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Ein Hitchcock-Szenario an Bord eines Regionalzuges hält Jaume Collet-Serras neue Thriller-Arbeit bereit, für die sich der spanische Filmemacher einmal mehr mit dem charismatischen Hollywood-Haudegen Liam Neeson zusammengetan hat.

The Commuter (2018)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Passagier verzweifelt gesucht

Wer mit dem gemeinsamen Wirken des Filmemachers Jaume Collet-Serra und des Hollywood-Stars Liam Neeson vertraut ist, muss sich in ihrer neuen, mittlerweile vierten Zusammenarbeit auf einige Déjà-vu-Erlebnisse gefasst machen. Nach den größtenteils ordentlichen Spannungsstreifen Unknown Identity, Non-Stop und Run All Night bemühen der spanische Regisseur und sein kantiger Hauptdarsteller einmal mehr ein klassisches Hitchcock-Szenario, bei dem ein Durchschnittsbürger in eine lebensbedrohliche Verschwörung gerät und seinen Kopf in einem Wettlauf gegen die Zeit aus der Schlinge ziehen muss. Grundsätzlich ist gegen das Aufgreifen erfolgreicher Konzepte nichts einzuwenden. The Commuter wirkt unter dem Strich jedoch wie ein schwächerer Klon des Thrillers Non-Stop. Mit dem Unterschied, dass sich die Handlung hier nicht in einem Flugzeug, sondern in einem voll besetzten Regionalzug abspielt.

Im Einstieg schneidet Collet-Serra unterschiedliche Tage im Leben des Versicherungsmaklers Michael MacCauley (Neeson) zusammen und fängt so auf prägnante Weise dessen Pendlerroutine ein. Jeden Morgen macht sich der ehemalige Cop, der mit Frau und Sohn in einem New Yorker Vorort lebt, mit der Bahn auf den Weg nach Manhattan zu seinem Arbeitsplatz, den der 60-jährige Mann eines Tages aus heiterem Himmel räumen soll. Frustriert über die unerwartete Kündigung und besorgt um die finanzielle Zukunft seiner Familie, trifft sich Michael schließlich mit seinem alten Polizeipartner Alex Murphy (Patrick Wilson) in einer Bar, kann den Schock allerdings nicht aus den Knochen schütteln. Auf dem Nachhauseweg wird er im Zug von einer Unbekannten (Vera Farmiga) angesprochen, die ihm ein seltsames, aber verlockendes Angebot unterbreitet: Gelingt es dem entlassenen Makler binnen kurzer Zeit, an Bord einen Passagier aufzuspüren, der sonst nicht mit der in erster Linie von Pendlern benutzten Bahn fährt, erhält er 100.000 Dollar. Trotz einiger Bedenken lässt sich Michael auf die lukrative Suchmission ein und findet sich schon bald in einer schweißtreibenden Intrige wieder.

Alfred Hitchcock kommt einem auch deshalb umgehend in den Sinn, weil die Thriller-Legende in der Patricia-Highsmith-Adaption Der Fremde im Zug das gleiche Setting für den Auftakt zu einem mörderischen Katz-und-Maus-Spiel nutzte. Ähnlich wie in Non-Stop, wo das Flugzeug nur selten verlassen wird, konzentriert sich der größte Teil der Handlung auf den beengten Raum der Regionalbahn, die Kurs auf die beschaulichen Vororte des Big Apples nimmt. Handfeste Spannung baut The Commuter zum ersten Mal auf, als der Protagonist auf die mysteriöse Mitreisende trifft. Eine Szene, in der Vera Farmiga gekonnt von einer netten Gesprächspartnerin mit unverfänglichem Interesse zu einer schwer fassbaren Bedrohung avanciert. Liam Neeson verleiht seiner Figur, gewohnt zuverlässig, Bodenhaftung und eine sympathische Jedermann-Ausstrahlung, die den zunehmend hakenschlagenden Plot, zumindest in den ersten beiden Akten, erdet.

Routiniert erzeugt der spanische Regisseur über verdächtige Blicke anderer Passagiere, über kleinere Drehbuchwendungen und dynamische Kamerafahrten ein Klima der permanenten Verunsicherung, das den Zuschauer eine ganze Weile vergessen lässt, dass The Commuter eine reichlich konstruierte Geschichte erzählt. Schon Hitchcock scherte sich nicht sonderlich um Logik und Plausibilität, sondern vertraute darauf, dass eine clevere Zuspitzung und eine mitreißende Inszenierung das Publikum ausreichend gefangen nehmen würden. Collet-Serra scheint diese Haltung vollauf verinnerlicht zu haben und erweist sich erneut als fähiger Arrangeur temporeicher Bedrohungsszenarien inklusive souverän choreografierter Nahkampfmomente.

Wie in vielen seiner vorangegangenen Arbeiten schießt er im finalen Drittel allerdings über das Ziel hinaus. Auch der packende Non-Stop krankte am Ende an einem Effektüberschuss. Im Pendler-Thriller stechen die aufgetischten Unglaubwürdigkeiten und Actionexzesse nun aber noch unangenehmer ins Auge, zumal einige Computerbilder allenfalls zweitklassig sind. Während die Spannung nachlässt, hat man plötzlich Zeit, sich über die etwas schlampig konzipierte Verschwörung Gedanken zu machen und sich über die heiße Luft zu ärgern, die das von Byron Willinger, Philip de Blasi und Ryan Engle verfasste Drehbuch produziert. Erzählerisch ist das Ganze höchst durchschnittlich, selbst wenn die Autoren das Geschehen mit gelegentlichen Anspielungen auf die fatalen Folgen der Weltwirtschaftskrise und das Leid des Normalbürgers aufwerten wollen. Trotz dieser gesellschaftskritischen Einwürfe bleibt The Commuter ein zunächst effektvoll inszenierter Reißer ohne größere Ambitionen, der mit zunehmender Dauer leider deutlich vom Kurs abkommt.
 

The Commuter (2018)

Der Versicherungsmakler Michael MacCauley (Liam Neeson) führt ein ruhiges Leben. Seit zehn Jahren pendelt er jeden Tag mit dem Zug aus einem beschaulichen Vorort nach New York. Doch eines Tages verwickelt ihn eine mysteriöse Fremde namens Joanna (Vera Farmiga) in ein Gespräch und macht ihm ein verlockendes Angebot: Falls er einen bestimmten Passagier in dem Zug findet, winkt ihm eine hohe Belohnung. Falls nicht, bringt er sein und das Leben anderer in Gefahr. 

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