffen, jedoch nicht intensiviert. Bis auf zwei verschleierte Kindergärtnerinnen und Daniels moderne afghanische Nachbarin Dina (Mona Pirzad), die für ein Leben ohne Kopftuch einsteht, treten keine erwachsenen weiblichen Figuren auf. Obwohl Abbas und Jamal beide verheiratet zu sein scheinen, spielen ihre Frauen für die Geschichte nicht nur keine Rolle, sie sind für den Zuschauer schlicht unsichtbar. Unnötig zu sagen, dass UMMAH – Unter Freunden auch im Bechdl-Test durchfällt. Während dies im Kontext der patriarchal strukturierten arabischen Gemeinschaft durchaus logisch erscheint, wäre im Kontext der Aufklärungsabsicht dieses Films ein stärkerer Fokus auf das Frauenbild des Islams wünschenswert und mit Sicherheit auch erhellend gewesen.

Das interessante an Ummah – Unter Freunden ist jedoch, dass der Blick in die Berliner Multi-Kulti-Szene nicht das Thema des Films, sondern nur dessen Ausgangsbasis darstellt. Auch wenn Cüneyt Kaya hier durchaus die Probleme von Berlinern mit Migrationshintergrund anspricht, ist das Thema seines Films ein anderes. Auf der einen Seite geht es um den Wunsch nach Gemeinschaft. Daniel hat sich gerade aufgrund eines intensiven Einsatzes in der rechten Szene von seinem Job zurückgezogen. Er ist einsam und traumatisiert. In Abbas und Jamal findet er nicht nur neue Freunde, sondern auch eine Ersatzfamilie, die bereit ist, für ihn einzustehen. Daniel wiederum öffnet sich für ihre kulturell bedingten Werte und Normen. Doch es gibt noch eine weitere Ebene in Ummah – Unter Freunden, die von erstaunlicher Aktualität ist. Von Beginn an erscheinen Daniels Einsatz in der rechten Szene und die Arbeit des Verfassungsschutzes zwielichtig. Die Polizisten, die im Laufe der Handlung auftreten, repräsentieren nicht Recht und Ordnung, sondern Willkür und Machtmissbrauch. Wie auch für Edward Snowden kommt für Daniel der Punkt, an dem er sich entscheiden muss, ob seine Loyalität dem Verfassungsschutz oder seiner eigenen Vorstellung von Gerechtigkeit gehört.

Durch seine nüchterne Inszenierung verhindert Cüneyt Kaya eine unnötige Dramatisierung von Daniels Geschichte. Lange Einstellungen und eine oft distanzierte Perspektive vermitteln den Eindruck, die Kamera würde hier mehr beobachten als inszenieren. Diese Ästhetik verleiht dem gesamten Film große Authentizität, die durch das Spiel von Kida Khodr Ramadan zusätzlich verstärkt wird. Der deutsche Schauspieler libanesischer Abstammung gibt den Ramschladen-Besitzer Abbas derart überzeugend und charmant, dass sich wohl jeder Berliner Zuschauer schmunzelnd an seinen Kioskbesitzer oder Falafelmann des Vertrauens erinnert fühlt. Cüneyt Kayas Kenntnis des Neuköllner Milieus ist spürbar und verleiht seinem Film große Natürlichkeit. Eine Ausnahme hiervon bilden Daniels Tonaufzeichnungen. Die akustischen Tagebücher wirken in ihrer Poetik ein wenig pathetisch und fehl am Platz.

Ummah – Unter Freunden ist ein kleiner Film, der mit einem großen Thema und überzeugenden Schauspielern – allen voran Hauptdarsteller Frederick Lau – problemlos eine Kinoleinwand füllen kann. Cüneyt Kaya zeigt, dass das deutsche Kino mehr zu bieten hat, als spröde erzählte Beziehungsdramen und platte Romantic Comedy, dass es selbstkritisch und am Zahn der Zeit agieren kann und dass Lokalkolorit nicht nur im bayrischen Heimatfilm zu finden ist.
 

Ummah - Unter Freunden (2013)

Neukölln ist Berlins Vorzeige-Problembezirk (im Gegensatz zum Wedding, über den lieber niemand redet). Kein Wunder also, dass Cüneyt Kayas Drama „UMMAH – Unter Freunden“ eben hier angesiedelt ist.

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