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Jella Haase spielt wieder eine verkrachte junge Person, die noch viel lernen muss, aber diesmal nicht für die Schule, sondern für das Leben. Doch dann folgt die missmutig-ängstliche Frau dem Rat ihres geliebten Bruders und wagt sich aus ihrem Elternhaus hinaus auf einen Roadtrip ins Unbekannte.

Vielmachglas (2018)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Abenteuer, die auf Zettel passen

Der jungen Darstellerin Jella Haase haftet seit der Fack ju Göhte-Trilogie das Image ihrer Filmfigur, der Problemschülerin Chantal, an. Aufmüpfig, renitent, unbedarft, aber mit großem Herz repräsentiert Chantal eine harte pädagogische Herausforderung, die sich lohnen könnte. Nun spielt die beliebte Schauspielerin einen ähnlichen Charakter in Vielmachglas, dem Spielfilmdebüt von Regisseur Florian Ross. Marleen, Anfang 20, schafft es irgendwie nicht, ein Studium zu beginnen und hängt schlecht gelaunt zu Hause bei den Eltern rum.

Es wird also Zeit für einen Roadtrip, der die ängstliche Verweigerin ins Leben wirft, damit sie die Kunst der positiven Einstellung lernt. Und das kommt so: Ihr älterer Bruder Erik (Matthias Schweighöfer), ein Weltenbummler mit blonden Dreadlocks, schaut zwischen zwei Reisen zu Hause vorbei. Er schenkt der unglücklichen Marleen, die an ihm hängt, ein leeres Einmachglas. Er nennt es „Vielmachglas“, denn Marleen soll ja, so wie er selbst, viel machen, Mut haben, etwas Neues wagen. Jeder Erfolg gehört auf einen Zettel notiert und ins Glas gesteckt – zum Nachlesen in Momenten des Selbstzweifels. 

Aber bevor das passiert, muss Erik erst noch sterben, bei einem Autounfall mit Marleen am Steuer. Voller Trauer und Schuldgefühle beschließt Marleen, mit nur 8 Euro in der Tasche und dem Vielmachglas in der Hand nach Hamburg zu fahren. Sie will in Eriks Fußstapfen treten, nämlich mit seinem Schiffsticket in die Antarktis reisen! 

Das Roadmovie lebt von seinem betont naiven, in Richtung Märchen weisenden Charme. Natürlich ist der Weg das Ziel, selbst wenn es statt Sehenswürdigkeiten nur ein paar mild skurrile Abenteuer auf diesem gibt. Jella Haase ist die Seele des Films und verleiht ihm einen Großteil seiner Attraktivität. Sie kann ihre kükenhaft unbeholfene Figur nämlich mit der erforderlichen Selbstironie spielen und ihr eine Normalität verleihen, die die Geschichte gerade nicht hat. 

Es gibt noch eine zweite interessante Figur, die flippige Tramperin Zoë (Emma Drogunova), die mit Reise-Vlogs an ihrer Internetkarriere bastelt. Sie warnt Marleen an einer Raststätte davor, zu dem Campingbusfahrer Ben (Marc Benjamin) ins Auto zu steigen, denn er könnte ja ein Serienkiller sein. Also fahren die beiden Frauen mit einem LKW-Fahrer weiter, der erst recht nicht vertrauenerweckend wirkt. Doch bevor sich diese Zoë im Film entfalten kann, wird sie auch schon wieder abgehängt. 

Einfalt wird hier zum Prinzip erhoben, legitimiert durch das Leitmotiv unschuldiger Naivität. Die Glühwürmchen, die eines Abends für Marleen am Waldrand leuchten sollen, müssen da beispielsweise nicht echt aussehen, sondern gehen als unscharfe digitale Vielecke durch. Auch der Plot darf simpel sein, wie der kindlichen Fantasie Marleens entsprungen. Dass sie das Schiffsticket ihres verstorbenen Bruders nutzen will, klingt an sich schon wie eine Variante der Frage „Krieg ich dann sein Zimmer?“, die Geschwister stellen, wenn ein flügge gewordenes Kind das Elternhaus verlässt. Und für den erwähnten Campingbusfahrer Ben hat die Geschichte später doch noch Verwendung als Marleens verständnisvoller Zuhörer, als Schulter zum Anlehnen, wie sie sich nicht nur junge Mädchen gerne wünschen. 

Vielleicht weil es in Hollywoodfilmen on the road praktisch standardmäßig einen Kurzaufenthalt im Knast gibt, soll er hier auch nicht fehlen. Marleen schlägt sich in einer Bar mit einer Bikerin (Katy Karrenbauer) und teilt sich dann mit ihr eine Gefängniszelle. Prominente Gesichter wie das von Karrenbauer, Ilka Bessin und anderen tauchen in etlichen Kurzauftritten auf, die schnell Laune machen sollen. Sowieso aber kommen die meisten Rollen über eine flüchtige Skizze nicht hinaus auf dieser Reise mit den lose aneinandergereihten Stationen. Marleen füllt indes andächtig ihr Vielmachglas, außer wenn, siehe Hollywoodvorbilder, eine hilfreiche Polizeistreife sie mit Blaulicht durch die Gegend fährt, weil es gerade eilt.

Warum aber musste Erik sterben, wäre es nicht auch eine Nummer kleiner gegangen? Im Kino scheint sich die schlechte Angewohnheit zu etablieren, über den Tod und die Trauer in einer supertröstlichen Wohlfühlmanier zu erzählen. Hin und weg mit Florian David Fitz war 2014 so ein Fall, demnächst folgt mit Midnight Sun ein weiterer. Marleen trauert also auch nicht wesentlich, sie hat ja zu tun mit ihren Zetteln. Und auf Eriks Beerdigung muss Uwe Ochsenknecht als sein liberaler, vom Leben aufgeklärter Vater erst recht keinen Schmerz mimen, es geht auch light: den Blick gefasst zu Boden richten, die Hände verschränken, vielleicht daran denken, was es zum Abendessen gibt. Diese Szene führt besonders drastisch vor, dass Filmemacher aus einer unbeschwerten Haltung heraus auch ins Stolpern geraten können. Aber wenigstens kann Jella Haase in dieser belanglosen Geschichte zeigen, dass sie bessere verdient.

Vielmachglas (2018)

In „Vielmachglas“ begibt sich eine junge Frau, verkörpert von Jella Haase, nach dem Tod ihres Bruders auf eine Reise quer durch Deutschland, um ein Schiff in Richtung Antarktis zu bekommen.

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