Verliebte Feinde

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Das avantgardistische Schweizer Ehepaar von Roten

Drei Jahre bevor Simone de Beauvoir 1949 ihr feministisches Standardwerk Das andere Geschlecht veröffentlicht, hat die Schweizerin Iris Meyer (Mona Petri) schon erkannt: „Frauen haben nichts zu meinen, nichts zu fordern und keine Macht.“ Die 29-jährige Juristin und Journalistin legt ihrem Bräutigam Peter von Roten (Fabian Krüger) Bedingungen für die Ehe zur Unterschrift vor. Sie verlangt freie berufliche Entfaltung, vollkommene Gleichberechtigung und lehnt Hausarbeit und Kinderhüten ab. Der aus konservativem Landadel stammende Verlobte willigt ein, und das, obwohl die junge Frau aus protestantischem Elternhaus seinen Wunsch, zum Katholizismus überzutreten, nicht erfüllt. Sie bilden ein schillerndes Intellektuellenpaar in der Schweiz der fünfziger Jahre: der in den Nationalrat gewählte Katholik und die Verfechterin des Frauenstimmrechts, die 1958 das radikalfeministische Manifest Frauen im Laufgitter veröffentlicht.
Der eidgenössische Dokumentarfilmer Werner Schweizer entwickelt ein faszinierendes Doppelporträt überwiegend in Form eines Spielfilms, in den er Archivmaterial und Aussagen von Zeitzeugen einfügt. Wie die gleichnamige Buchvorlage von Wilfried Meichtry aus dem Jahr 2007 stützt sich Verliebte Feinde vor allem auf die rund 1300 Briefe, die sich Iris und Peter von Roten schrieben. Der Titel bezieht sich auf eine briefliche Äußerung Iris von Rotens, Peter und sie seien im „Zustand der verliebten Feindschaft“. Als sie Ende der vierziger Jahre für eine Weile in den USA lebt, um ihr Buch zu schreiben, sind die Briefe Medium für einen regen geistigen Austausch. Aus der Distanz heraus vertieft das Ehepaar seine Verbundenheit. Die Auseinandersetzungen sind keineswegs feindlich, sondern fruchtbar für beide: Peter von Roten stellt seine Überzeugungen auf den Prüfstand und wagt etwas grundlegend Neues. Seine Frau aber erfährt die Unterstützung eines Menschen, der zu ihr hält und sie bewundert.

Die Geschichte dieses Paares erinnert daran, wie individuell die Frauenemanzipation in ihren Anfängen erkämpft werden musste. Iris von Roten probiert die Ideen, die sie propagiert, selbst aus. In den USA sucht sie neue Erfahrungen in der Liebe und empfiehlt ihrem Peter, es ihr gleichzutun. Der Mann, der vorehelichen Geschlechtsverkehr abgelehnt hatte, plädiert bald als Anwalt gegen eheliche Treuepflicht. Er belächelt seinen anfänglichen Glauben, eine Frauenrechtlerin sei etwas mindestens so Schlimmes wie „Mädchenhändlerin“ oder „Morphinistin“. Im Parlament setzt er sich für das Frauenstimmrecht ein und wird von Parteikollegen als „Emanzenknecht“ beschimpft.

Bei Männern sorgen Iris von Rotens Forderungen nach Gleichstellung der Geschlechter für große Empörung. Sie sind nicht bereit, mit einer andersdenkenden Frau auf Augenhöhe zu diskutieren. Die Frauen hingegen stimmen ihr offenbar eher zu, wenn auch meist stillschweigend. Das ändert sich, als ihr streitbares Buch ein Jahr vor der Abstimmung zum Frauenwahlrecht erscheint: Die Frauenverbände gehen schon aus taktischen Gründen auf Distanz. Iris von Roten zieht sich tief enttäuscht zurück und unternimmt lange Reisen. Aber der Widerstand der Männer galt keineswegs nur der kecken Emanze: Das Frauenstimmrecht wird 1959 abgelehnt und soll in der Schweiz erst 1971 eingeführt werden.

Der Film spiegelt die positive, zupackende Einstellung seiner Protagonistin. Und er strahlt Wärme aus, weil er durchzogen ist von der großen Zuneigung ihres Mannes und ihrer Tochter. Hortensia von Roten, die als Kind oft bei anderen Familien untergebracht war, erzählt von einer starken, vertrauensvollen Beziehung zu ihrer Mutter. So widerlegt die Familie das damals einhellige Credo, die Selbstverwirklichung der Frau müsse Mann und Kindern schaden. Iris von Roten blieb radikal und selbstbestimmt bis zum Ende: 1990 nahm sie sich im Alter von 73 Jahren das Leben. Ihre progressive Kraft aber ist in diesem inspirierenden, gelungenen Film zu spüren.

Verliebte Feinde

Drei Jahre bevor Simone de Beauvoir 1949 ihr feministisches Standardwerk „Das andere Geschlecht“ veröffentlicht, hat die Schweizerin Iris Meyer (Mona Petri) schon erkannt: „Frauen haben nichts zu meinen, nichts zu fordern und keine Macht.“ Die 29-jährige Juristin und Journalistin legt ihrem Bräutigam Peter von Roten (Fabian Krüger) Bedingungen für die Ehe zur Unterschrift vor. Sie verlangt freie berufliche Entfaltung, vollkommene Gleichberechtigung und lehnt Hausarbeit und Kinderhüten ab.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen