Ulrich Seidl und die bösen Buben

Eine Filmkritik von Wolfgang Nierlin

Der unzulängliche Mensch

In der Exposition von Constantin Wulffs Dokumentarfilm Ulrich Seidl und die bösen Buben sehen wir den umstrittenen österreichischen Filmemacher im Blitzlichtgewitter und unter den Zurufen von Pressefotografen. Für einmal ist die Perspektive umgedreht, wird der Regisseur beobachtet und inszeniert. Diese vertauschte Blickrichtung ist natürlich für das nachfolgende Filmportrait, in dem es um Seidls Arbeitsweise, seine künstlerischen Intentionen und sein Menschenbild geht, programmatisch. Dass die nächste Szene, entnommen seinem 2014 entstandenen Film Im Keller, eine nackte Frau zeigt, die sich in selbstgewählter Gefangenschaft und Isolation in einem engen Käfig windet, spitzt die Metapher des medialen Ausgeliefertseins zwar allzu drastisch zu; andererseits führt sie an jenen „Ort der Dunkelheit, der Angst und des Verbrechens“ (Seidl), an dem sich menschliche Abgründe und geheime Phantasien artikulieren, gesellschaftliche Verbote und sexuelle Tabus überschritten werden. Für Seidls Ehefrau und ständige Mitarbeiterin Veronika Franz repräsentiert der Keller in diesem Sinne auch das Unterbewusste.
Bei seinen schwierigen Recherchen zu dem Projekt sei ihm aufgefallen, so Seidl, dass Einfamilienhäuser oft große Keller haben. Während die oberirdischen Wohnräume Repräsentationszwecke erfüllten, finde an den unterirdischen Rückzugsorten vor allem männliche Selbstverwirklichung statt, mithin auch ein bizarres Doppelleben. So sieht man in seinem Film Im Keller etwa eine Männerrunde inmitten von Nazi-Devotionalien, sadomasochistische Rollenspiele oder auch Schießübungen. Doch das Sicht- und Beobachtbare liefert für Seidl nur einen Hinweis auf jenes Verborgene, das sich nicht zeigen lässt, sondern sich im Kopf des Betrachters abspielt; dieses sei jedoch prinzipiell teilbar, weil sich in ihm die menschliche Natur spiegele. Entsprechend geht es für Ulrich Seidl bei seiner Arbeit nicht darum, bestimmte Ideen zu bebildern, sondern jenseits der Vorüberlegung im Prozess des Schaffens Dinge zu finden, die dann gestaltet werden.

Seidls rigoroser Gestaltungswille — beispielsweise ablesbar an den stilisierten Tableaus in seinen Filmen -, die ästhetisch eigenwillige, wohl einmalige Mischung aus Dokumentarischem und Fiktivem als Inszenierung des Gefundenen sowie seine relativ unspektakuläre Arbeit mit seinen Darstellern bilden dann auch das Hauptinteresse von Wulffs aufschlussreichem Dokumentarfilm. Mit geduldigem Blick beobachtet er die Dreharbeiten zu Im Keller, hört Seidls Selbstauskünften aufmerksam zu und verbindet beides, gespiegelt in sorgsam ausgewählten Filmausschnitten, durch eine überlegte Montage. Dabei wird deutlich, dass hinter Seidls scheinbar beiläufigen Regieanweisungen und einer kollegial freundlichen Verbindlichkeit ein sehr genauer, kontrollierender Geist steckt, der konzentriert und präzise Details arrangiert und Gesten vorgibt. Fast emotionslos vorgetragen, wahrt der Filmemacher in seinen ernsten Ansagen zugleich eine kühle Distanz zu seinen Darstellern.

Ebenfalls mit einem gemischten Ensemble aus Laien und professionellen Schauspielern probt Seidl sein Theaterstück Böse Buben/Fiese Männer nach eigenen und nach Texten von David Foster Wallace. Die Persönlichkeit von Schauspielern wie beispielsweise Lars Rudolph und Georg Friedrich sowie von wiederholt in Seidl-Filmen aufgetretenen ‚Nichtschauspielern‘ wie Nabil Saleh und René Rupnik sollen sich dabei mit den für sie ausgedachten Rollen zu einer Einheit verbinden. Vor allem Letztgenannter ist für Seidl ein Glücksfall, weil Rupnik Abgründe „schamlos artikulieren“ könne und seine Gefühle mit wortgewaltiger Bildlichkeit ausdrücke, wovon seine eigenwillig lustvolle ‚Interpretation‘ des Wortes „Weib“ in Seidls Der Busenfreund von 1997 ebenso verschroben wie humorvoll Zeugnis gibt.

Trotzdem ist man immer wieder versucht zu fragen, was den Exhibitionismus der Seidl-Akteure antreibt. Denn dass die Filme auf diese zurückschlagen werden, davon ist der Filmemacher überzeugt. Er verwahrt sich jedoch gegen den Vorwurf der Ausbeutung. Vielmehr will Ulrich Seidl, dessen Filme auch eine Auseinandersetzung mit seiner religiösen Erziehung sind, Menschen zeigen, die auf ihrer letztlich scheiternden „Suche nach Glück“ mit ihren „Unzulänglichkeiten zurechtkommen müssen“.

Ulrich Seidl und die bösen Buben

In der Exposition von Constantin Wulffs Dokumentarfilm „Ulrich Seidl und die bösen Buben“ sehen wir den umstrittenen österreichischen Filmemacher im Blitzlichtgewitter und unter den Zurufen von Pressefotografen. Für einmal ist die Perspektive umgedreht, wird der Regisseur beobachtet und inszeniert. Diese vertauschte Blickrichtung ist natürlich für das nachfolgende Filmportrait, in dem es um Seidls Arbeitsweise, seine künstlerischen Intentionen und sein Menschenbild geht, programmatisch.
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