The Neon Demon

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Im Banne des schönen Scheins

Man liebt seine Filme oder man hasst sie — ein Dazwischen gibt es bei den Werken von Nicolas Winding Refn einfach nicht. Und vermutlich dürfte ihm genau das ziemlich gut gefallen: Dass er es immer wieder aufs Neue versteht, dergestalt zu polarisieren, dass zwischen Begeisterung und Verachtung kein Platz mehr ist für irgendetwas Anderes. Das war bei Only God Forgives (2013) schon so und dürfte sich auch mit seinem neuesten Werk The Neon Demon nicht verändern.

Überhaupt kann man zwischen dem vorigen Werk, das in Thailand angesiedelt war, und dem jetzigen Film, der in der glitzernden Modewelt von Los Angeles spielt, einige Ähnlichkeiten und Wahlverwandtschaften erspüren. Das beginnt bereits beim Titel: Zeigte schon das Teaser-Plakat von Only God Forgives in der US-amerikanischen Fassung einen aus Neonröhren geformten Dämonenkopf, so greift der neueste Film diese Ikone auf und führt damit gewissermaßen den jüngst eingeschlagenen Weg in die Finsternis und die menschlichen Abgründe weiter fort.

The Neon Demon führt in die Stadt des schönen Scheins, in die Film- und Modemetropole Los Angeles. Dorthin zieht es die gerade 16 Jahre alte Provinzschönheit Jesse (Elle Fanning), die hier ihren Traum von einer Karriere als Model verwirklichen will. Ihre unschuldige und unverdorbene Ausstrahlung öffnet ihr schnell alle Türen. Doch der schnelle Erfolg ruft Neider, Konkurrentinnen, lüsterne Auftraggeber, zudringliche Fotografen, eine liebestolle Visagistin und allerlei andere zwielichtige Gestalten auf den Plan, die – jede/r auf seine oder ihre Weise – ein Stückchen abhaben wollen von dem, was sie auszeichnet. Und so beginnt für Jesse ein Weg, der nicht nur ganz nach oben führt, sondern gleichzeitig ganz nach unten, in die Hölle, die laut Sartre immer „die anderen“ sind.

The Neon Demon wirkt über weite Strecken wie ein Drogenrausch oder wie ein wüster Alptraum und ist in seinen besten Momenten am ehesten mit einigen Werken David Lynchs zu vergleichen, zu denen sich Gestaltungselemente und Farbspiele gesellen, die direkte Übernahmen aus den Filmen von Dario Argento und andere Vertretern des giallo-Kino der 1970er Jahre sein könnten. Begleitet wird dies von einem mehr als hörenswerten wummernden, hämmernden, fauchenden Score von Cliff Martinez, der die Bildsequenzen kongenial ergänzt, so dass diese selbst wie Fashion-Clips und Imagefilme aus der Parallelwelt des schönen Scheins wirken. Die Konzentration auf diese zugegebenermaßen brillant eingesetzten Spielereien und der weitgehende Verzicht auf ausgefeilte Dialoge jenseits bekannter Phrasen erweisen sich aber mit zunehmender Dauer als Sollbruchstelle des fragilen Konstrukts, das Refn hier entwirft. Denn die glänzende Ästhetik, die den Film selbst wie eine Aneinanderreihung exquisiter Bildstrecken aus dem Fashion-Bereich in einschlägigen Hochglanz-Magazinen erscheinen lässt, feiert just genau jene Oberflächlichkeit, die der Film zu dekonstruieren vorgibt.

In dieser Strategie der Überaffirmation liegt die Crux des Films: Sie erscheint nicht subversiv, sondern so dünn wie der Party-Smalltalk der beiden Models. Der Plot ist auf einzelne Tableaus reduziert, lässt kaum eine Figurenentwicklung zu und wirkt insgesamt so anorektisch wie die Hüftknochen eines Magermodels. Jenseits kalkulierter Schocks und bewusster Tabubrüche hat man viel zu selten das Gefühl, tiefer in das Wesen der Schönheit und die Mechanismen der Beauty-Industrie einzutauchen. Die Erkenntnisse und Einblicke, die NWR (so das selbstbewusste Kürzel des Regisseurs im Vorspann zum Film) der Modewelt abringt, gewinnt jeder einigermaßen reflektierte Mensch bereits nach dem fragwürdigen Genuss von Germany’s Next Top Model. Und alles weitere entspringt eher einem wüsten, maskulinistischen feuchten Traum und reißt souverän die Grenzen zum Exploitativen ein.

Statt auf Reflexion und subversives Unterlaufen der reinen Phänomenologie setzt Refn vor allem auf eine Dramaturgie sich immer weiter steigernder Explizität, die niemals subtil ist, sondern stets mitten auf den Augapfel des Zuschauers zielt. Und genau das macht diesen Film so enorm fordernd (oder je nach Lesart anstrengend): Dass man ihm seine Absichten, seine Lust am bewussten Randalieren, seine Schulhofschläger-Attitüde so deutlich anmerkt. Und dass The Neon Demon jenseits des Oberflächlichen vor allem eines ist: so zynisch, leer und kalt wie das gesamte Thema des Films. Insofern hat Nicolas Winding Refn einen Film zum Thema gedreht, der in Form und Inhalt seinem Gegenstand völlig entspricht. Ob das allerdings so in seiner Absicht lag oder ob sich am Ende das Werk nicht gegen seinen Meister gewandt hat, darüber kann man und sollte man trefflich streiten.

(Joachim Kurz)
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Es ist nicht einfach, über Neon Demon zu schreiben. Der Film ist eine eiskalt kalkulierte Provokation und funktioniert wie Clickbait, der vielleicht mit der Überschrift „Schaut euch diese heißen jungen Mädchen an! Ihr glaubt nicht, welche davon eine sexy Lesbe ist!“ agieren würde. Und egal, ob man es dann sexy, lustig, dämlich oder unfassbar beleidigend und widerwärtig findet, man hat geklickt und den Inhalt damit weitergetragen. Genau darauf ist auch Nicolas Winding Refn aus. Doch es gibt einen Unterschied. Solche Inhalte im Netz sind eindeutig als dumme Marketingmasche zu erkennen. Winding Refns Neon Demon wiederum aalt sich im warmen Bad der Kinematographie und suggeriert durch seine hochgradig ästhetische Patina, ernsthafte Kunst zu sein. Darunter jedoch brodelt eine menschenverachtende, misogyne Weltsicht, die sich auch mit kunstvollen Bildern und systematischen Tabubrüchen nicht verdecken lässt, die andeuten sollen, dass dieser Film postmoderne Kunst sein soll, bei der der Tabubruch eben auch das gezeigte System zerstören soll. Dazu ist der Film jedoch viel zu oberflächlich und gelinde gesagt nicht clever genug.

Los Angeles, Hauptstadt des Schönen und Oberflächlichen. Jesse (Elle Fanning) ist gerade einmal 16 Jahre alt. Ihre Eltern sind tot, sie wohnt in einem schäbigen Hotel in Pasadena und hofft auf ihren Durchbruch als Model. Tatsächlich gelingt er ihr sofort und ohne jegliche Probleme, Wartezeiten oder Strapazen, denn sie ist wunderschön und zwar auf eine ganz natürliche Art. „Echte Schönheit“ wird im Film des Öfteren gesagt, die sich eben abhebt von der chirurgisch fabrizierten. Und wahrlich, jede Figur in Neon Demon wird nicht müde, immer und immer und immer und immer wieder zu betonen, wie schön Jesse sei. Dazu gibt es viele verweilende Blicke in Spiegel oder in die Kamera selbst. Das junge Mädchen wird sofort mit Jobs bedacht. Schon beim ersten endet sie nackt und mit Gold beschmiert bei einem stets starrenden, raubtierhaften Fotografen. Dort trifft sie Ruby (Jenna Malone) wieder, die sich von den restlichen Models des Filmes nur darin unterscheidet, dass sie Make-up-Artistin ist. Tagsüber für Models, nachts für Leichen. Aber ob das zu verzierende Fleisch warm oder kalt ist, spielt in Refns Film keine Rolle, auch die lebenden Frauen sind so inaktiv und puppenhaft, als wären sie schon tot. Zu dieser Ansammlung der Schaufensterpuppen-Frauen gesellen sich dann noch zwei weitere blonde Frauen hinzu. Sie sind Models, die schon länger im Geschäft sind und argwöhnisch auf die erfolgreiche Neue sehen. Doch Jesse ist anfänglich sehr naiv. Großäugig läuft sie durch die Fashion-Welt und kokettiert damit, nicht ganz zu wissen, wie schön sie ist. Bis zu ihrer ersten Fashion Show. Auf dem Laufsteg erscheint ein Zeichen. Drei Dreiecke, von Neon-Röhren hergestellt, markieren den dämonischen Wandel, die Erkenntnis der eigenen Macht durch Schönheit. Das wäre dann der „Neon Dämon“ und Beginn des Untergangs der Schönen. Aber schon diese Beschreibung gibt der Szene mehr Qualität, als sie eigentlich hat. Auf der Leinwand sind nur das Symbol, das Mädchen und flackerndes, rotes Licht zu sehen. Es folgt eine Großaufnahme, wie Jesse in einem roten Dreieck mit Spiegeln steht und dort ihr eigenes Antlitz züngelnd und sexualisiert küsst. Und da haben wir den Kern, den Zerfall in Ästhetik und Inhalt.

Visuell ist Neon Demon ähnlich wie Only God Forgives: überbordend, atemberaubend, bunt, pulsierend, artifiziell, anders, glatt, wenn auch nicht neu. Die glänzende, perfekte Oberfläche ist ein ästhetischer Genuss. Von zahlreichen anderen Künstlern hat Winding Refn hier geliehen: Antonioni, Lynch, Kubrick, Verhoeven, Noé und natürlich die Götter des italienischen Giallos Dario Argento und Mario Bava. Die Bilder sind oft in rot oder blau getüncht, allzeit komplett inszeniert und starr. Die Kamera blickt entweder in Totalen auf das Geschehen oder fährt in elegischen Kamerafahrten nah an die Körper und Gesichter der Akteure, die als Objekte der Sehnsucht und der Schaulust fungieren. Und der Blick ist ganz eindeutig männlich, heterosexuell und überlegen. Mit Giallo-Anleihen will Winding Refn dann noch mehr als nur den objektivierenden Blick herausholen. In diesem leicht trashigen, hyperästhetisierten und -gewalttätigen Genre kann man mit den Körpern noch mehr tun. Man kann sie anfassen, benutzen, sexualisieren, beschmieren, zerstören, zerhacken. Und diese Genrekonventionen benutzt Winding Refn als Begründung für seinen hochgradig herabwürdigenden, frauenverachtenden, brutalen Film. Neon Demon ist die Aneignung eines Genres als Ausrede dafür, sich in Blut zu suhlen und einer abscheulichen Sexualpolitik zu frönen, ohne den doppelten Boden und die psychoanalytischen Exkurse und Denkanstöße, die die Originale von Argento und Co. mit eingebaut haben. Genauer gesagt hat der Film gar keine intellektuelle Ebene, kein Nachdenken. Es existiert keine (Selbst-)Reflexion, kein Horizont oder gar nur ein Gefühl für einen tieferen Sinn. Vielmehr ist er einfach gedacht und regelrecht plump in seiner Auseinandersetzung.

Es geht Winding Refn darum, einen Film machen zu können, in dem Minderjährige vergewaltigt, Frauen zerstückelt, sexualisiert und vor allem in absolut jedem Moment vorgeführt werden. Das beginnt bei einer Fotografie-Session mit einer Minderjährigen und endet bei einer Kamerafahrt zwischen die Beine einer Frau. Neon Demon wartet mit einer ganzen Reihe anstößiger Szenen auf. Keine von ihnen ist relevant für die Narration. Keine bringt die Geschichte voran, entwickelt die Charaktere weiter oder hat sonst irgendeine Relevanz; es geht nur um die Schaulust, um den Spaß an solchen entwürdigenden Momenten. Es ist ein sadistisches Vergnügen im Deckmäntelchen von Kunst.

Dabei greift Winding Refn, ob bewusst oder unbewusst, zu einem riesigen Potpourri aus misogynen Klischees, die in den 1950er Jahren besser aufgehoben gewesen wären. Das lässt sich weder hinter der perfekten Ästhetik verstecken noch hilft es, eine Kamerafrau und zwei Co-Autorinnen engagiert zu haben und das Werk seiner Frau zu widmen. Wenn man einmal die hübsche Oberfläche weggekratzt ist, ist das angeblich in seiner Provokation enthaltene Progressive, das der Regisseur und Autor schon im Vorhinein in seinen Film hinein postulierte, dem Konservativen und Menschenverachtenden viel näher.

The Neon Demon

Man liebt seine Filme oder man hasst sie — ein Dazwischen gibt es bei den Werken von Nicolas Winding Refn einfach nicht. Und vermutlich dürfte ihm genau das ziemlich gut gefallen: Dass er es immer wieder aufs Neue versteht, dergestalt zu polarisieren, dass zwischen Begeisterung und Verachtung kein Platz mehr ist für irgendetwas Anderes. Das war bei „Only God Forgives“ (2013) schon so und dürfte sich auch mit seinem neuesten Werk „The Neon Demon“ nicht verändern.

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