The Limehouse Golem (2016)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Ein Zwielicht voller Geschichten

Im Nebel versinkt das London des späten 19. Jahrhunderts, nur das gedämmte Licht der Opiumhöhlen und Varieté-Theater dringt durch die Dunkelheit des Hafenviertels Limehouse. Hier treibt ein grausamer Serienmörder sein Unwesen: der Limehouse Golem. In einem Film, der selbst im Zwielicht zu versinken droht, erzählt Juan Carlos Medina nicht nur eine historische Kriminalgeschichte – nach der Buchvorlage von Peter Ackroyd entwirft er ein dichtes Netz der Erzählungen, die hinter jeder Straßenbiegung sich neu zu verzweigen scheinen und immer tiefer in die Dunkelheit führen.

Beinahe gerät man auf der Suche nach den richtigen Sätzen für diesen Film selbst in den Modus eines (weit weniger begabten) Geschichtenerzählers, der einen Sinn sucht, einen roten Faden durch die engen Gassen und zwielichtigen Figuren im London von The Limehouse Golem. Inspector Kildare (Bill Nighy) trifft bei seinen Ermittlungen auf immer neue Erzählungen, folgt immer weiter verzweigten Pfaden der Erinnerung seiner Zeugen und Verdächtigen und scheint doch nie alle sich öffnenden Stränge zusammenführen zu können. Zunächst scheint es nur eine lose Verbindung der Limehouse-Morde mit der jungen Elizabeth Cree (Olivia Cooke) zu geben, die möglicherweise ihren Ehemann vergiftet hat. Doch schnell verzweigt sich diese Erzählung, autobiographisch in Rückblenden von der eingekerkerten Mrs. Cree vorgetragen, und führt zum Varieté-Theater des Künstlers Dan Leno (Douglas Booth), dessen Spuren wiederum zum Limehouse Golem zurückzuführen scheinen. Aber ist letztlich das Zentrum der Geschichten Dan Lenos Theater? Oder doch Elizabeth Crees Zelle? Findet sich die Antwort in der Bibliothek oder etwa in einer der düsteren Opiumhöhlen? Gibt es überhaupt einen Weg aus dem Zwielicht hinaus oder ist auch die Auflösung der Morde nur ein weiterer Schritt in die Dunkelheit?

The Limehouse Golem entwirft keine lineare Handlung, die zur Aufdeckung aller Geheimnisse führen würde. Es geht nicht um das Entschlüsseln aller Hinweise, bei dem der Zuschauer sich wie im Fernsehkrimi beteiligen darf. Es geht um die undurchdringliche Finsternis eines verkommenen Ortes und seiner Bewohner, die sich unlösbar mit ihm verschmolzen haben, gefangen in den Rollen, die sie unter der erdrückenden Last ihres Schicksals für immer spielen müssen. Jeder Fortschritt in der Suche nach dem Limehouse Golem spaltet sich in weitere Erzählungen, die sich wie von selbst aus dem Zwielicht schälen und ihre eigenen Geschichten schreiben, der Ermittlung immer einen Absatz voraus.

Für die Figuren dieses Films, die im wahrsten Sinne des Wortes Figuren sind, gibt es kein Entkommen aus der Geschichte, die sich ohne ihr Zutun fortschreibt. Selbst das Varieté-Theater und sein groteskes Spiel finden bei allem Exzess keinen Ausweg aus der neblig-feuchten Dunkelheit. Dass dabei der kränkelnd-gelbe Sepia-Farbton und das künstlich-ertränkende Licht des Films den Pinsel der Verkommenheit mitunter eine Spur zu dick auftragen und darin an den ästhetisch ähnlich eintönigen Vidocq (Pitof, Frankreich 2001) erinnern, sei The Limehouse Golem verziehen.

Dem Film gelingt das erzählerische Meisterstück, nicht die einfache Geschichte eines Serienmörders zu verfolgen, sondern all die Geschichten eines lebendigen Ortes zu erzählen, die zu all jenen Menschen gehören, deren Leben untrennbar mit dem Ort verwoben ist. Die Dunkelheit des Films entsteht als Produkt all dieser Geschichten, sie liegt zwischen ihnen und sie ist es, die Mord und Verbrechen erst hervorbringt. Welcher Verdächtige am Ende hinter dem Golem steckt, ist beinahe nebensächlich – niemand ist unschuldig in einer Welt, in der zwischen Schuld und Unschuld, zwischen Spiel und Wirklichkeit schon längst nicht mehr unterschieden werden kann. The Limehouse Golem ist eine Kriminalgeschichte, in die sich ein finsteres Grauen schleicht, das seine eigenen Geschichten erzählt, das aus all den Geschichten eines Ortes erst entstanden ist und das sich wie eine Schlinge um seine Figuren legt, bis am Ende nur das Zwielicht bleibt, in dem keine Konturen klar umrissen sind, in dem Erhellung und Finsternis eins werden.
 

The Limehouse Golem (2016)

Im Nebel versinkt das London des späten 19. Jahrhunderts, nur das gedämmte Licht der Opiumhöhlen und Varieté-Theater dringt durch die Dunkelheit des Hafenviertels Limehouse. Hier treibt ein grausamer Serienmörder sein Unwesen: der Limehouse Golem.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen