The Birth of a Nation

Kein Film / Aus Wut und Überzeugung

Jeder Film steht für sich selbst. Weder Regisseur noch Drehbuchautor oder Darsteller sollten stellvertretend befragt werden, wenn es darum geht, sich eine Meinung zu einem Film zu bilden. Selbst der Fall, in dem Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller ein und dieselbe Person ist, gibt noch keinen Anlass, zunächst auf diese Person und dann auf den Film zu schauen. The Birth of a Nation – Aufstand zur Freiheit ist der Ausnahmefall, an dem diese Grundüberzeugung ins Wanken gerät. The Birth of a Nation ist kein Film, sondern ein Skandal. Angefangen mit der Begeisterung bei seiner Premiere im vergangenen Jahr auf dem Sundance-Festival, die hier auch Andreas Köhnemann in seiner Festivalkritik (siehe unten) teilte, gefolgt von einem Rekord-Kauf durch Fox Searchlight Pictures steuerte The Birth of a Nation geradewegs auf den Erfolg in der Awards Season zu. Dann wurde jedoch im Sommer 2016, vor dem US-Kinostart des Films im Oktober, ein Vorfall aus dem Jahr 1999 Teil der Diskussion um den Film: Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Nate Parker und Co-Autor Jean McGianni Celestin haben in ihrer gemeinsamen Studienzeit an der Pennsylvania State University angeblich eine junge Frau vergewaltigt und sie nach ihrer Anzeige auf dem Campus schikaniert. Beide wurden letztlich von den Vorwürfen freigesprochen, das Opfer beging im Jahr 2012 Selbstmord. Nach der Veröffentlichung dieser Vorfälle im Vorfeld der Filmpremiere, ausführliche Übersichten der Ereignisse finden sich zahlreich, reagierte Nate Parker in Interviews wenig einfühlsam und betonte vornehmlich die lange Zeit, die seit dem Vorfall vergangen sei. Aber die Tatsache, dass in das Drehbuch eine Vergewaltigung aufgenommen und zu einem zentralen Moment der Erzählung gemacht wurde, sowie der Umstand, dass die Darstellerin dieser Szene selbst Oper einer Vergewaltigung war, machen es nicht gerade leicht, über all das hinweg The Birth of a Nation einfach als Film zu sehen.
Dies ist nun nicht der Ort für eine juristische Aufarbeitung der Vorwürfe und ebenso nicht der Ort, um die Frage nach Schuld und moralischer Verantwortung zu beantworten, die der Fall aufwirft. Dies ist eigentlich der Ort für eine Filmkritik, die sich über all diese Ereignisse zwar informiert, sich vor allem aber über den Film äußern müsste. Dieser erzählt, basierend auf historischen Ereignissen, die Geschichte des Sklaven Nat Turner, der 1831 in Virginia eine Rebellion anführte, die zahlreiche Sklavenhalter und Sklaven das Leben kostete, bevor sie mit der Erhängung Nat Turners endete.

Ereignisse wie Skandale um Filmemacher, an denen es in der Geschichte Hollywoods wahrlich nicht mangelt, stehen üblicherweise als Paratexte neben dem Film. Sie haben als solche immer Einfluss auf die Rezeption und werden selten von Regisseur oder Produzenten erfolgreich gesteuert. Sie erfordern von einer kritischen Auseinandersetzung jene Distanz, die es erst ermöglicht, den Film zu seinem eigenen Recht kommen zu lassen und ihn hinter seinen Paratexten freizulegen. The Birth of a Nation stellt jedoch eine derartig immense Herausforderung an diese Fähigkeit der Distanzierung, dass sie schließlich unmöglich wird. Der Film verschwindet im Netz seiner Paratexte bis er vollständig von seinem Skandal verdeckt ist. The Birth of a Nation erscheint so selbst fast nur Paratext der Äußerungen seines Autor-Regisseur-Darstellers zu sein.

Dies liegt einerseits an der Schwere der Vorwürfe, der Komplexität der Ereignisse und dem Empathiemangel, den Nate Parker im Umgang mit ihnen an den Tag gelegt hat. Es liegt aber auch an der Art und Weise des Films, mit seinem eigenen Anspruch umzugehen: Der gewaltsame Befreiungskampf gegen die Unterdrückung, im unsäglichen deutschen Untertitel sicherheitshalber noch einmal ausbuchstabiert, wird vor allem als persönlicher Kampf der Heldenfigur Nat Turner erzählt, in nicht enden wollenden Großaufnahmen zugekitscht vom Pathos einer ihrer eigenen Größe allzu sicheren Inszenierung. The Birth of a Nation ist weniger der ambivalente Film über Notwendigkeit und Rechtfertigung von Gewalt, der er gerne wäre, als eher die mit simpelsten Registern spielende Heldenhymne eines Filmschaffenden, der die eigene mäßige darstellerische Leistung zum zentralen Element seines nur müde provokanten Films erhebt. Auch die Wahl eines rassistischen Titelvorfahren und die explizite Gewaltdarstellung auf beiden Seiten der Unterdrückung erzeugen noch keine Provokation, sondern lediglich das verkrampfte Streben danach.

Es ist schwer, all dies als eine Kritik am Film zu behaupten, die nicht deutlich vom Wissen um den Skandal getragen wäre. Dennoch trifft Nate Parker eine Reihe von Entscheidungen, die vor seinem persönlichen Hintergrund bestenfalls fragwürdig erscheinen. Die Rache für eine Vergewaltigung, die dem Film keinen narrativen Mehrwert verleiht, ist eine zutiefst irritierende Wahl der Drehbuchautoren, um dem Kampf der Hauptfigur eine weitere Rechtfertigung zu verleihen. Ebenso wie im öffentlichen Umgang mit der Diskussion fehlt auch dem Film ein Gefühl der Verantwortung, des Bewusstseins für die eigenen Äußerungen. The Birth of a Nation hatte als Film damit nie eine Chance. Er verdirbt sie sich mit dem unbedingten Wunsch zu provozieren, der am Ende nur wütend macht. Nicht auf das System der Unterdrückung, dem der Kampf angesagt werden soll, sondern wütend auf den Film selbst und seine Schöpfer, wütend auf ihren Mangel an Feingefühl und wütend darauf, dass The Birth of a Nation ein bedeutender Film über Unterdrückung hätte sein können, der am Ende Opfer seines eigenen Regisseurs geworden ist.

(Lars Dolkemyer)

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The Birth of a Nation kann in vieler Hinsicht als Kraftakt bezeichnet werden. Nate Parker – der als Schauspieler etwa im Upper-Class-Thriller Arbitrage sowie im Liam-Neeson-Vehikel Non-Stop mitwirkte – brauchte sieben Jahre, um sein Herzensprojekt zu realisieren; er fungierte nicht nur als (Langfilmdebüt-)Regisseur und Hauptdarsteller, sondern hat obendrein das Drehbuch (nach einer Story-Ausarbeitung mit Jean McGianni Celestin) verfasst und insgesamt 100.000 US-Dollar seines eigenen Geldes investieren müssen. Letzteres war unter anderem deshalb nötig, weil das Werk aufgrund der Tatsache, dass dessen Hauptfigur schwarz ist, in Hollywood-Kreisen als ‚Kassengift‘ eingestuft wurde. Der große Triumph auf dem Sundance Film Festival 2016 sollte diese Stimmen Lügen strafen: Das biografische Drama erhielt im Spielfilmwettbewerb sowohl den Grand Jury Prize als auch den Audience Award – und wurde von Fox Searchlight Pictures für eine Rekordsumme von 17,5 Millionen US-Dollar erworben.

Ein Kraftakt ist der Film auch für das Publikum: Mit Härte und Kompromisslosigkeit schildert Parker das Leben des Sklaven Nat Turner – und wie dieser im Jahre 1831 zum Anführer eines blutigen Aufstandes wurde. Weder verfügt The Birth of a Nation über eine weiße Lichtgestalt, wie sie Brad Pitt in 12 Years a Slave verkörpert, noch offeriert die Inszenierung uns kathartischen Splatter-Humor im Stil der Quentin-Tarantino-Schöpfung Django Unchained. Parkers Werk bietet keinerlei Auswege aus der Konfrontation mit den Sünden der Vergangenheit; es ist – zu Recht – von Zorn erfüllt, worauf bereits die Aneignung des pompös tönenden, filmgeschichtlich besetzten Titels hinweist: The Birth of a Nation, so nannte schon der kinematografische Pionier D. W. Griffith im Jahre 1915 seinen historischen Stummfilm, der in puncto Dramaturgie, Ästhetik und Technik Maßstäbe setzte – und (ob vollauf bewusst oder nicht) eine unerträglich rassistische Erzählhaltung aufweist. In gewissem Sinne ist Parkers Film ein überfälliger, radikaler Gegenentwurf zur Hollywood’schen Geschichtsschreibung, die noch lange nach Griffith mit Produktionen wie Vom Winde verweht (1939) in verzerrender Weise fortgeführt wurde.

Die Handlung beginnt im Jahre 1809: Dem jungen Afroamerikaner Nat (Tony Espinosa) wird während eines Rituals vorhergesagt, zum Anführer und Propheten bestimmt zu sein. Mit seiner Familie wird er auf einer Plantage in Virginia als Sklave gehalten, ist aber mit Samuel (Griffin Freeman), dem etwas älteren Sohn des Besitzers, befreundet. Kurz nachdem sein Vater Isaac (Dwight Henry) fliehen muss, da dieser einen Sklavenjäger im Kampf getötet hat, wird ihm von Elizabeth (Penelope Ann Miller), der Gattin des Plantageneigentümers, das Lesen der Bibel beigebracht. Nat wächst auf dem Baumwollfeld zu einem Mann (nun von Parker verkörpert) heran; sein einstiger Spielkamerad Samuel (jetzt: Armie Hammer) wird nach dem Tod von dessen Vater zum Besitzer des Betriebs, pflegt indes noch immer einen freundschaftlichen Umgangston mit Nat. In der Sklavin Cherry (Aja Naomi King) findet Nat eine Frau, die er heiratet und mit der er eine Tochter bekommt. Als der Pfarrer Walthall (Mark Boone Junior) erfährt, dass Nat des Lesens der Bibel mächtig ist, überredet er Samuel dazu, den Sklaven als Wanderprediger einzusetzen, um die anderen Versklavten in Virginia mit Worten aus der Bibel von jeglichen Ideen an einen Aufstand abzubringen. Doch als Nat erkennen muss, welchen Misshandlungen die Schwarzen auf den Plantagen ausgesetzt sind, fasst er den Entschluss, sich gegen die bestehenden Verhältnisse aufzulehnen.

Als Schauspieler gelingt es Parker hervorragend, Nats zunehmende Erschütterung und Wut zu vermitteln, die letztlich einen kurzen, aber erbitterten und (wie das Schlussbild treffend zeigt) äußerst folgenreichen Aufstand bewirken. Als Drehbuchautor und Regisseur schafft er es, den perfiden Einsatz der Bibel für die unrechten Zwecke der Herrschenden zu demonstrieren. Der Film lässt uns zudem spüren, wie tief das System der Sklaverei im Leben und somit im Denken und Fühlen der Menschen zur damaligen Zeit verankert war: Wie selbstverständlich lässt sich etwa ein schwarzes Mädchen im Spiel an einer Schlinge herumführen; in früher Kindheit werden so bereits die Machtverhältnisse verinnerlicht. Auch Samuel und seine Mutter Elizabeth, die zunächst als positive Figuren erscheinen, entbergen sich als Personen, die ihrer Zeit verhaftet sind – was von Armie Hammer und Penelope Ann Miller glaubhaft transportiert wird.

Parkers Historiendrama ist gewiss nicht ohne jeden Makel – die Musik des Briten Henry Jackman ist oft zu aufdringlich, einige Szenen zwischen Nat und Cherry sind zu pathetisch geraten und ein von Jackie Earle Haley gespielter Sklavenjäger wird in seiner dramaturgischen Schlüsselfunktion zu einer diabolischen Klischeefigur stilisiert –, doch ohne Zweifel ist The Birth of a Nation ein Film, an dessen Wucht kein Weg vorbeiführt. Dies ist die Arbeit eines ‚filmischen Überzeugungstäters‘ – schonungslos, ernsthaft und intensiv.

(Festivalkritik Sundance 2016 von Andreas Köhnemann)

The Birth of a Nation

Jeder Film steht für sich selbst. Weder Regisseur noch Drehbuchautor oder Darsteller sollten stellvertretend befragt werden, wenn es darum geht, sich eine Meinung zu einem Film zu bilden. Selbst der Fall, in dem Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller ein und dieselbe Person ist, gibt noch keinen Anlass, zunächst auf diese Person und dann auf den Film zu schauen.
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