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Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, in der unendlich viel passieren kann. Manchmal passiert aber auch fast gar nichts, dann scheint die Zeit eingefroren zu sein, als habe man bei einem Musikstück auf die Pause-Taste gedrückt, sei aus dem Zimmer gegangen, zwei Dekaden später wieder dahin zurückgekehrt und betätige nun die Play-Taste.

T2 Trainspotting (2017)

Eine hektische Tour de Force

Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, in der unendlich viel passieren kann. Manchmal passiert aber auch fast gar nichts, dann scheint die Zeit eingefroren zu sein, als habe man bei einem Musikstück auf die Pause-Taste gedrückt, sei aus dem Zimmer gegangen, zwei Dekaden später wieder dahin zurückgekehrt und betätige nun die Play-Taste. Dies beschreibt ziemlich exakt das Gefühl, das einen als Zuschauer von T2 Trainspotting beschleicht, der Fortsetzung von Danny Boyles — Verzeihung — Kultfilm aus dem Jahre 1996. Wie der erste Teil basiert auch der zweite auf einem Roman des schottischen Autors Irvine Welsh, dessen Vorlage allerdings schon 2006 unter dem Titel Porno erschien. Zehn Jahre später hat Danny Boyle daraus eine nostalgisch-hektische Reise gezaubert, die zwar durchaus unterhaltsam, aber eben auch recht unentschlossen zwischen Sequel, Selbstzitat und Metaerzählung pendelt.

Es beginnt mit einem Schock, in dem sich bereits der erste Verweis auf dieses obskure Damals, aus dem sich der ganze Film speist, verbirgt. Beim Joggen auf dem Laufband in einem Fitnessstudio kippt Mark Renton (Ewan McGregor) um und hat eine Art Nahtoderlebnis, in dessen Verlauf Bildfetzen und Erinnerungsbruchstücke vor seinem inneren Auge auftauchen, die ihn dazu veranlassen, von seinem jetzigen Lebensmittelpunkt Amsterdam nach Edinburgh zurückzukehren. Dort leben immer noch seine Kumpels Spud (Ewen Bremner), Sick Boy/Simon (Jonny Lee Miller) und Frank Begbie (Robert Carlyle), deren Leben genau den Verlauf genommen hat, den man im Jahre 1996 schon vermutete: Spud hängt nach wie vor an der Nadel, Sick Boy hält mit Müh und Not einen miesen Pub und schmierige Erpressungsgeschäfte am Laufen und Begbie sitzt (natürlich) wegen Mordes im Knast und hat die Vorzüge guter Führung immer noch nicht verinnerlicht. Marks Auftauchen, nachdem er sich vor zwei Jahrzehnten mit der Kohle aus dem Heroin-Deal aus dem Staub gemacht hat, stößt bei seinen Kumpels nicht gerade auf ungeteilte Freude, was sich vor allem dann zuspitzt, als Begbie mit einem Trick die Flucht aus dem Knast gelingt. Neu mit dabei ist Sick Boys Komplizin, die Bulgarin Veronika (Anjela Nedyalkova), mit der er kompromittierende Sextapes aufnimmt, um so deren Freier zu erleichtern. Marks schlechtes Gewissen, das ihn in seine alte Heimat zurücktreibt, ruft bei Sick Boy nun Rachegelüste hervor, zu deren Befriedigung er sich auf die Formel besinnt, die schon den Verlauf ihrer Freundschaft Mitte der 1990er Jahre kennzeichnete: „Zuerst war das eine günstige Gelegenheit – und dann ein Verrat.“

Wären da nicht die Falten, die sich in die Gesichter eingegraben haben, der Bauch des ehemals spindeldürren Begbie, Spuds noch traurigerer Hundeblick und dazu all die Segnungen der zwei Dekaden wie die Allgegenwärtigkeit von Smartphones und Social Media, gegen die Mark in der vielleicht schönsten Dialogszene des Films herrlich giftig vom Leder zieht, könnte man meinen, dass sich in Edinburgh nahezu nichts verändert hat – oder dass zumindest das Quartett dies so empfindet. Zumal Danny Boyle in seiner flotten bis hektischen Hommage an die vermeintlichen goldenen Zeiten immer wieder mit Zitaten, Verweisen und Variationen von Schlüsselszenen aus dem Film jongliert und so vor allem jenen wohl beachtlichen Teil des Publikums anspricht, das genau das erwartet: Nostalgie, Retroseligkeit und das Vergnügen des heiteren Ratens, auf welche Szene oder Begebenheit diese oder jene kleine Miniatur jetzt wieder anspielt.

Diese Anbiederung an die bestehende Fanbase hat aber auch einen unübersehbar negativen Effekt: Als Stand-alone-Werk ist T2 Trainspotting bei allem Unterhaltungswert und allen visuellen Gimmicks eher eine Enttäuschung, der Film funktioniert vor allem mit genauer Kenntnis des ersten Teils und dem damit verbundenen Gefühl, dass dieser ein wichtiger Teil der eigenen cineastischen und subkulturellen Prägung war. Die Chance, etwas wirklich Substanzielles über die Lebenswelt der heutigen Mittvierziger zu erzählen, deren Jugend vielleicht ähnlich exzessiv war wie die von Mark, Spud, Sick Boy und Begbie, hat Danny Boyle jedenfalls ungenutzt verstreichen lassen. Und dass der nunmehr nur noch gelegentliche Heroinkonsum immer noch selbstverständlich dazugehört, gemahnt, dass jedem Rausch unweigerlich ein gewaltiger Kater folgt. Die überaus anstrengende und sehr hektisch geratene Tour de Force von T2 Trainspotting hinterlässt jedenfalls ein schales Gefühl der Ermattung und Erschöpfung.

(Festivalkritik Berlinale 2017 Joachim Kurz)

T2 Trainspotting (2017)

Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, in der unendlich viel passieren kann. Manchmal passiert aber auch fast gar nichts, dann scheint die Zeit eingefroren zu sein, als habe man bei einem Musikstück auf die Pause-Taste gedrückt, sei aus dem Zimmer gegangen, zwei Dekaden später wieder dahin zurückgekehrt und betätige nun die Play-Taste.

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Meinungen

Sascha · 01.03.2017

also mir hat´s gefallen. Klar, Teil 1 ist nicht zu schlagen, aber Robert Carlyle, Danny Boyles Regie und der klasse Soundtrack sorgen doch für gute 2h Unterhaltung. Kenntnis und "Mögen" des ersten Teils schaden dem Vergnügen natürlich nicht.