Unsere Wildnis

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Zurück ins goldene Zeitalter des Waldes

Als die letzte Eiszeit in Europa zu Ende ging und die Jahreszeiten entstanden, breiteten sich über dem ganzen Kontinent riesige Wälder aus. Der Mensch durchstreifte sie hier und da als Jäger und Sammler. Das goldene Zeitalter der Wälder dauerte mehrere tausend Jahre, neigte sich aber schon in der Jungsteinzeit seinem Ende zu, als der Mensch anfing, Bäume zu fällen, Ackerbau zu betreiben und wilde Tiere zu zähmen. Der Dokumentarfilm Unsere Wildnis von Jacques Perrin und Jacques Cluzaud (Nomaden der Lüfte) spannt einen Bogen von der Eiszeit bis in die Gegenwart, um den Unterschied zwischen der einstigen grünen Wildnis Europas und den heutigen Restwäldern, die zum großen Teil bewirtschaftet sind, aufzuzeigen. Am Schluss steht der Appell, die Natur zu achten und die Entstehung neuer Urwälder in Europa zu ermöglichen.
Weil es nicht nur um die einstigen Wälder und ihre Tiere geht, sondern auch um das Verhältnis der Menschen zur Wildnis, kommen diese auch immer wieder vor. Aber sie machen sich lange rar und tauchen als zottelige Gestalten allenfalls kurz und schemenhaft im Bildhintergrund auf. Zu fast zwei Dritteln der Zeit versetzt sich der Film in die Ära der europäischen Urwälder, in denen die Tierwelt praktisch ungestört ist. Indem die Kamera Wildpferde, Wisente, Bisons, Bären und Wölfe filmt, gelingt es ihr immer wieder, die Illusion des Eintauchens in die Wildnis der längst vergangenen Epoche zu vermitteln. Sie nimmt eine Herde grauer Pferde in vollem Galopp durch den Wald auf. Die Tiere werden von einem Rudel Wölfe verfolgt. Raubtiere auf der Jagd und Revierkämpfe durchbrechen die friedliche Ruhe. Vom Lärm kämpfender Hengste, Braunbären oder Hirsche angelockt, spähen neugierige Vögel und Eichhörnchen aus ihren Baumlöchern. Mit dieser Art der Montage sorgt die Inszenierung wiederholt für Humor und betont den Gedanken der Gemeinschaft der Waldbewohner.

Der Wechsel der Jahreszeiten erfolgt so fließend und scheinbar unstrukturiert wie die Auswahl der Tiermotive. Wenn sich ein Wildschwein in einer Pfütze suhlt, nimmt die Kamera als nächstes einen der Frösche, die dort leben, ins Visier. Nicht nur die großen Säugetiere, sondern auch Allerweltsvögel wie Star und Blaumeise, oder eine Spinne, die an ihrem Netz webt, geben reizvolle Motive ab. Spektakulär ist der Flug eines Hirschkäfers, dem die Kamera eine Weile zwischen den Bäumen zu folgen vermag. Ebenfalls eine Freude sind die Nahaufnahmen von Singvögeln, die ihre Jungen füttern, oder die Beobachtung eines kleinen Luchses, der übermütig mit seiner Mutter spielen will.

Wenn die Bewegungen der Tiere nicht im Mittelpunkt stehen, sondern das Wetter, erhebt sich die Kamera gerne über die Baumwipfel und zum Himmel, um dann nach einem fließenden Schnitt zurück auf die Erde, in eine neue Jahreszeit, zu kommen. Die sanfte, oft auf ein Instrument beschränkte Musik von Bruno Coulais betont das zarte Wunder des Lebens, das sich überall im Wald manifestiert. Und ausgesprochen selten, dann aber sehr informativ und prägnant, erklärt ein Off-Kommentar – im Deutschen von Sebastian Koch gesprochen –, wie sich die Zeiten wandeln. Immer häufiger kommt Agrarland ins Bild, mal eine Burg, eine feudale Jagdgesellschaft, selbst ein Schützengraben des Ersten Weltkriegs wird reinszeniert. Montage und Kommentar führen den Nachweis, wie stark der Mensch die Tierwelt verdrängt, bekämpft, selektiv ordnet. Seine Hybris erscheint im Langzeitkontext besonders fragwürdig. Anstatt in Untergangsstimmung zu geraten, verweist der Kommentar jedoch auf die Widerstandskraft der Natur, die dem Menschen die Möglichkeit gibt, seine Einstellung zu ihr zu ändern. Ein optimistischer Schluss für einen engagierten Film, dem es gelingt, mit seinen schönen Aufnahmen die Geschichte des europäischen Waldes sehr lebendig zu schildern.

Unsere Wildnis

Als die letzte Eiszeit in Europa zu Ende ging und die Jahreszeiten entstanden, breiteten sich über dem ganzen Kontinent riesige Wälder aus. Der Mensch durchstreifte sie hier und da als Jäger und Sammler. Das goldene Zeitalter der Wälder dauerte mehrere tausend Jahre, neigte sich aber schon in der Jungsteinzeit seinem Ende zu, als der Mensch anfing, Bäume zu fällen, Ackerbau zu betreiben und wilde Tiere zu zähmen.
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