Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

YOLO – Der Film

Die Highschool als Ort der Initiation, des (Liebes-)Glücks und Leids, der Heiterkeit und des Horrors ist spätestens seit … denn sie wissen nicht, was sie tun (1955) und verstärkt seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ein populärer Topos des Kinos und Fernsehens. Die dramatis personae dieser Geschichten kommt nicht selten äußerst klischiert daher; ins Zentrum rücken zumeist jene Figuren, die im schulischen Kastenwesen ziemlich weit unten stehen und sich im Laufe der Handlung entweder mit Witz und Geist nach oben arbeiten oder sich vom schnöden Kampf um Beliebtheit endgültig lossagen – auf komische, tragische oder auch rabiat-blutige Weise.

Das neue Werk der Indie-Filmemacherin Ry Russo-Young (Versuchung – Kannst du widerstehen?) mit dem sperrig-schönen Titel Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie bedient sich zahlreicher Klischees der Highschool-Erzählung, überrascht jedoch zunächst dadurch, dass er die Perspektive der mean girls, einer coolen Clique um vier junge Frauen, wählt, um die Ausgrenzung, das Mobbing und den ganz normalen Wahnsinn in den Klassenzimmern, den Schulfluren und der Kantine zu schildern – als wolle das Drehbuch von Maria Maggenti, welches auf dem gleichnamigen Roman von Lauren Oliver basiert, gewissermaßen den Plot von Carrie aus der Sicht der Schikanierenden statt des Schikane-Opfers zeigen.

Im Mittelpunkt steht Samantha (Zoey Deutch), die mit ihren Freundinnen Lindsay (Halston Sage), Ally (Cynthy Wu) und Elody (Medalion Rahimi) den letzten regulären Schultag vor dem Abschluss erlebt und einer Party am Abend entgegenfiebert, auf der sie erstmals mit ihrem Macho-Freund Rob (Kian Lawley) schlafen will. Der schüchterne Kent (Logan Miller), die queere Anna (Liv Hewson) und die in sich gekehrte Juliet (Elena Kampouris) tauchen in diesem Kosmos anfänglich nur als Randfiguren auf, die von dem Quartett entweder ignoriert, durch Kritzeleien auf der Toilettenwand diskreditiert oder – wie im Falle von Juliet – als „Psycho“ und „Freak“ beschimpft werden. Als die Party durch das plötzliche Erscheinen von Juliet völlig anders als erwartet verläuft, brechen Samantha, Lindsay, Ally und Elody hastig auf – und haben auf nächtlicher Landstraße einen tödlichen Autounfall. Wie einst der von Bill Murray verkörperte Phil aus … und täglich grüßt das Murmeltier wird Samantha diesen Tag fortan immer wieder über sich ergehen lassen müssen – bis ihr klar wird, dass sie sowohl in ihrem familiären als auch in ihrem schulischen Umfeld ein paar entscheidende Dinge ändern muss, um der Zeitschleife zu entkommen und die tragischen Vorfälle um sie herum zu verhindern.

Ry Russo-Young greift zuweilen auf inszenatorische Mittel zurück, die seit den beginnenden 1990er Jahren eigentlich kaum noch ohne Ironie denkbar sind – wenn sie die zentrale Clique etwa in Slow Motion zu R ’n’ B-Klängen top gestylt über den Schulhof schreiten lässt. Als Adoleszenz-Version der 1993 erschienenen Fantasy-Komödie von Harold Ramis ist Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie deutlich weniger originell und clever als das Vorbild, insgesamt aber durchaus solide. Samantha verhält sich gewiss nicht immer richtig, klug und nachvollziehbar – doch wer ernsthaft glaubt, sich im Alter der Protagonistin stets richtig, klug und nachvollziehbar verhalten zu haben, hat diese Lebensphase wohl einfach nur erfolgreich verdrängt. Störender ist, dass der Film im letzten Drittel allzu salbungsvoll-didaktisch gerät, wenn er im Zuge seiner Become-who-you-are-Botschaft die wahren Werte des menschlichen Daseins zutage fördern möchte und aus Samantha eine Märtyrerin macht. Auch dass diese nebenbei noch die große Teenager-Liebe finden muss, wirkt aufgesetzt; gleichwohl werden die romantischen Szenen von Zoey Deutch und Logan Miller sehr empathisch interpretiert und funktionieren deshalb trotz forcierter Dramaturgie und der zum Kitsch neigenden Dialoge recht gut.

Deutch, die bisher meist wenig Geschick in ihrer Rollenwahl bewies, aber all ihre Filme (von Vampire Academy über Dirty Grandpa bis hin zu Why Him?) durch ihr Spiel ansatzweise aufzuwerten vermochte, kann als Schülerin, die zwischen Mitläufertum, Zweifeln und Courage pendelt, überzeugen – nicht zuletzt in den Momenten der (Wieder-)Annäherung zwischen Samantha und ihrer kleinen Schwester Izzy (toll: Erica Tremblay) sowie ihrer Mutter (Jennifer Beals). Die drei Freundinnen von Samantha bleiben in ihren Eigenschaften und Hintergründen indes viel zu vage, um als interessante Charaktere erkennbar zu werden; ebenso ist Samanthas Freund Rob lediglich als gänzlich reizloser Funktionsträger angelegt. Von Liv Hewson als Anna, der die besten Zeilen des Skripts gehören, hätte man gern noch mehr gesehen. Alles in allem lebt Russo-Youngs Werk von einigen einfühlsam gespielten Passagen und ist somit ein unterhaltsamer, wenn auch nicht zwingender Beitrag zur unsterblichen Highschool-Fiktion auf der großen Leinwand.
 

Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Die Highschool als Ort der Initiation, des (Liebes-)Glücks und Leids, der Heiterkeit und des Horrors ist spätestens seit „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ (1955) und verstärkt seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ein populärer Topos des Kinos und Fernsehens.

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