Young Victoria

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Die "Mutter Europas" im Rausch der Liebe

Von 1837 bis 1901 war Königin Victoria die Herrscherin über das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland – eine ungeheure Zeitspanne, wenn man bedenkt, dass die facettenreiche und von Historikern wechselseitig betrachtete Monarchin nicht nur die turbulente 1848er Revolution überstand; nein, auch viele andere, tief einschneidende historische Ereignisse waren nicht imstande, sie aus dem Thron zu werfen – wie etwa die Demokratisierung Europas, die Kolonialisierung Asiens oder die Industrialisierung weiter Produktionsabläufe in England und in anderen Teilen der Welt; Ereignisse, die zuletzt in ein technisches, antifeudalistisches Zeitalter führten. Viel Stoff für einen Film, vielleicht zu viel Stoff. Darum haben sich die Filmemacher von Young Victoria dafür entschieden, nur die erste Lebensperiode der später grimmig und oft bieder auftretenden Herrscherin zu verarbeiten und ein neues, bislang unbekanntes Bild einer aufstrebenden und hart ins Gericht gehenden Frau zu zeichnen.
Man kann durchaus sagen, dass die erste Regierungszeit Victorias genug erzählenswerte Fakten für ein spannendes und abwechslungsreiches Biopic bereithält. Beispielsweise war lange Zeit ungewiss, ob die Prinzessin (gespielt von Emily Blunt) wirklich auf den Thron ihres Onkels, König Wilhelm IV. (Jim Broadbent), folgen würde: Vor ihrem 18. Geburtstag, nach dem frühen Tod ihres Vaters, schlich sich nämlich der Nachlassverwalter Herzog von Kent (Mark Strong) an Victoria und ihre Mutter heran, um die Prinzessin auszubooten und unterschwellig die Macht an sich zu reißen. Im Film ist diese schwierige Beziehung in einer emotionalen Szene verdichtet, in der der Wut entbrannte Herzog von Kent, Sir John Conroy, der krank im Bett liegenden Victoria ein Blatt Papier zu unterschreiben befiehlt, das ihn zum Vormund der zukünftigen Regenten machen soll. Doch Victoria lässt sich nicht beirren und wirft dem Schurken, ganz Herr ihrer Sinne, das Papier aus der Hand. Sie spürt, dass sie sich als unerfahrene Prinzessin von vielen Neidern und Intriganten umgeben wissen muss. Einerseits zeugt diese Eröffnungsszene davon, dass der Film die historischen Eckpunkte vor und kurz nach der Krönung Victorias in ekstatischer Prägnanz zu verdichten beabsichtigt, und andererseits apostrophiert diese wüste Szene den Anspruch der Filmemacher auf historische Authentizität. Sowohl dieses Ereignis als auch ein anderer Vorfall — die alkoholisiert gehaltene Rede König Wilhelms, in der der Monarch während eines Festbanketts zu Victorias 18. Geburtstag klarmacht, dass er glücklich sei, dass sie und nicht ihre unfähige Mutter die Staatsgeschäfte in Zukunft übernehmen werde –, soll in dieser Ruppigkeit tatsächlich stattgefunden haben.

Doch der eigentliche Kern des Films ist die Strategie, sich in das emotionale Innenleben der späteren Königin hineinzufühlen. Es geht – wie soll es anders sein – um Liebe, Neid, tiefe Gefühle. Victoria glaubt sich, bis sie volljährig wird, eingesperrt wie ein hübscher Vogel in einem goldenen Käfig. So kommt die Bekanntschaft mit dem attraktiven deutschen Prinzen Albert von Sachsen-Coburg (Rupert Friend), einem Cousin mütterlicherseits, gerade recht; Victoria lässt sich von seinem Geist, Witz und seiner Gönnerhaftigkeit inspirieren, sie wächst zur Frau und gleichsam zur Königin eines Imperiums heran. Genau um diese Liebesgeschichte und um den Einfluss des ebenso an der Königin interessierten Tory-Politikers Lord Melbourne (Paul Bettany), dem tatsächlich ein inniges Verhältnis zu Victoria nachgesagt wurde, geht es in dem Film.

Der Regisseur Jean-Marc Vallée will die Imposanz der feudalen Welt nicht in Geschichten, sondern in Bildern einfangen, also den Blick etwas nostalgisch, aber nicht übertrieben wehmütig auf die Vergangenheit zurückwerfen wie etwa auf das herrschaftliche Ambiente im Buckingham Palace des 19. Jahrhunderts, der speziell für Königin Victoria als erster Sitz für sie und ihre Familie fertig gestellt wurde. Wir sehen Bälle, Festakte, manchmal einige Demonstranten, die gegen die Einmischung Victorias in die Politik des Parlaments protestieren, hübsche Kleider, authentische Kostüme, Masken (die ganze Ausstattung wurde zurecht mit einem Oscar prämiert). Und immer wieder Victoria und ihre Männer. Doch eine stimmig dramatisierte Handlung fehlt, so dass zum Schluss – wie etwa der tatsächlich nie stattgefundene Mordanschlag an Victoria und die opferbereite Rettung durch Prinz Albert, dem späteren Ehemann, beweist – die Drehbuchautoren genötigt waren, historisch Falsches in die Handlung einzuarbeiten, um den etwas betulichen Verlauf mit phantasievollen Schock-Momenten aufzupeppen. Schlussendlich verlässt man den Kinosaal mit dem Gefühl, ein farbenprächtiges und nicht uninteressantes, jedoch leicht fragmentarisches Historienepos gesehen zu haben – einen gänzlich überzeugenden Film jedoch nicht.

Young Victoria

Von 1837 bis 1901 war Königin Victoria die Herrscherin über das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland – eine ungeheure Zeitspanne, wenn man bedenkt, dass die facettenreiche und von Historikern wechselseitig betrachtete Monarchin nicht nur die turbulente 1848er Revolution überstand; nein, auch viele andere, tief einschneidende historische Ereignisse waren nicht imstande, sie aus dem Thron zu werfen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

mc.branch · 12.05.2010

Der Film ist sehr gut gemacht. Die Recherche ist fehlerfrei und die Darsteller überzeugen in ihren Rollen. Der Film verklärt nicht Victoria zeigt aber auch wie sich eine solche Persönlichkeit entwickeln konnte. Ein Film den man nicht missen sollte. Auch die unerwartete Liebesgeschichte zwischen Victoria und Albert ist etwas besonderes die im Film sehr gut gezeigt wird.