Xenia

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Youth Cinema aus Griechenland

Wenn ein Film, der eine vergleichsweise überschaubare Geschichte entfaltet, 128 Minuten dauert, liegt es wohl nahe, diesem Werk Überlänge vorzuwerfen. Sind einem die zentralen Figuren allerdings so schnell ans Herz gewachsen, wie dies in Panos H. Koutras‘ Xenia der Fall ist, kommt einem ein solcher Vorwurf zu keiner Zeit in den Sinn. Das griechische Coming-of-Age-Roadmovie ist in seiner Anlage weniger handlungs- als vielmehr charakterorientiert – und daher ebenso facettenreich und wild ausgestaltet wie die beiden jungen Helden der Erzählung.
Der fast 16-jährige Dany (Kostas Nikouli) ist zur Hälfte Grieche, zur Hälfte Albaner. Als seine alkoholkranke Mutter – eine Migrantin – verstirbt, reist er von Kreta nach Athen, um seinem älteren Bruder Odysseas (Nikos Gelia), genannt Ody, die Todesnachricht zu überbringen. Ody droht indes die Abschiebung, da der bald Volljährige nach seinem 18. Geburtstag keine Aufenthaltsgenehmigung mehr hat. Die ungleichen Brüder begeben sich deshalb nach Thessaloniki, wo ihr Vater Lefteris (Yannis Stankoglou) angeblich mit seiner neuen Familie wohnt. Lefteris, der Odys und Danys Mutter vor vielen Jahren verließ und inzwischen Kandidat der rechtsextremen Partei ist, soll die Vaterschaft anerkennen und seinen zurückgelassenen Söhnen finanziell ein bisschen aushelfen…

Die Geschichte von der Suche nach dem verlorenen Vater ist nicht neu – und dass sich Lefteris, der sich in einem Fernsehbeitrag stolz als „Patriot“ bezeichnet, letztlich eher als *Idiot* erweist, dürfte kaum eine Überraschung sein. Der Reiz dieser Odyssee liegt in erster Linie in den beiden Reiseteilnehmern und in der Art und Weise, wie die Tonart des Films immer wieder vom Tragischen ins Komische, vom Zärtlich-Träumerischen ins Hitzig-Rohe umschlägt – was bisweilen an die frühen Arbeiten von Pedro Almodóvar sowie an die Werke von Gregg Araki erinnert. Während der impulsive Dany sein zerrissenes Seelenkostüm mit einem grellen Look (u.a. bestehend aus Piercings, Blondierung und Undercut sowie Muscle-Shirts und pinken Chucks) kaschiert, wirkt Ody deutlich geerdeter. Ersterer hat einen ausgeprägten Hang zur Dramatik und eckt mit seiner auffälligen Erscheinung und seinem losen Mundwerk mehr als einmal an, Letzterer agiert eher zurückgenommen. Was die beiden verbindet, ist die Liebe zur Musik: Die Tanzeinlagen – zu einem Song der italienischen Popsängerin Patty Pravo sowie zu „Rumore“ von Raffaella Carrà – gehören ebenso zu den Highlights der Inszenierung wie Odys gesangliche Darbietung im Casting für die Talentshow „Greek Star“. Kostas Nikouli und Nikos Gelia glänzen in ihren Parts; insbesondere Nikouli ist eine echte Entdeckung, da er über die nötige Intensität verfügt, um Danys psychische Instabilität wirksam zu verkörpern.

Xenia geht streckenweise ins Märchenhafte über; für eine gehörige Portion Surrealismus sorgt nicht zuletzt ein weißes Kaninchen namens Dido. Doch bei aller Poesie in Form und Inhalt weicht der Film nicht vor der Realität zurück. Das Drehbuch, das Panos H. Koutras gemeinsam mit Panagiotis Evangelidis verfasst hat, erzählt von Xenophobie und Homophobie und von der Gewalt, die damit unweigerlich einhergeht. Der Titel des Werks bezieht sich auf ein marodes, verlassenes Hotel, in welchem sich Dany und Ody vorübergehend verstecken und welches einst im Rahmen des „Xenia-Programms“ der „Griechischen Zentrale für Fremdenverkehr“ erbaut wurde. Das Wort „Xenia“ steht im Griechischen für „Gastfreundschaft“ – also für eine Tugend, die den beiden Brüdern von ihrem Umfeld weitgehend nicht entgegengebracht wird. Koutras‘ Film ist engagiert und aufregend, schön und traurig zugleich – und deshalb sehr sehenswert.

Xenia

Wenn ein Film, der eine vergleichsweise überschaubare Geschichte entfaltet, 128 Minuten dauert, liegt es wohl nahe, diesem Werk Überlänge vorzuwerfen. Sind einem die zentralen Figuren allerdings so schnell ans Herz gewachsen, wie dies in Panos H. Koutras‘ „Xenia“ der Fall ist, kommt einem ein solcher Vorwurf zu keiner Zeit in den Sinn.
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Meinungen

Reinhold Völler · 17.11.2017

Dieser Film ist für mich d i e Entdeckung des Jahres. Außergewöhnliche gut inszeniert und phantastisch rübergebracht.
Bravo auch an Pravo. Diese "Thea" kannte ich noch nicht.