The Dressmaker - Die Schneiderin

Eine Filmkritik von Falk Straub

Die toughe Schneiderin

Nicht nur international, auch Down Under war George Millers Mad Max: Fury Road der australische Film des Jahres 2015. Eine ganz andere kinematografische Vendetta heimste beim Australischen Filmpreis allerdings eine Nominierung mehr als Millers dystopische Actionsymphonie ein: Jocelyn Moorhouse‘ The Dressmaker, in dem Kate Winslet als Schneiderin auf Rache sinnt.
Mexikanische Vihuelas, sanfte Trommelwirbel und dunkle Glocken begleiten Myrtle Dunnage (Kate Winslet), als sie nach Jahrzehnten erstmals wieder Fuß auf heimatlichen Boden setzt. Im verschlafenen Dörfchen Dungatar scheint alles beim Alten: links Pratts Gemischtwarenladen, rechts die kleine Apotheke und etwas weiter die staubige Straße hinunter das Geschäft des Landwirtschaftsagenten Evan Pettyman, der hier das Sagen hat. Elegant zündet sich Myrtle, die alle nur Tilly nennen, eine Zigarette an und verkündet kühl: „Ich bin zurück, ihr Mistkerle!“ Das erinnert nicht nur zufällig an den Auftakt eines (Spät)Westerns. Regisseurin Jocelyn Moorhouse hat The Dressmaker, der auf Rosalie Hams gleichnamigem Roman beruht, als „Erbarmungslos mit einer Nähmaschine“ beschrieben. Denn das Werkzeug, mit der Tilly in diesem Ort für Gerechtigkeit sorgen wird, ist kein rauchender Colt, sondern eine Singer 201K2.

Dungatar, dieses gottverlassene Kaff inmitten des australischen Outbacks, erinnert mit seinen staubigen Straßen, heruntergekommenen Holzhäusern und bornierten Bewohnern eher an das ausklingende 19. Jahrhundert als an das Jahr 1951, in der die Geschichte spielt. Wie es sich für einen Western gehört, hat Tilly ein dunkles Geheimnis aus ihrer Kindheit mit im Gepäck. Ihre Mutter Molly (herrlich kratzbürstig: Judy Davis), die völlig verwahrlost mit einem Opossum haust, will sich partout nicht an ihre Tochter erinnern. Die übrigen Frauen des Dorfes nehmen die weltgewandte Damenschneiderin mit all ihrer Eleganz, Sinnlichkeit und Selbstbestimmung als Bedrohung wahr, schließlich bricht Tilly als Vertreterin der Moderne in diese rurale Gemeinschaft ein. Doch ihre Nähmaschine ist Tillys beste Waffe. Als sie ihren Neiderinnen zeigt, was ein Stück Stoff, das durch die richtigen Hände gegangen ist, bei den Männern anrichten kann, gewinnt sie deren Sympathie. Zu ihrem ehemaligen Mitschüler Teddy (Liam Hemsworth) knüpft sie gar zarte Bande, die kurz auf einen glücklichen Ausgang hoffen lassen. Doch Evan Pettyman (schön selbstgefällig: Shane Bourne) schmeckt das freilich nicht. Er engagiert eine ortsfremde Schneiderin, die mit Tilly um die Gunst der Damen konkurriert. Es kommt wie es kommen muss: zum Showdown an den Nähmaschinen.

Jocelyn Moorhouse (Ein amerikanischer Quilt, Tausend Morgen) meldet sich mit The Dressmaker nach 18-jähriger Abstinenz mit einem deutlichen Augenzwinkern auf dem Regiestuhl zurück. Ihr ist ein visuell betörender, narrativ eigenwilliger Film gelungen, der beständig zwischen Drama, Liebesgeschichte, Persiflage und Hommage schwankt. Wenn Una Pleasance (Sacha Horler) als nähende Söldnerin Dungatars Bahnsteig betritt und unter der Wüstensonne auf grazile Gestalten trifft, die in formvollendeter Haute Couture ihren Einkäufen nachgehen, wirken die farbenprächtigen Bildkompositionen seltsam entrückt. The Dressmaker ist voll von abenteuerlich überzeichneten Figuren – Hugo Weaving gibt nach Priscilla – Königin der Wüste (1994) erneut einen Crossdresser, dieses Mal einen exzentrischen Dorfpolizisten –, die sich jedoch nahtlos vor den Hintergrund des Outbacks fügen. Moorhouse spielt hier ebenso gekonnt mit dem Klischee des australischen Hinterwäldlers wie mit dem des Westerns. Da verzeiht man es auch, dass Winslet und Hemsworth 14 Jahre Altersunterschied trennt, obwohl sie Klassenkameraden spielen, und dass der Silberling, auf dem dieser im besten Sinne schrullige Film zu bestaunen ist, lediglich einen Originaltrailer als Extra bereithält.

The Dressmaker - Die Schneiderin

Nicht nur international, auch Down Under war George Millers „Mad Max: Fury Road“ der australische Film des Jahres 2015. Eine ganz andere kinematografische Vendetta heimste beim Australischen Filmpreis allerdings eine Nominierung mehr als Millers dystopische Actionsymphonie ein: Jocelyn Moorhouse‘ „The Dressmaker“, in dem Kate Winslet als Schneiderin auf Rache sinnt.
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Meinungen

Martin Zopick · 19.07.2022

Kate Winslet als Myrtle/’Tilly’ kehrt nach 25 Jahren als anerkannte Schneiderin in ihr Heimatdorf im Outback zurück. Sie will sich mit ihrer Mutter Molly (Judy Davis mit unglaublichem Mut zur Hässlichkeit) versöhnen. Damals hatte man sie aus dem Dorf Dungatar wegen eines Mordes an einem Klassenkameraden Steward gejagt, den sie natürlich nicht begangen hatte.
Ein ausdrucksstarker Score von David Hirschfelder begleitet das Geschehen nicht nur, sondern passt sich der Situation jeweils an und setzt Akzente manchmal klanglich in Richtung Western.
Neben dieser Mutter-Tochter Problematik gibt es noch eine Liebesgeschichte zwischen Tilly und dem örtlichen Rugby Star Teddy (Liam Hemsworth). Beide Handlungsstänge werden nicht zur Zufriedenheit aller enden, machen aber den Weg frei für ein optisch äußerst eindrucksvolles Finale mit eher symbolhaftem Wert. Tilly kam und ging wieder. Auf einem Plakat hält sie ein Feuerzeug in der Hand…
Neben der Aufklärung von ihrem nicht begangenen Mord liefert der Film aber ein pralles Dorfidyll mit vielen amüsanten Details: liebenswert der Dorfdepp Barney (Gyton Grantley), der mit dem Golfball Unheil anrichtet. Tilly schneidert für das ganze Dorf Haute Couture Kleider. Besonders gelungen ist die Verwandlung von Trudy (Sarah Snook) vom hässlichen Entlein zum Vamp. Der Dorfpolizist (Hugo Weaving) ist eine Transe und in manchen Ehen wird Klartext geredet. So wird aus dem willigen Dummchen ‘Mausi‘ (Alison Whyte) ein Tiger, der Ehemann Evan (Shane Bourne) sehr wehtut. Seine ungeahnte Vaterschaft gibt ihm den Rest.
Das pyrotechnische Finale hat wohl eher symbolischen Wert, ist aber optische äußerst eindrucksvoll. Rote Stoffbahnen werden zu ‘Roten Teppichen‘, die Tilly für sich ausrollt.
Der aufzuklärende Krimi macht es spannend, farbenprächtige Roben erhellen das triste Kaff und setzen das hervorragende Ensemble ins rechte Licht. Und das pralle Dorfidyll setzt einen Treffer neben den anderen. Auch eine gewisse emanzipatorische Entwicklung kann man nicht verleugnen. Tilly ist nach all diesen Rückschlägen stärker geworden und der Zuschauer gut unterhalten.