The Pervert's Guide to Cinema

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Was Sie schon immer über das Kino wissen wollten, aber nie zu fragen wagten

Der slowenische Psychoanalytiker, Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek mischt bereits seit Ende der Achtziger mit seinen interdisziplinären Schriften und Vorträgen den internationalen Wissenschaftsbetrieb auf und schert sich herzlich wenig um die oft streng voneinander getrennten Felder von Kunstwissenschaft, Psychologie, Philosophie, marxistischer Lehre und zahlreichen anderen Bereichen der Geisteswissenschaften. Seine Beschäftigung mit dem Kino nahm Anfang der Neunziger ihren Ausgangspunkt in einer ausführlichen, an Jacques Lacan geschulten psychoanalytischen Lesart der Filme Alfred Hitchcocks und hat – zumindest an deutschen Universitäten — ganze Generationen von angehenden Film- und Medienwissenschaftlern wechselweise fasziniert und gequält. Auch innerhalb der „scientific community“ ist der Psychoanalytiker und Poststrukturalist mit dem Hang zur Selbstinszenierung nicht unumstritten: Während die einen ihn als Starphilosophen verehren, gilt er den anderen als Apologet des Wirren und des Geschwätzigen. An seinen Entertainer-Qualitäten gibt es indes kaum einen Zweifel. Und die stellt er nun nach einer Dokumentation vor einigen Jahren, für die er sich beispielsweise nackt im Bett filmen ließ, erneut in einem Film unter Beweis.
In der zweieinhalbstündigen Dokumentation The Pervert’s Guide to Cinema von Sophie Fiennes führt Žižek als Gastgeber mit abenteuerlichem Englisch und weit ausholenden Gesten durch insgesamt 43 Filme.: Neben diversen Hitchcock-Klassikern wie Die Vögel, Psycho, Über den Dächern von Nizza und anderen Werken des Meisters „behandelt“ Dr. Žižek in seiner „talking cure“ Filme wie Der Exorzist, Alien, Das Testament des Dr. Mabuse, James Whales Frankenstein, Cecil B. DeMilles Die zehn Gebote, Der große Diktator, den sowjetischen Musical-Klassiker Kubanskie Kazaki, Alice im Wunderland, Stanley Kubricks Dr. Seltsam und Eyes Wide Shut, Fight Club, Dialog, David Lynchs Blue Velvet, Wild at Heart, Lost Highway, Dune, Andrej Tarkowskis Stalker und Solaris, Persona, Drei Farben: Blau, In the Cut, Der Zauberer von Oz, Dogville, Iwan der Schreckliche, Lichter der Großstadt und andere Filme. Und fördert dabei Sichtweisen und verborgene Motive und Fragestellungen zutage, die manchen Klassiker in neuem Licht erscheinen lassen.

Žižek und Fiennes begnügen sich nicht nur mit der distanzierten Betrachtungsweise, mit der Interpretation der vorgestellten Filme, sie sind auch filmische Verführer, die den Zuschauer immer wieder in die Situationen hineinziehen. Häufig in den Studioaufbauten der Filme oder an den Originalschauplätzen gedreht erscheint der Philosoph mehr als einmal als Bestandteil des Films, als Komplize, als Voyeur, der stellvertretend für die Leidenschaften und Begierden der Zuschauer steht. Es ist nicht alleine dieser Kunstgriff, der dafür sorgt, dass die 150 Minuten wie im Fluge vorbeigehen und man den Kinosaal erfrischter verlässt als einen Vorlesungssaal oder einen Seminarraum an der Uni. Mag sein, dass der Film nicht alle unsere Fragen beantwortet, die uns beim Anschauen unserer Lieblingsfilme in den Sinn gekommen sind. Doch The Pervert’s Guide to Cinema regt definitiv dazu an, sich auch außerhalb des Kinosaals mit den Rätseln der großen Filme auseinander zu setzen und darüber nachzudenken, was sie in uns auslösen, von welchen Begierden und Phantasmen sie erzählen. Für Kinofans mit ordentlich Sitzfleisch und Interesse an wahrhaft abgefahrenen Interpretationen ist dieser Film ein Theoriefeuerwerk der Extraklasse.

The Pervert's Guide to Cinema

Der slowenische Psychoanalytiker, Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek mischt bereits seit Ende der Achtziger mit seinen interdisziplinären Schriften und Vorträgen den internationalen Wissenschaftsbetrieb auf und schert sich herzlich wenig um die oft streng voneinander getrennten Felder von Kunstwissenschaft, Psychologie, Philosophie, marxistischer Lehre und zahlreichen anderen Bereichen der Geisteswissenschaften.
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