That Lovely Girl

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Alltagsbeobachtungen einer inzestuösen Beziehung / In finsterer Abhängigkeit

In ihrem dritten Spielfilm adaptierte Keren Yedaya (Jaffa) den Roman Far From His Absence von Shez über eine Inzest-/Missbrauchsbeziehung zwischen einem Vater und seiner erwachsenen Tochter. In der israelisch-französisch-deutschen Co-Produktion stehen sich der renommierte Darsteller Tzahi Grad, der zuletzt in Big Bad Wolves einen ebenso rabiaten Vater auf Rachefeldzug verkörperte, und Newcomerin Maayan Turjeman als Tochter gegenüber. Während das Mädchen von Anfang Zwanzig und der bullige Mann zunächst noch bei abendlichen Verrichtungen in ihrer Wohnung zu sehen sind, scheint es sich noch um eine gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung zu handeln. Erst nach einigen Minuten ändert sich für den Zuschauer die Situation, als die beiden zusammen im Ehebett liegen.
Mit fast dokumentarischem Duktus beobachtet Yedaya dieses düstere Verhältnis, ohne Details über die Vorgeschichte der Figuren zu offenbaren. Was aus der Mutter wurde und warum die junge Tami keine Schule besucht oder einer Arbeit nachgeht, sondern sich tagsüber um den Haushalt kümmert, während Vater Moshe für den Unterhalt sorgt, bleibt ungeklärt. Vielmehr folgt man einer steten Achterbahnfahrt aus Komplimenten und Beleidigungen des Vaters, aus Abwehr und bedingungsloser Unterordnung der Tochter.

Die zur Korpulenz neigende Tami übergibt sich nach einem Restaurantmahl sofort wieder auf der Toilette, was der Vater mit harschen Vorwürfen kommentiert. Tagsüber stopft sie Süßigkeiten in sich hinein, lässt die Wohnung verwahrlosen und ritzt sich mit dem Messer „Stirb“ in den Unterarm. Der Vater nimmt sie immer wieder mit Gewalt und stößt sie vor den Kopf, als er plötzlich mit einer Geliebten nach Hause kommt. Seine Tochter versucht ihn mit Sex an sich zu binden. Als das Mädchen von zuhause ausbricht, kommt sie letztlich doch nicht von ihm los. Tami hat keine Freunde, mit denen sie in Kontakt treten könnte. Als sie doch einmal eine sympathische Frau kennenlernt, deren Motive nicht ganz erläutert werden, versucht der Vater, diese Beziehung sogleich wieder zu zerstören.

Keren Yadaya setzt auf eine Mischung aus distanziertem Blick mit langen Einstellungen und Handkamera, mit der sie den Protagonisten eng auf den Leib rückt. Auch aufgrund des Verzichts auf Hintergrundmusik baut sie eine lakonische, nüchterne Stimmung auf, in der die Wohnung wie ein Gefängnis wirkt. Als einziger Musiktitel ertönt unheilschwanger Fridas Hit „There’s Something Going On“ aus dem Radio. Ebenso reduzierte Yadaya die Romanvorlage auf die beiden Protagonisten nebst der beiden Frauen, zu denen sie eine Beziehung aufzubauen versuchen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Da sich die sozial engagierte Regisseurin weitgehend auf Tamis desolate Alltagsroutine beschränkt und ihre Sichtweise einnimmt, bleiben notwendigerweise Redundanzen nicht aus. Damit unterstreicht sie aber den fatalen Kreislauf aus Eifersucht, Selbstdestruktion, Frustration und dem Verlangen nach Zärtlichkeit, der stets in Gewalt umschlagen kann. Schließlich offeriert Yedaya zwei Enden, von denen sich das erste als Traumvision entpuppt, die nur in Tamis Augen ein Happy End darstellt. Ob sie sich nach einer dramatischen Zuspitzung letztlich ganz vom Vater befreien kann, wird erst die Zukunft entscheiden.

(Gregor Ries)
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Mit That Lovely Girl kommt ein erschütterndes Inzestdrama aus Israel in die deutschen Kinos. Filmemacherin Keren Yedaya beschreibt viel, analysiert aber auch, wenngleich vielleicht nicht genug. Der Film wird der Erniedrigung ihrer weiblichen Hauptfigur wie der Erfahrung vieler Missbrauchsopfer sicherlich sehr gerecht. Den Umgang mit dem Täter hätte man sich jedoch anders gewünscht.

Ein Paar geht brunchen. Der ältere Moshe (Tzahi Grad) stopft alles gierig in sich hinein. Die junge Tami (Maayan Turjeman) sucht zwischendurch die Toilette auf und übergibt sich. Zuhause haben sie Sex auf dem Bett, ruckzuck, Höschen runter, ein paar Stöße. Der Mann ist zufrieden. Für Tami stimmt etwas nicht. Ob er eine Affäre habe, fragt sie später. Was sie das angehe, fragt er zurück. „Ich hasse Dich“, sagt sie. Daraufhin geht er zu ihr und schlägt sie. Nimmt sie von hinten. Schmeißt die Tür hinter sich zu und geht zur Arbeit. Es handelt sich hier nicht einfach um ein Paar in der Krise mit einem gewalttätigen Partner, sondern um eine brutale Ausbeutung der Tochter durch den Vater.

Ganz bildlich zieht That Lovely Girl in die kalte, menschenverachtende Dunkelheit dieses Verhältnisses hinein. Darauf wartend, dass ihr Vater an den Essenstisch oder von der Arbeit nach Hause kommt, hockt Tami tagsüber in der finsteren Wohnung mit den zugezogenen Vorhängen und geschlossenen Jalousien, gegen die gleißendes Sonnenlicht anbrandet. In die unheimliche und abstoßende Routine dieses entwürdigenden Lebens zieht der Film unnachgiebig hinein, entlarvt die Perversion einer scheinbaren Normalität. Das ist die eine Stärke des Films.

Die andere Stärke liegt darin zu zeigen, dass die Abhängigkeit vom väterlichen Täter mit den Jahren nicht etwa abnimmt, sondern zunimmt. Der Missbrauch wirkt als eine verheerende Erziehung. Tami hat verinnerlicht, nur als Sexobjekt von ihrem Vater geschätzt zu sein und prostituiert sich deshalb geradezu – sowohl ihm gegenüber als auch später einer Gruppe von Jungen am Strand. Als Moshe seine neue Freundin Iris (Tal Ben-Bina) mitbringt, ist Tami rasend eifersüchtig und dann ohnmächtig. Nicht mehr ‚gefragt‘ zu sein, bringt ihr ganzes bisheriges Leben zum Einsturz. Aber die Risse in ihrer Welt ermöglichen den Weg nach draußen.

Wahrscheinlich kann den niemand wirklich allein gehen, und auch Tami trifft auf einen Menschen, der Halt gibt. Was nicht heißt, dass ihr Vater einfach aufgeben würde, was, wie er annimmt, ihm gehört. An diesem Punkt widerfährt Tami etwas, das zwar bedrückend realistisch sein mag, aber Reaktionen des Vaters weckt, die auf eine allzu simple und letztlich missverständliche Erklärung des Missbrauchs hinauslaufen. An dieser Stelle verweigert sich That Lovely Girl womöglich ein Stück weit der sinnlosen Abgründigkeit des alltäglichen Bösen. Noch indem dem Täter ein Wahn zugeschrieben wird, wird seinem Tun zumindest ein Irrsinn unterstellt, der ihm ein unverdient menschliches Gesicht gibt und zum Rest des Films überhaupt nicht passt.

That Lovely Girl

In ihrem dritten Spielfilm adaptierte Keren Yedaya („Jaffa“) den Roman „Far From His Absence“ von Shez über eine Inzest-/Missbrauchsbeziehung zwischen einem Vater und seiner erwachsenen Tochter. In der israelisch-französisch-deutschen Co-Produktion stehen sich der renommierte Darsteller Tzahi Grad, der zuletzt in „Big Bad Wolves“ einen ebenso rabiaten Vater auf Rachefeldzug verkörperte, und Newcomerin Maayan Turjeman als Tochter gegenüber.
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