Victoria & Abdul

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Ein Störenfried bei Hofe

Stephen Frears scheint eine Schwäche für das britische Königshaus zu haben. Elf Jahre nach dem oscarprämierten Die Queen nimmt er sich in Victoria & Abdul die nächste britische Königin vor. Diesmal geht es zurück ins Jahr 1887 an den Hof von Queen Victoria (gespielt von Judi Dench).

Großbritannien ist auf dem Höhepunkt seines Kolonialreichs und Victoria trägt als Herrscherin des britischen Empires unter anderem auch den Titel der Kaiserin von Indien. Es sind ja immer die kleinsten Zufälle, die Anlass für Großes geben: Sie soll nun als Kaiserin von Indien eine Medaille erhalten. Das wäre an sich noch nicht erwähnenswert, wäre ebenjene Medaille nicht von einem jungen indischen Mann (Ali Fazal) übergeben worden, der sich im entscheidenden Moment nicht ans höfische Protokoll hält und der Königin in die Augen sieht. Dieser Augenblick genügt, um das Leben der beiden zu verändern. Queen Victoria findet Gefallen an dem jungen hübschen Mann und holt ihn als ihren Diener und späteren Lehrer in den Hofstab. Das missfällt selbstverständlich nicht nur dem Chefsekretär und den engsten Dienern, sondern auch dem britischen Premierminister.

Diese Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Der 24 Jahre alte Inder Mohammed Abdul Karim kam tatsächlich 1887 an den britischen Hof und wurde dort ein Vertrauter Queen Victorias. Als vor wenigen Jahren seine privaten Tagebücher gefunden wurden, machte Shrabani Basu daraus den Tatsachen-Roman Victoria & Abdul: The True Story of the Queen’s Closest Confident. Auch im Buch wird die Unruhe thematisiert, die Abduls Anwesenheit am Hof und seine Vertrautheit mit der Königin auslöste. Frears inszeniert die Geschichte zwischen Abdul und Queen Victoria als eine Parabel auf Macht und Machthunger. Die höfischen Diener spinnen Intrigen gegen den Fremden, Victorias Sohn fürchtet um sein Erbe und auch den kleineren Rängen ist die Vertrautheit zwischen Königin und dem Inder Grund zu Tratsch und Sorge um die Posten.

Welche Bürde die Krone mit sich bringt, konnte man zuletzt in der Netflix-Serie The Crown sehen, in der die junge Elizabeth ihrem Vater auf den Thron folgen muss. Auch in Frears’ Film ist dieser Ansatz von der Last des Amtes vorhanden. In einer Szene schüttet Victoria in einem seltenen privaten Moment Abdul ihr Herz aus, erklärt ihre Einsamkeit seit dem Tod ihres Ehemannes und findet bei Abdul Trost und Freundschaft. Dass das nicht kitschig wirkt, liegt am Schauspieltalent Judi Denchs, die mit dieser Rolle auf ihren zweiten Oscar zusteuern könnte (den ersten erhielt sie 1998 ebenfalls für die Darstellung einer britischen Königin in Shakespeare in Love). Judi Dench spielt Victoria mit einer emotionalen Bandbreite, wie man sie von einer Schauspielerin ihres Ranges erwartet. Sie schafft es, die Einsamkeit dieser Frau einzufangen, die umgeben ist von Speichelleckern und Intriganten, die nur auf ihr Ableben warten, die trotzdem stark sein muss und von der das Repräsentieren erwartet wird.

Überhaupt ist es das Zusammenspiel, der Perspektiven der Königin und von Abdul, das den Film besser macht, als der Trailer erwarten ließ. Sie lernt durch ihn jene ihr fremde Welt kennen, die sie ironischerweise als Kaiserin repräsentiert. Er hat die Gelegenheit zu einem sozialen Aufstieg, den er in seiner Heimat niemals erreicht hätte. Wenngleich seine Motivation in ehrlichem Dienst für die Königin zu bestehen scheint, lässt Frears auch die Portion Opportunismus nicht weg, die in Abdul steckt. Es gibt bei ihm kein Schwarz und Weiß, jede Figur hat ihre guten und schlechten Eigenschaften. Das rettet Victoria & Abdul vor dem Abdriften in die typische britische Kolonial-Komödie und gibt dem Film den Tiefgang, den man von einem Frearschen Historienfilm erhoffen konnte.
 

Victoria & Abdul

Stephen Frears scheint eine Schwäche für das britische Königshaus zu haben. Elf Jahre nach dem oscarprämierten „Die Queen“ nimmt er sich in „Victoria & Abdul“ die nächste britische Königin vor. Diesmal geht es zurück ins Jahr 1887 an den Hof von Queen Victoria (gespielt von Judi Dench).

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