Trois souvenirs de ma jeunesse

Eine Filmkritik von Gregor Ries

Ein Erinnerungsmosaik

Mit Trois souvenirs de ma jeunesse legte Arnaud Desplechin das lange vorbereitete Prequel zu seinem dreistündigen Diskursfilm Ich und meine Liebe vor, der ihm 1996 den internationalen Durchbruch brachte. Obwohl manche Charaktere des Ensembledramas erneut auftreten, nimmt allein Mathieu Amalric in der Rahmenhandlung seinen Part des Paul Dédalus wieder auf. Für Desplechin und den vielbeschäftigten Charakterdarsteller, der damals mit einem César als männliche Nachwuchshoffnung ausgezeichnet wurde, bedeutet dies schon die sechste Zusammenarbeit. Als Insidergag liest der junge Paul in einer Rückblende in Stendhals Klassiker Le Rouge et le Noir, den Amalric als Regisseur schon seit Jahren erfolglos zu adaptieren versucht.
Außer Amalric setzt Desplechin mit Ausnahme von Olivier Rabourdin (Von Menschen und Göttern) als Pauls Vater und André Dussollier als Verhörspezialist auf junge, unbekannte Akteure, die teils noch nie vor der Kamera standen, was sich auszahlt. Wie der Titel Trois souvenirs de ma jeunesse („Drei Erinnerungen an meine Jugend“) andeutet, gliedert sich die Handlung in drei verschieden lange Rückblenden. Als Auslöser der Erinnerungen dient Pauls Heimkehr nach mehrjährigem Aufenthalt in Tadschikistan. Bei seiner Einreise in Frankreich ergeben sich jedoch Komplikationen, da offenbar noch ein zweiter Paul Dédalus mit gleichem Geburtsdatum in Australien zu existieren scheint.

Kapitel 1 Kindheit dauert nur knapp zehn Minuten und konzentriert sich auf Pauls bewegte Zeit in Roubaix – zugleich Desplechins Geburtsort -, seine Konflikte mit der von Krisen gezeichneten, früh verstorbenen Mutter und dem strengen Vater. Dagegen verstand sich der kleine Rebell mit der russischstämmigen, lesbischen Großtante und Bruder Ivan weitaus besser. Der doppelt so lange zweite Teil Russland erklärt Pauls Verhaftung am Flughafen, denn sein Doppelgänger besitzt seinen ersten Pass. Während eines Klassenausflugs in die Sowjetunion fungierten Paul (Quentin Dolmaire) und seine Freunde als Kuriere einer jüdischen Untergrundvereinigung. Seinen Pass überließ er einem gleichaltrigen Jugendlichen, dem damit die Flucht aus den Schranken des „Eisernen Vorhangs“ gelang.

Als längste Passage mit rund drei Viertel der Laufzeit erzählt Esther von Pauls komplizierter Beziehung zu seiner großen Liebe, die im Vorläuferfilm von Emmanuelle Devos verkörpert wurde. An ihre Stelle tritt Lou Roy-Lecollinett als blonder Jungenschwarm, die hinter ihrem selbstbewussten Auftreten allmählich Lebensängste erkennen lässt. Mit Pauls Schwester Delphine als Klassenkameradin verträgt sie sich weniger. Aus Furcht vor der Einsamkeit bei Pauls Abwesenheit lässt sich Esther sogleich von einem Freund umgarnen. Obwohl er selbst eine Affäre mit einem älteren Mädchen startete, kann der Junge diese Untreue nicht verwinden.

Das Erinnerungsmosaik über brüchige Freundschaften, unerfüllte Träume, Verrat, Versagensangst und problematische Lebensentscheidungen arbeitet mit unterschiedlichen filmischen Mitteln, weshalb das Ergebnis bewusst uneinheitlich wirkt. Gerade das kurze erste Kapitel setzt auf theatralische Dialoge, surreale Bilder und einen unruhigen Tonfall. Anhand Splitscreen und Überblendungen verknüpft die Esther-Passage anfangs die Schicksale der Protagonisten. Später verlangsamt sich das Tempo zunehmend. Mit Rundblenden und einem wechselnden Off-Kommentar grenzt Regisseur und Co-Autor Desplechin die einzelnen Abschnitte voneinander ab. Bei ihren Briefwechseln sprechen Paul und Esther, von Zooms akzentuiert, den Zuschauer bewusst an, was sowohl ihre innige Verbundenheit als auch die Brüchigkeit ihrer Beziehung unterstreicht.

Ein ausgewählter Achtziger-Soundtrack von Skabands wie The Specials über The Jam bis zu Soul-Kompositionen sorgt für den nötigen Zeitkolorit. Ein wichtiger Eckpunkt bildet für die Entwicklung der Jugendlichen der Fall der Berliner Mauer. In diesem Moment scheint für den idealistischen Untergrundagenten das Ende seiner Jugend gekommen zu sein. Ausgehend von Pauls Nachnamen Dédalus durchziehen zudem Verweise auf die griechische Geschichte und Mythologie, von seinen Zeichnungen bis zu seinem Studium, den Film. Von der rabiaten Beziehung zu seiner Mutter bis zur problematischen Suche nach der endgültigen Liebe scheint sich der unstete Protagonist zunehmend im Labyrinth der eigenen Biografie zu verfangen. Mit seiner Rückkehr muss sich der spätere Philosophieprofessor seinem schwierigen Lebenslauf stellen, vor dem er sich nicht verstecken kann.

Nach der beiläufigen Fingerübung Jimmy P. – Psychoanalyse eines Indianers knüpft Arnaud Desplechin hierbei wieder an seine filmischen Romane an, obgleich die Story trotz philosophischer, psychologischer und literarischer Verweise nicht ganz so komplex ausfiel wie die früheren Familienepen. Bedauerlicherweise lässt sich Desplechins Werk als einen der interessantesten französischen Autorenfilmer stets nur auf Festivals oder bei den seltenen TV-Ausstrahlungen entdecken.

Trois souvenirs de ma jeunesse

Mit „Trois souvenirs de ma jeunesse“ legte Arnaud Desplechin das lange vorbereitete Prequel zu seinem dreistündigen Diskursfilm „Ich und meine Liebe“ vor, der ihm 1996 den internationalen Durchbruch brachte. Obwohl manche Charaktere des Ensembledramas erneut auftreten, nimmt allein Mathieu Amalric in der Rahmenhandlung seinen Part des Paul Dédalus wieder auf.
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