Vacationland

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Schmutziger Alltag im proklamierten Urlaubsparadies

Der US-amerikanische Filmemacher Todd Verow repräsentiert wie nur wenige Vertreter seines Faches radikal das Terrain von Underground Movie und Independent Film. Seine weitest reichende Unabhängigkeit resultiert einerseits aus seiner komplexen Ausbildung und Erfahrung als Regisseur, Kameramann und Schauspieler sowie seinem Talent als Autor, das er bereits früh als Verfasser von Theaterstücken erprobt hat. Andererseits hat der Mann, der beinahe alle für einen Film notwendigen Fähigkeiten selbst beherrscht, frühzeitig seine eigene Produktionsfirma „Bangorfilms“ gegründet, was ihm ein kompromissloses Arbeiten ermöglicht, das seine Filme auch deutlich repräsentieren.
Mit Vacationland präsentiert Todd Verow (Frisk, Little Shots of Happiness, Anonymous) stark autobiographisch die Verfilmung seiner eigenen heftigen Jugend, direkt und schamlos wie üblich für seine Filme, und dort, wo sie sich auch tatsächlich ereignete.

Die Kleinstadt Bangor im US-amerikanischen Bundesstaat Maine, der sich die Bezeichnung „Vacationland“ – Urlaubsland – zum Motto erhoben hat, in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Hier wächst der ambitionierte Joe (Brad Hallowell) zusammen mit seiner älteren Schwester bei seiner allein erziehenden Mutter und ihren wechselnden, häufig gewalttätigen Liebhabern in einer vor sozialen Unruhen brodelnden Siedlung auf. Sehr bald ist dem wachen und talentierten jungen Mann klar, dass er dieses desolate Umfeld verlassen und Kunst studieren will, aber vorerst ist er noch gefangen in der miefigen Moral des vermeintlichen Urlaubsparadieses und der scheinbar hoffnungslosen Verliebtheit in den smarten Andrew (Greg Lucas), der ausgerechnet mit der affektierten Cheerleader-Queen liiert ist. Doch es zeichnet sich ein Licht am Ende des Tunnels ab, als Joe dem individualistischen Künstler Victor (Charles Ard) begegnet, einer Ausnahmeerscheinung in Bangor, der ihn zunächst als Aktmodell engagieren will, rasch sein enormes schöpferisches Potential wahrnimmt und beschließt, den jungen Mann auf seinem Weg zu einer eigenen Wohnung und einem Stipendium an der Kunsthochschule zu unterstützen. Zudem beginnt Joe zu begreifen, dass Andrew heimlich nicht nur ein Auge auf ihn geworfen hat, und zwei drängende Herzen und Körper rasen leidenschaftlich aufeinander zu.

Die Weichen sind gestellt, und Joe schickt sich an, Bangor hinter sich zu lassen. Bevor er allerdings dem Ort seiner unseligen Kindheit den Rücken kehrt, holen ihn die eigenen traumatischen Erlebnisse noch einmal mit ungebremster Wucht ein. Nun wird deutlich, wie kräftig sich die Persönlichkeit des einstigen Jungen entwickelt hat, denn Joe stellt sich der Konfrontation und rechnet auf seine ganz eigene Art mit der verqueren Moral und unerträglichen Verlogenheit ab, die ihn einst beinahe zu ersticken drohte.

Bei all ihrer Tragik, die häufig wie eine Selbstverständlichkeit innerhalb ihres Milieus erscheint, haftet der Figur des jungen Joe mitunter eine augenzwinkernde Verschmitztheit an, von der man nicht weiß, ob sie der erfrischenden Unerfahrenheit des jungen Akteurs Brad Hallowell zuzurechnen ist oder aber eine bewusst inszenierte Finte der Regie und Kamera Todd Verows darstellt, der sich von seiner Metaebene aus schlicht ab und zu von seinem filmischen Alter Ego verschwörerisch zulächeln lässt.

Vacationland kommt unverblümt daher, frech, authentisch und durchaus auch anklagend, jedoch mit eindeutiger Absage an das Verharren in der Opferrolle, trotz entsetzlicher Kindheitserlebnisse. Und doch ist der Film so ganz nebenbei auch die bewegende Geschichte einer Jugend in der Provinz zwischen Träumen und Albträumen, mit starken und teilweise gar harmonischen Bildern, von stimmiger, tragender Musik untermalt, so dass sich der Zuschauer gleichzeitig verstören und bezaubern lassen darf.

Vacationland

Der US-amerikanische Filmemacher Todd Verow repräsentiert wie nur wenige Vertreter seines Faches radikal das Terrain von Underground Movie und Independent Film.
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