Vinylmania

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Analog ist besser!

„Totgesagte leben länger“ könnte als trotziges Motto über diesem Dokumentarfilm von Paolo Campana stehen. Der italienische Regisseur weiß genau, wovon er 75 Minuten lang erzählt, immerhin ist er selbst ein DJ, der unter dem nom de guerre Dr. NO Exotica-Lounge auflegt, und ein bekennender Vinyl-Junkie. Insofern lag es nahe, einen Film über die eigene Leidenschaft zu drehen. Mit Hilfe einer Crowdfunding-Aktion bei dem Finanzierungsportal kickstarter.com gelang es dem Filmemacher, knapp 40.000 US-Dollar zu sammeln, um die DVD-Edition des Filmes zu realisieren. Mittlerweile lief der Film auch bei ARTE, der Einsatz im Kino hingegen ist nur ein kurzes Intermezzo, aber dennoch für Schallplatten-Afficionados ebenso ein echter Pflichttermin wie die deutsche DVD-Veröffentlichung.
Die Liebe zum Vinyl rührt bei Paolo Campana wohl von einem Kindheitserlebnis her: Als er ein kleiner Junge war, pflegte ihn seine Mutter stets mit einer Platte von Mozart zu wecken – eine Erinnerung, die er als Urerlebnis seiner Leidenschaft für diesen Tonträger ausgemacht hat. Und weil man als Schallplatten-Fan gerne die Gemeinschaft anderer Vinyl-Jünger sucht, macht sich Campana auf den Weg zu anderen illustren Persönlichkeiten, die seine Leidenschaft teilen.

Einer dieser Menschen ist etwa der Franzose Chris, den der Regisseur einst auf einer Plattenbörse kennenlernte – wo sonst? Chris als Enthusiasten zu bezeichnen, kommt wohl einer gehörigen Untertreibung gleich, die Diagnose ist in seinem Fall wohl eher die titelgebende Vinylmania. In seiner Wohnung ist kaum ein Durchkommen, weil die Stapel von LPs und Singles nahezu jeden freien Platz einnehmen, selbst auf dem Deckel des Spülkastens der Toilette stehen Raritäten aus vergangenen Zeiten noch in Reih und Glied. Fast bekommt man ein klein wenig Mitleid, als Chris bekennt, dass seine Sammelleidenschaft womöglich etwas aus dem Ruder gelaufen ist: „Man sagt“, so bekennt er an einer Stelle, „eine Katze sei ein Freund, aber hundert Katzen eine Last. Ich habe tausend.“

Die Begegnungen mit anderen „Vinylmaniacs“ sind selten so bizarr und bewegend, aber stets genauso erhellend bezeichnend – wie jene mit dem DJ und Musiker Philippe Cohen Solal, dessen weltweit erfolgreiches Gotan Project seine Inspiration auch durch alte Tango- und Jazz Platten gespeist wird. Oder der japanische DJ Kentaro, der an zwei goldenen Technics-Plattenspielern die Finger über die Regler fliegen lässt, dass man nur noch staunen kann.

Genauso faszinierend ist auch der Besuch bei dem Unternehmen ELP Corporation, das ein Laser-Abspielgerät für LPs erfunden hat. Mit viele Verve und Enthusiasmus erläutert der Unternehmensgründer Sanju Chiba seine Erfindung und berichtet stolz von den 5.000 in Handarbeit hergestellten Geräten, zu deren Fans auch der Pianist Keith Jarrett gehört. Zudem trifft sich Campana mit legendären Cover-Designern, wie Peter Saville von Factory Records, der einst für das visuelle Erscheinungsbild von Joy Division und New Order verantwortlich war oder mit Winston Smith, der den Dead Kennedys und Green Day seinen Stempel aufdrückte. Hinzu kommen DJs wie der Begründer des Acid Jazz-Labels Eddie Piller, der als Veteran der Mod- und Northern Soul-Bewegung in Großbritannien gilt. Insgesamt merkt man dem Film ein wenig die Vorliebe des Regisseurs für Lounge-/Exotica-/Cocktail-/Easy Listening-Musik an, die auch seinen eigenen musikalischen Präferenzen entspricht, störend wirkt das aber an keiner Stelle, sondern vielmehr folgerichtig. Und zwar deshalb, weil gerade in diesem Bereich alte Platten besonders gesucht sein dürften.

Es sind die Begegnungen, die Menschen, die Persönlichkeiten, die Vinylmania prägen – und das deutlich sichtbare persönliche Interesse am Gegenstand seiner filmischen Forschungsarbeit, der Enthusiasmus, der Campana mit seinen Protagonisten verbindet. Manchmal wirkt der Regisseur in seiner Leidenschaft fast schon ein wenig missionarisch, gerade so, als wolle er den Zuschauer davon überzeugen, dass CDs ein Werk des Teufels und Schallplatten die einzig wahren Überbringer der reinen Lehre der schönen, wahren und guten Musik sind. Nein, die Vinyl-Nerds, die wir hier zu sehen bekommen, sind nicht bloß einfach Sammler oder DJs oder sonstwie Musikverrückte, sie sind vielmehr Teil einer globalen Glaubensgemeinschaft und Adepten einer Bewegung, die sich derzeit trotz des Siegeszugs des Digitalen (oder gerade als Gegenbewegung dazu) wachsender Beliebtheit erfreut. War vor zehn Jahren die Schallplatte als Wirtschaftsgut mausetot, wachsen heute die Verkaufszahlen wieder Jahr für Jahr im zweistelligen Bereich. Und selbst die gewieften Geschäftsleute auf der Musikmesse MIDEM in Cannes, die hier die neuesten digitalen Geschäftsmodelle für den Handel mit Musik vorstellen, bekommen bei der puren Erwähnung der Schallplatte als Tonträger leuchtende Augen und geben sich samt und sonders ebenfalls als „Vinylmaniacs“ zu erkennen.

Das mag manch einer durchaus als anstrengend empfinden, andererseits kann man sich der Macht dieser Begeisterung kaum entziehen und ertappt sich ein ums andere Mal dabei, dass man selbst überlegt, den alten Plattenspieler und die eingemotteten LPs aus dem Keller nach oben zu holen. So viel Begeisterung wirkt eben doch ansteckend.

Vinylmania

„Totgesagte leben länger“ könnte als trotziges Motto über diesem Dokumentarfilm von Paolo Campana stehen. Der italienische Regisseur weiß genau, wovon er 75 Minuten lang erzählt, immerhin ist er selbst ein DJ, der unter dem nom de guerre Dr. NO Exotica-Lounge auflegt, und ein bekennender Vinyl-Junkie. Insofern lag es nahe, einen Film über die eigene Leidenschaft zu drehen.
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