Sucker Punch

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mit Amazonen in Stahlgewittern

Wenn die Realität unerträglich wird, dann hilft manchmal nur noch die Flucht in die Welt der Träume. Und welche Welt würde sich für eine Flucht besser eignen als die des Kinos oder in neuerer Zeit vielleicht die der Computergames, die drauf und dran sind, die Welt des Films als beherrschendes Eskapismusmedium abzulösen. In seinem neuen Film Sucker Punch hat Zack Snyder aus den Trümmern des Theaters, des Films und der Videoclips und mit den Strategien der Games ein krachendes Action-Spektakel angerührt, das bildgewaltig und (digital) durchgestylt bis zum letzten Detail in jeder Sekunde etwas gänzlich Neues sein will und das doch immer wieder in die altbekannten Muster und Klischees zurückfällt, denen es mit viel Getöse zu entkommen versucht.
Sucker Punch setzt irgendwann in den frühen 1960er Jahren ein, als Babydoll (Emily Browning) nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem finsteren Stiefvater (Gerard Plunkett) nach einem erbitterten Kampf um die kleine Schwester in eine Nervenheilanstalt namens Lennox House in Brattleboro, Vermont verfrachtet wird. Dort soll der eiserne Willen des Mädchens, das angeblich um die zwanzig Jahre alt sein soll, aber das keinen Tag älter als zwölf aussieht, mit Hilfe des korrupten Aufsehers Blue Jones (Oscar Isaac) gebrochen werden. Wider besseren Wissens manipuliert der Fiesling im Gewand eines Pflegers die Akten so, dass eine Lobotomie als einzige Behandlungsmethode erscheint. Während Babydoll hilflos auf die Ankunft des Chirurgen wartet, der die unheilvolle und äußert fragwürdige Operation bei ihr durchführen wird, flüchtet sich das Mädchen in eine Phantasiewelt, um das nahende Unheil besser ertragen zu können.

In dieser Parallelwelt verwandelt sich die düstere Nervenheilanstalt in ein Nobelbordell und Blue in einen skrupellosen Zuhälter, der Babydoll einem anderen Schurken namens „High Roller“ versprochen hat. Mit Hilfe von vier anderen „Tänzerinnen“ (ein ähnlich schöner Euphemismus für das Gewerbe findet sich auch in Irinia Palm und wird dort gar zum Gegenstand eines köstlichen Dialogs) — nämlich den beiden Schwestern Rocket (Jena Malone) und Sweet Pea (Abbie Cornish) sowie Blondie (Vanessa Hudgens) und Amber (Jamie Chung) – entwickelt Babydoll einen Plan, um aus dem Bordell, das wie ein Gefängnis gesichert ist, zu entfliehen. Eine Karte, ein Messer, ein Schlüssel, Feuer und ein weiterer Gegenstand – fünf Aufgaben haben die fünf jungen Frauen zu lösen, fünf Level zu meistern, bei denen jeweils eine andere der Gefährtinnen ihr Können unter Beweis stellen muss. Dass nicht alle diese Prüfungen unbeschadet überstehen werden, deutet sich schon früh in der von Konkurrenz und Fürsorge geprägten Geschwisterkonstellation Rocket und Sweat Pea an. Babydoll kommt dabei eine Schlüsselposition zu, denn sie besitzt ein Talent, das für den Plan von zentraler Bedeutung ist: Ihre Art zu tanzen lässt Bilder im Kopf der Zuschauer entstehen, die deren Sinne vollkommen gefangen nehmen. Und während die Betrachter atemlos den Bewegungen Babydolls und den Geschichten, die sie damit erzählt, verfolgen, kann der Rest der Mädchengang in aller Ruhe den Coup durchziehen und die benötigten Gegenstände stehlen, die sie schließlich in die ersehnte Freiheit führen sollen…

Weil die von Babydoll imaginierten Abenteuer aber viel reizvoller sind als das zeitlich wie räumlich recht beschränkte Leben in einem Luxusbordell (respektive einer Nervenheilanstalt), finden die Kämpfe, denen nicht nur Babydolls lüsterne Betrachter, sondern auch der Kinozuschauer folgen, innerhalb der getanzten Fantasiewelten statt — auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, in einer fernöstlichen Tempelanlage, in einer Fantasy-Trutzburg und im Cyber-Raum. Ähnlich wie Christopher Nolans Inception ist auch Sucker Punch ein Film über die Macht der kollektiven Imagination und damit letztendlich auch eine Reflektion über das Kino – und im Falle von letzterem eben auch über all die anderen Medien, derer wir uns bedienen, um der Wirklichkeit für ein Weilchen zu entfliehen. Während Inception aber auf intelligente Weise mit dem Gegensatz zwischen Realität und Fiktion spielt und immer wieder als Leitmotiv die Frage durchscheinen lässt, ob wir uns nun im Traum oder in der Wirklichkeit befinden, ist diese Grenze in Sucker Punch längst bedeutungslos geworden und stellt allenfalls eine vernachlässigbare Fußnote dar.

Denn in der von unübersehbarem Stilwillen geprägten Handschrift des Regisseurs Zack Snyder, der hier nach Watchmen und 300 erstmals einen Stoff aus eigener Feder realisiert (und damit gewissermaßen die höheren Weihen eines Autorenfilmers Hollywoodscher Prägung anstrebt), sind Realität und Traumwelt nahezu ununterscheidbar geworden. Die Rahmenhandlung ist mindestens ebenso stilisiert (und steril) wie die Flucht- und Fantasy-Episoden; jede Einstellung, jede Geste, jeder Typus aus dem Figurenreservoir ist nicht originell, sondern ein bekanntes Zitat, ein Versatzstück, ein Splitter aus Genrefilmen, Comics, Musikvideos und Adventuregames.

Gerade weil der Film in jeder Wendung des Plots und in jedem Bild vielfach bekannten Zitaten folgt und weil die Darstellerinnen damit in ein enges Korsett gezwängt werden, das ihnen ebenso wenig Platz lässt wie ihre Push-up-Brustpanzer, gelingt es Sucker Punch trotz seiner monströsen Bildsprache und seiner anderen Strategien der Überwältigung nicht, wirkliches Interesse für die fünf Heldinnen zu wecken: Sie bleiben zuallererst Schablonen, role models, Abziehbilder, in denen sich weniger eigene Charakterzüge, sondern vielmehr ein eigentümlicher mash-up aus Popkultur, (Post-)Feminismus, männlichen Phantasien, Riot Grrrl-Attitüde und permanenter Sexiness abbilden, überlagern und gegenseitig negieren. Was am Ende übrig bleibt, ist die reine Form, die Reduktion auf Kämpfe, möglichst knapp geschnittene Kostüme (selbst im Grabenkrieg marschieren die Damen noch mit halterlosen Strümpfen und anderen Accesiores, die man sonst allenfalls aus HipHop-Clips oder Hardcore-Pornos kennt) und viel effektgeladener Action, an deren Ende die unausweichliche Selbstaufopferung der Amazonen für das große Ganze steht. Wenn dies das neue Gesicht, die neue Erscheinungsform der Emanzipation ist, dann gute Nacht…

„Fühlt euch nicht schuldig“, sagt der Mentor (Scott Glenn) als „alter ego“ des Regisseurs Zack Snyder der coolen Mädchengang, bevor es zum fröhlichen Schlachten in die Schützengräben des Ersten Weltkrieges geht und liefert die Begründung gleich mit: Die deutschen Soldaten, gegen die es geht, seien schon tot, seien nur Maschinen, die mittels Zahnradmechanik und Dampfkraft zum Leben erweckt worden seien. Ein verräterischer Satz, den man gleich in mehreren Facetten auf Sucker Punch anwenden kann: Zum einen als Handlungsanweisung an die Protagonistinnen, jegliche Skrupel fallenzulassen – denn es ist ja alles nur ein Spiel, das allenfalls dank seiner ausgefeilten „augmented reality“ ein wenig echter anfühlt als ein herkömmliches Game.

Zum zweiten aber – und hierin liegt die Crux des Filmes – als unfreiwillige Beschreibung seiner Wirkung, als verräterische Anweisung ans werte Publikum: Wenn alles nur ein Spiel ist und die Heldinnen keinerlei Empathie für ihrer monströsen Gegner empfinden, dann besteht die Gefahr, dass such der Zuschauer dem Leben und Sterben der Mädchen, ihrem Leiden und der Auflehnung gegen ihr Geschick kaum echtes Interesse jenseits der reinen Schaulust entgegenbringen kann. „Dies alles war nie meine Geschichte“, sagt Babydoll an einer Stelle des Films. Und dem Zuschauer geht es ebenso. Es ist nur ein Spiel. Ein Traum. Kino eben. Oder ambivalenter ausgedrückt: Reines Entertainment, dessen polierte Oberfläche nur kurz darüber hinwegtäuschen kann, dass hier der alte patriarchale Geist herrscht, der die rotzige Selbstbehauptung der Kriegerinnen zur Projektionsfläche männlicher Sichtweise werden lässt.

Welchen Ausgang dieser Traum nimmt, das hat selbst Babydoll schon lange geahnt: „War ja klar, dass es so enden muss“, so ihr lakonisches Statement gegen Endes der gewaltigen Materialschlacht. Seinem Schicksal entkommt man anscheinend ebenso wenig wie der gnadenlosen Dramaturgie eines Zack Snyder. Zumindest dann nicht, wenn sich die heldenhaften Amazonen als Schachfiguren auf einem Spielbrett herausstellen, in denen andere (Männer nämlich) die Strippen ziehen.

Sucker Punch

Wenn die Realität unerträglich wird, dann hilft manchmal nur noch die Flucht in die Welt der Träume. Und welche Welt würde sich für eine Flucht besser eignen als die des Kinos oder in neuerer Zeit vielleicht die der Computergames, die drauf und dran sind, die Welt des Films als beherrschendes Eskapismusmedium abzulösen.
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Meinungen

Frankenbub · 20.04.2011

Das ist ja wohl der beste Film bisher im Jahr 2011! Genial! Ein Adio-visueller Genuss. Wer den Film schlecht findet hat ihn glaub ich ned kapiert oder sicher vorher einfach ned informiert. Glaube kaum das in dem Jahr noch was besseres kommt.

Chris · 09.04.2011

Das gute ist halt, das 95% der Leute, die den Film als schlecht ansehen, nicht das Potential entdecken das in ihm steckt. Es soll nicht tiefgehend sein, aber eindringlich. Snyder versucht hier mit vielen Effekten und Tricks die Leute aufmerksam zu machen, anders hört doch heutzutage keiner mehr hin...finde ich persönlich schade das hier gleich alles so niedergemacht wird...

DxC · 07.04.2011

Macht nix der Film is eh schlecht keine 8 Euro wert

@Unter mir · 03.04.2011

Nein, der Film ist ab 16, ob in Begleitung der Eltern oder ohne. Grüsse, Mike

FRAGER · 03.04.2011

ist der film ab 12 wenn einer einen Erziungsberechtigten dabei hat.

Johannes · 03.04.2011

ist der film mit einem Elternteil ab 12 ich bin 14 Jahre alt:

cristian777 · 31.03.2011

noch 6 tage und dann bin ich 16 :)) und dann darf ich dem film sehen

7tupel · 31.03.2011

Na das war vielleicht mal ein Film!
Ich habe den Film gestern abend (leider nicht im Bergerkino) in der Vorpremiere gesehen. Die Rahmenhandlung ist ziemlich gut und interessant. Zwischendurch kommt man aus einem Strudel von wilden Bildern überhaupt nicht mehr hinaus. Allerdings sind die Dialoge zumindest in der Deutschen Synchronisierung ziemlich schlecht - aber in OV ist das sicher besser.
Kurzum einer guter Mix aus knappen Mädels, Samurai, Nazis und Orks, also alles was ein total abgedrehter Aktionfilm braucht. 8/10 Punkten

Miley · 30.03.2011

Och wenn ich doch nur in den Film dürfte...
Bin doch schon 15!

??? · 30.03.2011

Der Film muss ziehmlich gut sein!

PP · 06.03.2011

Der Trailer hat schon alles, was man für einen guten Film braucht: sexy Protagonist, Verwirrung, gute Animationen, Action - und vom letzteren besonders viel.
Ich freue mich schon außerordentlich, den Film besuchen zu dürfen. Es wird wahrscheinlich ein Actionfilm mit platter Handlung, wie man ihn insgeheim doch so gerne sieht.