The Eyes of My Mother

Eine Filmkritik von Falk Straub

Grotesker Alptraum in Schwarz-Weiß

Regisseur Nicolas Pesce hat ein Auge für schöne Bilder, was seinen Debütfilm The Eyes of My Mother zu einem gleichermaßen anziehenden und abstoßenden Erlebnis macht. Darin begleitet er seine junge Protagonistin durch ihren privaten Alptraum im amerikanischen Nirgendwo.
Die Augen von Franciscas Mutter (Diana Agostini), die diese schaurig-schöne Mär in ihrem Namen trägt, sind seltsam ausdruckslos. Wenn sie das Fenster zur Seele wären, wie der Volksmund glaubt, dann machte es uns Nicolas Pesce verdammt schwer, ins Innerste seiner Figuren zu blicken. Doch Mutters Sehorgane müssen nicht zwangsläufig ihre eigenen sein. Der Titel steht auch für diejenigen, die sie einst als Chirurgin in Portugal operiert hat, oder für die der geschlachteten Rinder, an denen sie nun auf einer abgelegenen Farm im amerikanischen Hinterland ihr Handwerk an ihre Tochter weiterreicht. Zuletzt sind es die Augen, um die Francisca schon als Kind (Olivia Bond), später als junge Frau (Kika Magalhaes) ihre Opfer beraubt.

Zu viel über die Geschichte auszuplaudern, beraubte wiederum das Publikum. Denn Pesce bereitet uns in seinem ersten Spielfilm manch gräuliche Überraschung. Nur so viel sei verraten: Eine Fehleinschätzung ihrer Mutter und die Teilnahmslosigkeit ihres Vaters (Paul Nazak) zwingen Francisca, früher erwachsen zu werden, als es ihr lieb sein kann. Wobei das Erwachsenwerden in Pesces schwarzweißer Schauerwelt den ungeschriebenen Gesetzen des (New) American Gothic folgt: Ist die Familie erst zerstört, sind der Irrationalität der Protagonistin Tür und Tor geöffnet, die in Freiheitsberaubung, Verstümmelung und einen ungesunden Umgang mit Fleisch und Tod münden.

Seine Vorbilder hat der 1990 geborene Debütant, der zuvor erste filmische Erfahrungen als Regisseur von Musikvideos sammelte, in einem Gespräch mit kino-zeit benannt. Charles Laughtons Die Nacht des Jägers (1955) stand motivisch und formal ebenso Pate wie Alfred Hitchcocks Psycho (1960) und William Castles Die Zwangsjacke (1964). Mit diesen dreien hat The Eyes of My Mother nicht nur bestechend schöne Schwarz-Weiß-Aufnahmen gemein, sondern auch ein faszinierendes Monster. Kika Magalhaes‘ Francisca kann es durchaus mit Robert Mitchums pyschopathischem Wanderprediger Harry Powell und Anthony Perkins‘ Frauenmörder Norman Bates aufnehmen, was vor allem daran liegt, dass Nicolas Pesce seine Hauptfigur zu keiner Zeit verurteilt und ihr genügend Geheimnisse lässt.

2016 ist nicht mehr 1964 oder 1955. Wo seine Vorbilder noch klar in Gut und Böse trennen, uns Identifikationsfiguren und eine lückenlose Aufklärung liefern mussten, lässt Pesce Leerstellen. Und wo andere Regisseure seiner Generation die Gewalt, das Aufbrechen der und das Eindringen in die Körper in Nahaufnahmen ins Bild rücken, zeigt der New Yorker nur das Ergebnis. Der Horror ensteht zwischen den Bildern, in unseren Köpfen. Es ist ein Horror der Isolation und der Begegnung mit dem Fremden und einer, der Familien und Religionen innewohnt.

In den perfekt kadrierten, kontrastreichen Einstellungen lauert das Dunkel stets im Hintergrund, verschluckt ein ums andere Mal beinahe die Figuren. So abscheulich Franciscas Taten auch sein mögen, können wir sie auch verstehen, folgen sie in ihrer irrationalen Logik doch lediglich einem Wunsch nach Geborgenheit. Das macht The Eyes of My Mother zu einem Gruselfilm ohne Monster oder zumindest zu einem, bei dem wir Mitgefühl für die (ziemlich hübsche) Bestie empfinden, und rückt Pesces Debüt in die Nähe eines anderen Klassikers des Genres: James Whales Frankenstein (1931).

The Eyes of My Mother

Regisseur Nicolas Pesce hat ein Auge für schöne Bilder, was seinen Debütfilm „The Eyes of My Mother“ zu einem gleichermaßen anziehenden und abstoßenden Erlebnis macht. Darin begleitet er seine junge Protagonistin durch ihren privaten Alptraum im amerikanischen Nirgendwo.
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