Zeit für Legenden

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Ruhm und Leere

Jesse Owens ist zweifellos eine Ikone des 20. Jahrhunderts, nicht nur in sportlicher Hinsicht: Er stahl den Nazis die Show, ausgerechnet im Berlin des Jahres 1936, als eben jene neuen Machthaber dem Ausland zumindest schon einmal auf sportlicher Ebene ihre vermeintliche Überlegenheit der „arischen Rasse“ demonstrieren wollten. Da halfen – aus NS-Sicht – auch die schönsten Aufnahmen Riefenstahls nichts mehr: Der muskulöse US-Boy mit dem permanenten, dazu noch lässig-markanten Siegerlächeln, war unumstritten der Star der Spiele.
Mit jeder seiner Goldmedaillen – am Ende waren es sensationelle vier Stück innerhalb nur weniger Wettkampftage – pisste er der Goebbelschen Propagandamaschinerie nur noch mehr gegen das Schienbein, während dem ansonsten ebenfalls gerne dauergrinsenden Minister auf der Tribüne recht schnell die Spucke wegblieb angesichts solcher Fabelleistungen. Jesse Owens war somit nichts weniger als der unumstrittene olympische Sonnenkönig jener Tage, gleichzeitig hatte er — vor den Augen der Weltpresse – die oft geschlossen vertretene NS-Riege auf das Heftigste düpiert: Schon zu Lebzeiten war er das, was man heute – häufig viel zu rasch – eine echte Legende nennt. Trotzdem hatte ihn der weiße Präsident Roosevelt zeitlebens kein einziges Mal zum Dank ins Weiße Haus geladen: Welch persönliche Niederlage muss das für den größten Leichtathleten seiner Zeit im Innersten gewesen sein!

Kein Wunder also, dass sich die chronisch nach Helden lechzende US-Filmindustrie eines Tages auch dem Leben jenes Mannes annehmen musste. Unterstützt durch einen internationalen Cast mit allerhand renommierten Namen wie dem Nachwuchsstar Stephan James – bekannt seit seiner Schauspieler-Performance in Selma – als Wundersportler oder Jeremy Irons und William Hurt als ungleiche Sportfunktionäre Avery Brundage und Jeremiah Mahoney wäre diesem deutsch-amerikanischen Projekt an sich schon etwas zuzutrauen gewesen: Erst recht im Zuge dieser historischen Steilvorlage zwischen Siegerkranz-Jubel und wahnwitziger „Rassenhygiene“ im Europa der 1930er Jahre wie ebenso in den Vereinigten Staaten, der Heimat des Ausnahmeathleten Owens.

Doch was der Zuschauer in Stephen Hopkins’ Zeit für Legenden, so heißt der fertige – zum Teil in Berliner Originalkulisse gedrehte Film – nun zu sehen bekommt, ist über weite Strecken ein ebenso lust- wie farbloses Sportgeschichtsdrama nach Schema X, absolut frei von Brüchen. Außerdem — und das ist diesem historischen Figurenpersonal (inklusive Goebbels, Riefenstahl und Brundage) eigentlich unglaublich: Es enthält keinen einzigen ambivalent gezeichneten Charakter! Und was noch ärgerlicher ist: Es hangelt sich in den wenig temporeichen Stadien- wie Trainingsszenen – ikonografisch durchaus am Riefenstahl-Stil geschult – von einer Entscheidung zur nächsten, anstatt sich auf das echte menschliche Drama des Jesse Owens – Stichpunkt Rassenhass auch auf dem heimischen Trainingsgelände in den USA – zu konzentrieren.

Und selbst während der langen finalen Olympia-Sequenz in Berlin ist der deutsche Kontrahent Carl Ludwig Hermann Long, genannt „Luz“ (David Kross) in erster Linie immer ein wenig zu brav, zu kameradschaftlich: David Kross spielt ihn zwar wenigstens noch halbwegs lebendig, was dann aber im Speziellen auf die Verkörperung Barnaby Metschurats (als extrem hölzerner Goebbels) und Carice van Houtens (als geschichtsgeklitterte, sorglos-luftige Riefenstahl) nun gar nicht mehr zutrifft: Zwei glatte Fehlbesetzungen.

Das größte Manko stellt in Zeit für Legenden allerdings das Drehbuch aus der gemeinsamen Feder von Joe Shrapnel und Anna Waterhouse dar, mit dem eben diese genannten, eigentlich grundsoliden Schauspieler am Set hantieren mussten: Ihnen ist deshalb, so bizarr das vielleicht auch im ersten Moment klingen mag, nicht durchwegs der Vorwurf zu machen, dementsprechend ausdruckslos wie klischeebeladen zu agieren. Vielleicht stand ihr einseitiges, wenig spannungsreiches Spiel ja am Ende genau so in Shrapnels bzw. Waterhouses Drehbuchzeilen?

Nur nichts (über-)betonen, lautet die unausgesprochene Devise des Autorenpaares, lieber manch geschichtliches Leck im Plot mit möglichst unverbindlichen, prototypisch US-amerikanischen Trainer-Phrasen („Du gehörst ab jetzt mir“ oder „Lass dich nie ablenken“) zukleistern. Denn welche Geschichte das Drehbuchgespann überhaupt erzählen wollte, bleibt bis zum abrupten, sehr didaktisch gehaltenen Schluss im Dunkel verborgen. Soll Zeit für Legenden etwa ein Heldendrama sein, eine Sportgeschichtsstunde, eine Prä-Zweite-Weltkrieg-Story oder schlichtweg ein hollywoodeskes, melodramatisches Biopic über Jesse Owens?

Unrunde Szenen (wie im Friseursalon oder an der Universität) gibt es hierfür zuhauf, was zugleich an der seltsam unausgewogenen Regie von Stephen Hopkins (Blown Away / Californication) liegen mag, obwohl derselbe Mann mit dem freigeistigen Biopic The Life and Death of Peter Sellers 2004 grundsätzlich schon einmal bewiesen hatte, dass er über ein Händchen für derartige Stoffe verfügt. Stattdessen lädt er eine Reihe wenig gelungener Szenen obendrein noch mit einem episch angelegten, süßlich schmeckendem Schwermutsscore von Rachel Portman (Emma / Chocolat) auf und bleibt lange Zeit auffällig unpräzise in der Personenführung.

Zusammen mit dem blutarmen Setdesign von David Brisbin, der in seiner Vorbereitung eindeutig zu viele deutsche Geschichtsschulbücher studiert hatte, so glatt gebügelt und gefühlt zehntausendmal gesehen hat er jene berühmten Straßenfotografien im Stile von „Deutsche wehrt euch! Kauft nicht bei Juden“ Eins-zu-eins-in-Szene gesetzt, dass sich vielen Zuschauern die Haare aufstellen. Kurzum: Zeit für Legenden ist Spannungsarmut hoch zwei, das aber mit vollem Karacho.

Zeit für Legenden

Jesse Owens ist zweifellos eine Ikone des 20. Jahrhunderts, nicht nur in sportlicher Hinsicht: Er stahl den Nazis die Show, ausgerechnet im Berlin des Jahres 1936, als eben jene neuen Machthaber dem Ausland zumindest schon einmal auf sportlicher Ebene ihre vermeintliche Überlegenheit der „arischen Rasse“ demonstrieren wollten.
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