Suburra

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das finstere Herz von Rom

Über die Dekadenz der italienischen Hauptstadt ist viel geschrieben und gedreht worden — von Historienepen bis hin zu Politthrillern wie Paolo Sorrentinos Il Divo oder dessen Hymne an die depravierte Upper Class La Grande Bellezza. Stefano Sollima nähert sich der ewigen Stadt nun anders — von unten sozusagen. Im antiken Rom war „Suburra“ die Bezeichnung für das verrufene Stadtviertel unterhalb der Patrizierhügel, wo sich Senatoren, Gauner und Rotlicht-Volk trafen, um dunkle Geschäfte zu tätigen und auf verschiedene Weise miteinander zu verkehren.

In Stefano Sollimas Film Suburra nach einem Roman von Giancarlo de Cataldo und Carlo Bonini (auf deutsch erschienen als Suburra: Schwarzes Herz von Rom) wird ganz Rom zu einem Ort des Geschachers und des Austauschs von Gefällig- und Körperflüssigkeiten, der politischen, sexuellen und kriminellen Machenschaften, die in den sieben Tage vor dem Rücktritt der Regierung Berlusconi im November 2011 angesiedelt sind. Die Suburra hat sich im Rom der Gegenwart ausgedehnt und erstreckt sich quer durch alle Schichten und Viertel, sie ist ortlos geworden und zugleich allgegenwärtig.

In Suburra fließen verschiedene Handlungsstränge zusammen und ergeben so einen vielschichtigen Plot aus Korruption, Machtstreben, Verrat und Mord: Da ist beispielsweise der Politiker und Strippenzieher Filippo Malgradi (Pierfrancesco Favino), der wegen einer Sexaffäre mit Todesfolge unter Druck gerät. Weil die Leiche der minderjährigen Prostituierten diskret entsorgt werden muss, befindet er sich plötzlich in der Hand eines Kleinganoven, der seine Chance wittert, endlich groß rauszukommen. Zwar erledigt ein weiterer Anruf bei den entsprechenden Leuten auch dieses Problem, doch da hat die Affäre schon Kreise gezogen. Was wiederum den „Samurai“ (Claudio Amendola), einen Repräsentanten verschiedener Mafia-Clans, recht nervös macht. Denn schließlich soll der Parlamentarier Malgradi kurz vor dem sich abzeichnenden Rücktritt der derzeitigen Regierung noch ein Gesetz durchpeitschen, das Tür und Tor öffnet für ein großes Bauprojekt, mit dessen Hilfe Ostia in eine Art neues Las Vergas verwandelt werden soll. Das allerdings stößt auf den Widerstand des in dem Küstenort ansässigen Bosses, der natürlich auch seinen Anteil an dem milliardenschweren Geschäft abhaben will. Und dann ist da noch die vielköpfige Anacleti-Familie, die ebenfalls Wind bekommt von dem Coup und auch auf den Ausbau ihrer Macht drängt. Und über allem schwebt der noch geheime Entschluss des amtierenden Papstes, sich aus dem Amt zurückzuziehen und den Heiligen Stuhl zu räumen, dazu hängen schwere Regenwolken über der Stadt, die wie ein Zeichen der nahenden Katastrophe (die sieben Tage, über die sich die Handlung erstreckt, werden als Countdown zu einer Apokalypse benannt) ihre Fluten auf die ewige Stadt herabschicken.

Wie vor kurzem bekannt wurde, soll Suburra demnächst auch als zehnteilige TV-Serie ins Fernsehen kommen — und zwar als erstes italienisches Projekt für den Streaming-Riesen Netflix. Und ehrlich gesagt sieht man das dem Film bereits an: Die einzelnen Tage/Kapitel enden stets mit einer Einstellung, die in einem seriellen Format als nahezu perfekter Cliffhanger dienen könnte. Hinzu kommt eine verschlungene, auf mehreren narrativen Ebenen angeordnete und ungemein verschachtelte Handlung, die sich hinter Meilensteinen der Crime-Serie wie etwa der ersten Staffel von True Detective nicht verstecken muss.

Trotz dieser Charakteristika ist Suburra aber kein müder Abklatsch der gerade schwer in Mode gekommenen TV-Formate, sondern ein gelungenes Hybrid, dass die Vorzüge des großen Kinos und des seriellen Storytelling gelungen miteinander verbindet und Lust macht auf mehr: Große Panoramen, am Neo-Noir geschulte Farbgebung und Personenzeichnungen, dazu ein überlebensgroßer Score mit ausufernden Synthesizer-Teppichen und herrlich vertrackte Einfälle voller Überraschungen (wann sah man jemals einen Mafia-Boss als gestressten Familienvater, der die vielköpfige Brut einfach nicht zur Ruhe bringt) machen aus Suburra ein echtes Erlebnis. Und wer das Buch gelesen hat, weiß, dass für die geplante Serie noch reichlich erzählerische Substanz vorhanden ist, da ganze Handlungsebenen wie etwa die der ermittelnden Polizei und eines überaus charismatischen Staatsanwaltes in der Filmfassung noch keine Verwendung gefunden haben.
 

Suburra

Über die Dekadenz der italienischen Hauptstadt ist viel geschrieben und gedreht worden — von Historienepen bis hin zu Politthrillern wie Paolo Sorrentinos „Il Divo“ oder dessen Hymne an die depravierte Upper Class „La Grande Bellezza“. Stefano Sollima nähert sich der ewigen Stadt nun anders — von unten sozusagen. Im antiken Rom war „Suburra“ die Bezeichnung für das verrufene Stadtviertel unterhalb der Patrizierhügel, wo sich Senatoren, Gauner und Rotlicht-Volk trafen, um dunkle Geschäfte zu tätigen und auf verschiedene Weise miteinander zu verkehren.

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