Versuchung - Kannst du widerstehen?

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Amouröse Verstrickungen in L.A.

Wenn sich A nach B verzehrt, B jedoch für C schwärmt, indessen C mit D herumknutscht und D zugleich mit E flirtet, wiewohl E mit F verheiratet ist (was F freilich nicht davon abhält, auf die Avancen von G einzugehen), kann sich dies zu einem großen Drama entwickeln, in welchem am Ende alle Figuren entweder tot oder doch zumindest todunglücklich sind. Die tiefgreifende Tragik eines Anton-Tschechow-Stücks visieren Writer/Director Ry Russo-Young und deren Co-Autorin Lena Dunham in Versuchung – Kannst du widerstehen? allerdings dezidiert nicht an. Vielmehr geht es hier um flüchtige Leidenschaften – um die spontane Hingabe an die Erotik des Augenblicks, aber auch um die Unannehmlichkeiten, die sich daraus ergeben können. Das Werk steht damit in der Tradition von US-Indie-Movies wie Laurel Canyon und The Kids Are All Right.
Die 23-jährige New Yorker Künstlerin Martine (Olivia Thirlby) reist nach Los Angeles, um dort die Hilfe des Sound Designers Peter (John Krasinski) in Anspruch zu nehmen. Sie hat einen Experimentalfilm mit grobkörnigen Krabbeltierbildern gedreht, der nun vertont werden soll. Peter wohnt mit seiner Ehefrau – der Psychotherapeutin Julie (Rosemarie DeWitt) – und seinen Stiefkindern Kolt (India Ennenga) und Dusty (Mason Welch) in einem stilvoll eingerichteten Domizil im In-Viertel Silver Lake und lässt Martine im Poolhaus nächtigen. Rasch entfacht die Anwesenheit des attraktiven Gastes ein Liebeswirrwarr, das auf einer drogenvernebelten Party den Höhepunkt erreicht.

Das Set-up der Erzählung gemahnt ein wenig an Pier Paolo Pasolinis Teorema, in dem ein Besucher (verkörpert von Terence Stamp) die Mitglieder einer wohlhabenden Familie erst zur Verzückung und dann zur Verzweiflung bringt. Denn die androgyne Martine wird mit ihrer Pixie-Cut-Hipness und ihrer unverfänglich-anziehenden Art ebenfalls zum Objekt diverser Begierden. So zeigt sich neben Peter auch dessen jüngerer Assistent David (Rhys Wakefield) höchst interessiert – und selbst Julie gesteht an einer Stelle: „I’m f*cking attracted to her.“ Russo-Young und Dunham stellen die Figur des „Eindringlings“ beziehungsweise die enorme Faszinationskraft dieser Figur jedoch nicht ins alleinige Zentrum der Geschichte. Auch dem Coming-of-Age-Strang um die poetisch begabte, 16-jährige Kolt wird ausreichend Aufmerksamkeit zuteil – ebenso wie dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Julie und dem überaus forschen Patienten Billy (Justin Kirk).

Zwar beweist etwa die Szene, in welcher Billy ausführlich einen erotischen Traum schildert, das Talent des Drehbuch-Duos zur Dialoggestaltung – gleichwohl sind es hier in erster Linie nicht die Worte, durch die das Durcheinander der Gefühle transportiert und die immense Sinnlichkeit der Situationen erzeugt wird. Als Regisseurin weiß Russo-Young mit einer ausgeklügelten Blickdramaturgie zu überzeugen, in welcher die Momente der innigen (und immer heiklen) Zweisamkeit oft den unbemerkten Blick einer dritten Person mit einschließen. Dass Sehnsucht und Eifersucht, Verletzung und Enttäuschung dabei so eindringlich vermittelt werden, ist wiederum dem durchweg gut spielenden Ensemble zu verdanken. Neben dem wunderbar entrückt klingenden Score von Fall on Your Sword sorgt der Kamerastil für eine lustbetonte Atmosphäre; Gesichtsausdrücke und Berührungen werden in vielen Groß- und Detailaufnahmen erfasst. So, wie sich Martine in ihrem Kunstprojekt der intensiven Beobachtung von Getier widmet, gibt sich Russo-Young in ihrem Film der Beobachtung ihrer menschlichen Akteure hin. Das ist mal witzig, mal (zart-)bitter – und stets äußerst einnehmend.

Versuchung - Kannst du widerstehen?

Wenn sich A nach B verzehrt, B jedoch für C schwärmt, indessen C mit D herumknutscht und D zugleich mit E flirtet, wiewohl E mit F verheiratet ist (was F freilich nicht davon abhält, auf die Avancen von G einzugehen), kann sich dies zu einem großen Drama entwickeln, in welchem am Ende alle Figuren entweder tot oder doch zumindest todunglücklich sind. Die tiefgreifende Tragik eines Anton-Tschechow-Stücks visieren Writer/Director Ry Russo-Young und deren Co-Autorin Lena Dunham in „Versuchung – Kannst du widerstehen?“ allerdings dezidiert nicht an.
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