Wanja

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Auf der Suche nach einem Platz im Leben

Wanja: Ein Name, der schillert. Der im osteuropäischen Raum männlich, in Skandinavien aber weiblich ist. Wanja wird im gleichnamigen Film von Carolina Hellsgård von Anne Ratte-Polle gespielt, weiblich, ganz klar — aber hart, ruppig, auch aggressiv und gefühlskalt, immer wieder. Sie duckt sich weg, baut Grenzen um ihren Körper, um ihre Seele, sie schließt sich ein. Wanja kommt gerade aus dem Gefängnis, sieben Jahre wegen Banküberfall, fängt in einem kleinen Dorf neu an, in einer heruntergekommenen Wohnung, mit einem Praktikum, damit das Geld vom Jobcenter fließt. Einsamkeit, Selbstisolation, Fremdheit in dieser Welt und die Versuche, sich einzufinden in ein Leben mit Mitmenschen. Wobei Anne Ratte-Polle durchaus ihre Qualitäten ausspielt, mitunter aber doch zu statuarisch bleibt, ihre Blicke so ausrichtet, wie sie inszenatorisch sein müssen, nicht, wie sie sein sollten.
Wanja ist das Porträt dieser Frau, angesiedelt zwischen Sozialrealismus und gelegentlicher surrealer Überhöhung. Mit genauem Blick auf den Alltag begleiten wir Wanja, beim Jobben in der Tierhandlung, später in einem Trabrennstall, bei Behördengängen und bei Kneipenabenden. Und dann: Dann sammelt sie noch Tiere. Ein Rabe fliegt ihr zu, und nachdem sie am Teich Enten gefüttert hat, schwimmen die in der nächsten Szene in ihrer Badewanne herum. Mit Tieren ist der Umgang offenbar leichter als mit Menschen; unter falschen Beschuldigungen schmeißt der Tierhändler sie schimpfend raus; hat er sich mehr erhofft von einer Frau im Laden…? Mit ihrem Bewerbungshelfer weiß sie nichts anzufangen, und er nichts mit ihr. Also gehen sie Paintballschießen, das macht sie ganz gut, „kein Wunder eigentlich“, meint der Bewährungshelfer fettnäpfchenaffin.

Das ist alles schön und gut. Doch der Film kommt nicht recht voran. Oder vielmehr: Er macht Riesenschritte, ohne einen richtigen Focus jenseits der Titelfigur zu bekommen. Vom Haftentlassenendrama kommen wir plötzlich in ein Mutter-Tochter-Gefüge, Wanja hat den Kontakt zur eigenen Tochter abgebrochen und wanzt sich nun an die 16-jährige Emma ran. Eine Ersatztochter, das ist schon klar — später wird es gar ausgesprochen, „die könnte ja deine Tochter sein“. Mit 40 ein Praktikum auf dem Pferdehof ist schon merkwürdig. Dann kommt noch eine kleine Schwangerschaft dazu, bei deren Abbruch Wanja unterstützend zur Seite steht, und schon geraten wir in eine Drogenstory, als die Sozialamtsmitarbeiterin von Wanja verlangt, eine entsprechende Beratungsstelle aufzusuchen. Dabei ist sie seit drei Jahren clean, erfahren wir, aber das Thema ist gesetzt, und so machen Emma und ihre Stallburschen-Kumpels kräftig auf Droge, Alkohol und Ketamin aus der Pferde-Medikamentenbox.

Das ist alles zu viel — mehr als ein Film, mehr als dieser Film tragen kann. Zwischendurch wird es richtig unwirklich, wenn Wanja in einer Würstchenbude einem Mörder begegnet und im Wald einigen Männern, die Monster spielen und ums Feuer tanzen. Das ist eine Schiene, die der Film dann aber doch nicht weiter verfolgen mag — vielleicht hätte die Flucht ins Absurd-Surrealistische den Film gerettet? Vielmehr zeigt Hellsgård Wanja in Teenieklamotten bei einer rauschenden Tanznacht mit ihren jugendlichen Gefährten, und es ist fast schon albern, dass sie in diesen nuttigen Klamotten anderntags beim Amt auftaucht.

Wanja

Wanja: Ein Name, der schillert. Der im osteuropäischen Raum männlich, in Skandinavien aber weiblich ist. Wanja wird im gleichnamigen Film von Carolina Hellsgård von Anne Ratte-Polle gespielt, weiblich, ganz klar — aber hart, ruppig, auch aggressiv und gefühlskalt, immer wieder. Sie duckt sich weg, baut Grenzen um ihren Körper, um ihre Seele, sie schließt sich ein.
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