Zwischen den Jahren (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Leben und Sterben in der Zwischenwelt

Becker (Peter Kurth) ist kein Mann von vielen Worten; „Lass doch mal das Gequatsche!“ scheint sein Lieblingssatz zu sein, mit dem er seinen Kollegen Barat (Leonardo Nigro) anherrscht. Dabei ist der so ziemlich der einzige Freund, den der schwammige Wachmann beim Werkschutz eines Unternehmens irgendwo in der Peripherie des Großraumes Köln hat.

Barat war früher mal Bulle und hat dann „Scheiß gebaut“, aber das ist nichts im Vergleich zu Beckers Lebensgeschichte, der im Knast war, weil er bei einem Überfall eine Frau und ein Kind „weggemacht“ hat. Dafür saß er, der früher einer kriminellen Rockerbande angehörte, 18 Jahre lang im Gefängnis. Nun ist er wieder draußen und versucht, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Doch für mehr als eine abgewrackte Bude in einem Plattenbau und einen miesen Job in der Nachtschicht des Werksschutzes reicht es nicht. Gerade als sich der schweigsame Mann ein klein wenig zu öffnen scheint und sogar eine Beziehung mit der Putzfrau Rita (Cathrin Striebeck) eingeht, merkt er, wie ihn seine Vergangenheit, mit der er abgeschlossen zu haben glaubte, wieder einholt. Von der S-Bahn aus, die ihn zur Arbeit bringt, sieht er Dahlmann (Karl Markovics) wieder, dessen Frau und Kind er auf dem Gewissen hat. Diese flüchtige Begegnung erweckt in dem trauernden Witwer – wie Becker ist auch er nun ein Gestrauchelter – den Wunsch nach Rache. Und so stellt er Becker nach, bricht in dessen Wohnung ein, tötet dessen Hund und macht unmissverständlich deutlich, dass er nicht aufzuhören gedenkt, auch wenn dieser Wunsch nach Vergeltung kein eindeutiges Ziel, kein vorbestimmtes Ende hat. Becker sieht schließlich nur noch einen Ausweg, um sich zur Wehr zu setzen…

Es gibt Hoffnung für das deutschsprachige Kino – und das liegt nicht zuletzt an der Renaissance des Genrefilms, der in den vergangenen Jahren einige der spannendsten Entdeckungen auf die Leinwand gebracht hat: Nikias Chryssos’ Der Bunker, Akiz’ Der Nachtmahr, Till Kleinerts Der Samurai, Stefan Richters Einer von uns oder Thomas Stubers Herbert.

Lars Hennings Zwischen den Jahren fügt sich nahtlos in diese überaus spannende Entwicklung ein – und das liegt nicht nur daran, dass er mit Peter Kurth aufwarten kann, der schon in Herbert gezeigt hat, dass er exakt die richtige Physis und das darstellerische Vermögen mitbringt, um Figuren vom Rande der Gesellschaft mit atemberaubender Präsenz zu erfüllen. Der von ihm gespielte Ex-Knacki und Wachmann Becker wirkt wie ein spiegelverkehrter Seelenverwandter von Stubers strauchelndem Boxer. Und vielleicht kann man es auch so sehen: So wie der eine Film seinen Protagonisten schon im Titel hartnäckig duzt, verweigert Zwischen den Jahren der Hauptfigur einen Vornamen – beide sind unvollständig, keine „vollwertigen“ Mitglieder der Gesellschaft, sondern Randfiguren und Ausgestoßene – immer kurz vor dem endgültigen Absturz (oder schon darüber hinaus), aber stets mit dem Mute der Verzweiflung gegen das Abgleiten in die Hoffnungslosigkeit oder für die Erlösung kämpfend.

Bemerkenswert ist dabei, wie zielsicher Lars Hennings Drehbuch und die Kamera (Carol Burandt von Kameke) immer wieder auf Grauzonen, Zwischenräume und Randbereiche (auch zeitlicher Natur, wie schon der Filmtitel andeutet) einfängt und thematisiert, wie der Film soziale Räume und Milieus beschreibt, mal schmerzhaft nah wie zu Beginn, wenn der Zuschauer mit wenigen Bildern die ganze Tristesse eines Lebens in allumfassend prekären Verhältnissen gezeigt bekommt, ohne dass hier sozialvoyeuristische Impulse bedient werden. Dann springt die Kamera in einzelnen Szenen weit weg, schließt Bilder von Überwachungskameras und Google-Earth-Zooms mit ein und geht so spürbar auf Distanz. Überhaupt ist die Dynamik der Kamera eines der herausragenden Merkmale des Films: Wenn sich Dahlmann und Becker in einem Café gegenübersitzen, weil sich der Ex-Sträfling eine Aussprache erhofft, rückt der Bildausschnitt die beiden Kontrahenten und Leidensgenossen ganz an den Bildrand, um so die Unüberbrückbarkeit der ihnen auferlegten Figurenkonstellation augenfällig zu machen.

Psychologisch schlüssig, mit genauer Beobachtungsgabe sowie treffender Verknappung im Drehbuch gelingt Zwischen den Jahren der Spagat zwischen Drama und Thriller, sozialrealistischer Genauigkeit und punktueller Härte – eine Mischung, wie man sie in den letzten Jahren vor allem im belgischen Kino gesehen hat. Lars Hennings Film ist eine Verheißung, dass sperrige Stoffe in den nächsten Jahren vermehrt den Weg auf die Leinwand finden werden – und gerade in diesem Falle ist das genau der Ort, wo man sie sehen sollte.

Zwischen den Jahren (2017)

Becker (Peter Kurth) ist kein Mann von vielen Worten; „Lass doch mal das Gequatsche!“ scheint sein Lieblingssatz zu sein, mit dem er seinen Kollegen Barat (Leonardo Nigro) anherrscht. Dabei ist der so ziemlich der einzige Freund, den der schwammige Wachmann beim Werkschutz eines Unternehmens irgendwo in der Peripherie des Großraumes Köln hat.

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Meinungen

Detlev Mahnert · 29.03.2017

Ein bedrückender Film, atmosphärisch außerordentlich dicht, mit einem ungewöhnlich präsenten Peter Kurth in der Hauptrolle - nur ganz selten öffnet sich dieses vom Leben gezeichnete und die Ausweglosigkeit seiner Lage widerspiegelnde Gesicht zu einem schwachen Lächeln. Nur kurze Momente der Entspannung - das Geschenk für den Gefängnispfarrer, das Spielen mit Timo.
Eindrucksvoll auch Catrin Striebeck, und absolut natürlich der Darsteller des kleinen Timo.
Die langsame Erzählweise macht den Film freilich ungeeignet für Mainstream-Filmpaläste: Kein Popcorn-Kino...

Ulrike Vogt · 21.03.2017

Ein hervorragender Film mit sehr gut besetzten Schauspielern. Das open end hat uns gefallen. Der Film hat uns auch viel Diskussionsstoff gegeben. Einfach hervorragend.