Tall Girls

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das lange Elend großer Frauen

Seitdem die Casting-Shows für kommende Topmodels im deutschen Fernsehen den Berufswunsch vieler Mädchen und junger Frauen medial ausschlachten, sind zumindest körperlich große Frauen wieder gefragt. Zu groß soll es allerdings auch nicht sein, denn ebenso wie eine zu geringe Körpergröße den „Berufswunsch“ Mannequin torpedieren kann, gilt das Gleiche auch für sehr große Frauen. Wobei das wahrlich noch das geringste Problem ist.
„Es war einmal eine Prinzessin…“, so beginnt der Film als Parodie auf all die Märchen, in denen eine Königstochter auf den Prinzen wartet. Was aber, wenn die holde Prinzessin den Traummann um Haupteslänge überragt, weil sie einfach zu groß ist, um zu ihm aufschauen zu können, wie dies gerne in Märchen und stockkonservativen Rollenmodellen gefordert wird? Edda Baumann-von Broen, selbst 1,86 groß kennt all die Sorgen und Nöte großer Frauen und hatte als Kind selbst unter „Kosenamen“ wie „Bohnenstange“ oder „langes Elend“ zu leiden. Als sich aber ihre eigene Tochter Anna-Lena ebenfalls anschickte, überdurchschnittlich groß zu werden, waren plötzlich all die Verunsicherungen, Ängste und Sorgen wieder da. Aus den persönlichen Erfahrungen und der neuerlichen Beschäftigung mit dem Thema entstand so die Idee, einen Film über „Leidensgenossinnen“ zu machen.

Im Mittelpunkt des Films stehen aber nicht die Regisseurin und deren Tochter, sondern Lisa, Tiiu, Michelle, Lea, Sarah, die zwischen 1,77 und 1,99 groß sind. Lea zum Beispiel ist erst 12 Jahre alt, aber bereits 1,80 groß. Eine Untersuchung der Handwurzelknochen, die übliche Methode zur Prognostizierung der zu erwartenden Körpergröße, ergibt bei ihr einen Wert von 1,92 – zu groß, um unbelastet durchs Leben zu gehen. Das findet auch Sarah aus Wien, die ebenfalls 12 Jahre alt ist und für die eine ähnliche Größe erwartet wird. Beide Mädchen entschließen sich mit Hilfe ihrer Eltern dazu, das Wachstum durch die Einnahme von Hormonen oder durch eine Operation zu stoppen. Lisa hingegen aus den USA hat sich mit ihrer Größe längst arrangiert. Sie misst 1,99 und wird bald das Basketball-College-Team in Ohio unterstützen. Auch Tiiu und Michele aus New York haben sich mit ihrer Größe – beide messen 1,87 Meter – arrangiert: Obwohl sie eigentlich nach den Kriterien der Modewelt zu groß sind, arbeiten sie beide als Models.

Die Fragen, die der Film in seinen Bildern und den Off-Kommentaren der Filmemacherin selbst etwas vermissen lässt, finden aber dank der amerikanischen Autorin Arianne Cohen (The Tall Book) doch noch Platz in dem Film. Ihre Überlegungen zu Norm und Anpassungsdruck, die von gelungenen Animationen untermalt sind, zählen zu den aussagekräftigsten des ganzen Filmes und man hätte sich durchaus gewünscht, genau diesen Gedanken noch ein wenig weiter zu folgen. So aber verharrt der Film weitgehend in der konkreten Lebensweltlichkeit (einschließlich den Schwierigkeiten bei der Partnerwahl) und lässt Reflexionen über psychologische und soziale Implikationen bis auf einige kleine Andeutungen außen vor. Dabei wären gerade Erläuterungen über die „Wirkung“ großer Frauen und die damit verknüpften Rollenbilder in unserer ach so modernen Gesellschaft durchaus interessant gewesen.

Sowohl ästhetisch wie auch von der Länge her bewegt sich Tall Girls auf dem schmalen Grat zwischen gelungener TV-Dokumentation (was auch an der Stimme der Regisseurin liegt, die ein wenig an eine berühmte Nachrichtensprecherin erinnert) und ambitioniertem Kino-Dokumentarfilm, der sich allerdings – womöglich aus Rücksicht auf seine Protagonistinnen – zu wenig traut, um die physische Außergewöhnlichkeit der jungen Frauen hervorzuheben. Vielleicht ist das ja dann der Preis, den man zahlen muss, wenn man als Filmemacherin genau um die Situation der Protagonistinnen weiß.

Tall Girls

Seitdem die Casting-Shows für kommende Topmodels im deutschen Fernsehen den Berufswunsch vieler Mädchen und junger Frauen medial ausschlachten, sind zumindest körperlich große Frauen wieder gefragt. Zu groß soll es allerdings auch nicht sein, denn ebenso wie eine zu geringe Körpergröße den „Berufswunsch“ Mannequin torpedieren kann, gilt das Gleiche auch für sehr große Frauen. Wobei das wahrlich noch das geringste Problem ist.
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