Winnie Puuh

Eine Filmkritik von Lida Bach

Bärenstarker Bilderbuchheld

„Zeit aufzuwachen!“, mahnt sanft die Stimme des Erzählers. Vier Jahre lag der weltbekannte kleine Held im künstlerischen Schlummer. Solange ist es her, dass der letzte Film über ihn auf die Leinwand kam. „Du hast etwas sehr Wichtiges zu tun“, wird ihm gleich zu Beginn verkündet. „Was denn?“, brummt der schlaftrunkene Held (Sprecher: Michael Rüth). Brummt nicht missgelaunt, sondern brummt wie es Bären tun und kuschelt sich nochmal ein. Zum Kuscheln wurde er gemacht; das heißt: ausgestopft. Quicklebendig ist er trotzdem in Steven Andersons und Don Halls warmherzigem Zeichentrickspaß, lebendiger als in seinen letzten Filmabenteuern. Darin erlebten seine Freunde mehr als er. Gleich Ferkel (Santiago Ziesmer), Tigger (Joachim Kaps), dem Känguru Kanga (Marie Bierstedt) und Hase (Gerald Schaale) ist der Bär ein Stofftier. Edward Bär heißt er mit bürgerlichem Namen, kurz Teddy genannt. Doch Kinder und Erwachsene nennen ihn Winnie The Pooh.
Pu der Bär, Winnie the Puuh und in der deutschen Synchronfassung seines jüngsten Kinoauftritts nun Winnie Puuh heißt der tollpatschige Stoffbär aus A. A. Milners Kinderbuch, das längst zu den den literarischen Klassiker gehört. Pünktlich zum 85. Geburtstag von „Winnie Puuh“ besinnen sich Anderson und Hall auf den Originalcharakter der durch Merchandising und zahllose Adaptionen konventionalisierten Figur. Einmal platzt der Stoffbär sogar aus den Nähten, doch Nadel und Faden richten das rasch wieder. So etwas kann passieren, wenn man zu viel Honig nascht und von Hand gefertigt ist. Von Hand gestaltet sind auch die in atmosphärischer Dichte und Detailtreue den Originalillustrationen Ernest Shepards nachempfundenen Szenen. So grundverschieden wie in ihrem Äußeren sind Winnie Puuh, sein bester Freund Ferkel, der hyperaktive Tigger und ihr depressiver Esel-Kamerad I-Ah in ihrem Wesen. Im Hundertmorgenwald leben die unterschiedlichen Arten angehörenden Tierfreunde einträchtig zusammen, genau wie im Kinderzimmer von Christopher Robin (Stefan Frederich).

Hier beginnt der fantasievolle Bilderreigen, dessen nostalgischer Charme spielerisch auch Erwachsene bezaubert. Hier erblickte der reale Winnie Puuh die Seiten seiner Bücherwelt: Für seinen Sohn Christopher Robin schuf Milner die in Reimen erzählten Kurzgeschichten, hinter deren Naivität sich Lebensweisheit und feiner Humor verbergen. Vielleicht wird sein Werk oft als unbedarfte Kinderlektüre abgetan, weil der ironische Hintersinn sich nur erschließt, wenn man ebenso wie Puuh auf die verborgenen Werte achtet. Milners Tiercharaktere sind Karikaturen exzentrischer Erwachsener. Erbarmungswürdig niedergeschlagen wie I-Ah, der in Winnie Puuh seinen angehefteten Schweif verliert. Übermütig und überängstlich wie Tigger, der in Monsterverkleidung die anderen unabsichtlich das Fürchten lehrt, während sie noch darum wetteifern, für I-Ah den besten Schweif-Ersatz zu finden. Schulmeisterlich wie Eule (Frank-Otto Schenk), der I-Ahs Schweif näher ist, als die anderen ahnen.

Dass die einem realen Erwachsenen ähnlichste Figur charakterlich blamiert Federn lassen muss, spiegelt die konsequent kindlichen Perspektive von Winnie Puuh. Sprunghaft wechselt der Handlungsfokus, lässt sich ablenken und für nebensächliche Themen begeistern, um dann wiederum auf seine Bedürfnisse zu pochen. Bei Puuh ist es das Bedürfnis nach Honig. „Huny“ wird aus honey bei den Schreibversuchen der Filmfiguren, die ihren Teil zu den amüsanten Missverständnissen beitragen. Die Rechtschreibfehler sind nicht das einzige Motiv, das kongenial an die Buchvorlage anknüpft. Aus dem Bett wird Winnie Puuh in den Film geschüttelt, wo Buchstaben Leitern bilden und übereinander purzeln „…bis er zum nächsten Paragraphen kommt.“

„Ich wünschte, dieser Paragraph wäre länger gewesen“, seufzt einmal der laut Buchvorlage „Bär von sehr geringem Verstand“, der dafür aber eine beinahe unendliche Herzensbildung besitzt. Ist Winnie Puuh nach rund einer Stunde so rasch vorbei wie die Reimgeschichten, stimmt man voller Überzeugung in den Stoßseufzer des kleinen großen Bären mit ein.

Winnie Puuh

„Zeit aufzuwachen!“, mahnt sanft die Stimme des Erzählers. Vier Jahre lag der weltbekannte kleine Held im künstlerischen Schlummer. Solange ist es her, dass der letzte Film über ihn auf die Leinwand kam. „Du hast etwas sehr Wichtiges zu tun“, wird ihm gleich zu Beginn verkündet. „Was denn?“, brummt der schlaftrunkene Held (Sprecher: Michael Rüth).
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