Und macht euch die Erde untertan

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vom Versinken einer uralten Kulturlandschaft

Es ist eines der umstrittensten Bauprojekte der Welt: Der geplante Staudamm von Ilisu soll den Tigris im Südosten der Türkei auf einer Länge von 135 Kilometern zu einem See mit einer Fläche von 313 km² und einem Volumen von 10.400 Millionen Kubikmetern aufstauen. Zweck des gigantischen Unternehmens ist vor allem die Stromerzeugung — 3,2 Prozent des Strombedarfs der Türkei soll das Wasserkraftwerk abdecken. Eingebunden in den Entwicklungsplan für die verarmte Region Südostanatolien (kurz GAP) ist der Staudamm von Ilisu Teil eines gigantischen Projektes mit insgesamt 22 Staudämmen und Wasserkraftanlagen, die mehr als 20 % des Strombedarfs der Türkei abdecken sollen. Viele der Anlagen sind bereits gebaut, der Euphrat ist beinahe in seiner gesamten Länge ein einziger gigantischer Stausee. Die ökologischen Folgen dieses Raubbaus an der Natur sind sichtbar und lassen auch für das Ilisu-Projekt das Schlimmste befürchten: Aus intakten, über Jahrtausende gewachsenen Flussgebieten wurden leblose Wasserreservoirs, antike Kulturstätten von unschätzbarem Wert sind versunken und unrettbar verloren, Hunderttausende Menschen wurden umgesiedelt.
Nun droht sich das Spiel am Tigris zu wiederholen – und abermals ist der Preis immens: Denn in Ober-Mesopotamien, dem Land an der Grenze zu Syrien und dem Irak, lebt noch heute eine Kultur fort, die zu den ältesten der Menschheitsgeschichte zählt. Die Stadt Hasankeyf beispielsweise ist, so haben Wissenschaftler festgestellt, seit 11.000 Jahren besiedelt. Doch nicht nur Hasanekeyf ist betroffen: Vier Kleinstädte, 95 Dörfer und 99 Weiler würden in den aufgestauten Fluten versinken, insgesamt wären 78.000 Menschen betroffen. Wohin die Menschen umgesiedelt werden sollen und wie sie für den Verlust von Heimat und Grund entschädigt werden sollen, steht noch nicht fest. Überhaupt ist die Planung für das Projekt mehr als mangelhaft, wie verschiedene Berichte von NGOs wie der WEED („World Economy, Ecology & Development“, die 1990 in Deutschland gegründet wurde) und der ehemaligen Weltbankexpertin und Soziologin Dr. Ayse Kudat feststellen. Neben allen ökologischen und kulturellen Überlegungen birgt das Ilisu-Projekt auch politischen Sprengstoff in sich: Die Gegend in Südostanatolien ist traditionell kurdisches Gebiet und bietet der PKK einen starken Rückhalt. Deshalb gibt es nicht wenige Stimmen, die vermuten, dass mit der Flutung des Tigris und den damit einhergehenden Folgen vor allem auch die PKK entscheidend geschwächt werden soll.

Der Plan für den Staudamm von Ilisu reicht bis in die 1950er Jahre zurück, doch erst Ende der Neunziger konnte das Projekt in die weiterführende Phase gehen. Bezeichnend für die Schwierigkeiten, die von Anfang an damit verbunden waren, war die Weigerung der Weltbank, den Staudamm von Ilisu zu finanzieren: Zu massiv seien die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft, hieß es. Das Konsortium, das mit dem Bau beauftragt wurde, wandte sich daher zur Finanzierung an so genannte Exportcreditagenturen (ECAs) und wurde bei der deutschen Euler Hermes Kreditversicherung (Hermes), der Schweizer Exportrisikogarantie (ERG) und der Kontrollbank aus Österreich fündig, die sich bereit erklärten, Exportkredite in Höhe von über 450 Mio. Euro für das Projekt zu übernehmen. Allerdings, so wurde weiter beschlossen, sei die Finanzierung gebunden an die Erfüllung von 153 Weltbank-Kriterien, bei denen es vor allem um Fragen des Kulturgüter- und Umweltschutzes sowie der Menschenrechte geht. Nun, da die Finanzierung gesichert war, konstituierte sich ein neues Konsortium, das aus den Unternehmen Andritz (Österreich) (ehemals VA Tech Hydro), Alstom, Stucky, Colenco und Maggia (Schweiz), Ed. Züblin AG (Deutschland) und Nurol, Cengiz, Celiker, Temelsu (Türkei) besteht. Ein Expertenbericht, der von den Regierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz in Auftrag gegeben und 2008 vorgestellt wurde, bestätigt die negativen Einschätzungen der NGOs. Fast alle der 153 Auflagen seien von der Türkei nicht erfüllt worden, teilweise habe man mit Massenenteignungen sogar bewusst gegen Vereinbarungen verstoßen.

Im betroffenen Gebiet Südostanatoliens ist die Protestbewegung gegen Ilisu mittlerweile zu einer Massenbewegung geworden, die von staatlicher Seite mit Repressionen stillgehalten werden soll. So werden Gegner des Staudamms mittlerweile automatisch mit PKK-Sympathisanten verglichen und sollen damit kriminalisiert werden.

Christoph Walders Film Und macht euch die Erde untertan beleuchtet das Projekt von verschiedenen Blickwinkeln, er spricht mit Betroffenen und Anrainern, mit Vertretern der beteiligten Unternehmen, mit unabhängigen Experten und zeichnet dadurch ein umfassendes Bild der Lage. Dabei lässt Walder nur wenig Zweifel an seiner eigenen Meinung: Das Mammutprojekt am Tigris muss gestoppt werden. Mit Hilfe dieses Films sollen sich nun auch in Westeuropa immer mehr Menschen den Protesten anschließen. Ob der Ilisu-Staudamm verhindert werden kann, das steht bislang in den Sternen. Auf jeden Fall aber wird Und macht euch die Erde untertan dazu beitragen, das Staudamm-Projekt und die Proteste dagegen bekannter zu machen. Das Interesse bei den bisherigen Vorführungen in Wien, Innsbruck, Graz, Linz und Zürich war bereits sehr groß.

Und macht euch die Erde untertan

Es ist eines der umstrittensten Bauprojekte der Welt: Der geplante Staudamm von Ilisu soll den Tigris im Südosten der Türkei auf einer Länge von 135 Kilometern zu einem See mit einer Fläche von 313 km² und einem Volumen von 10.400 Millionen Kubikmetern aufstauen.
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