St. Vincent (2014)

Eine Filmkritik von Laurenz Werter

Ganz und gar kein Heiliger

Es gibt die Art Kino, die sich zwar behaupteter (und mit Inbrunst vorgetragener) Probleme annimmt, die aber eigentlich nie einen Zweifel daran lässt, dass am Ende alles gut wird. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht das Ende, wie man schon im Best Exotic Marigold Hotel wusste. Bei St. Vincent endet man auch erst, wenn alles gut ist. Selbst der Nachspann unterstreicht dies noch, mit einem gute Laune versprühenden Bill Murray, der die Rolle des heiligen Vincent scheinbar gar nicht mehr loslassen will.

Dabei ist Vincent alles andere als ein Heiliger. Er ist ein alter Griesgram, der in einem heruntergekommenen Haus mit totem Rasen vor der Tür lebt, der für niemanden ein freundliches Wort übrig hat, der schimpft und zetert, als gäbe es kein Morgen. Kurz: Ein Mensch, den man eigentlich nicht kennen möchte. Aber die Nachbarin Maggie hat keine Wahl, denn irgendwie freundet sich ihr Sohn Oliver mit dem alten Griesgram an, auch wenn der sich das als Babysitter fürstlich entlohnen lässt. Es könnte also alles so schön und gut sein, wenn das Schicksal nicht anderes vorhätte. Maggie kämpft um das Sorgerecht für ihren Sohn und Vincent schon bald mit den Auswirkungen eines Schlaganfalls.

Wer nun glaubt, Bill Murray hätte hier die Gelegenheit, ein Behindertenporträt abzuliefern und sich so für die Oscars zu empfehlen, der irrt – zumindest ein bisschen. Denn die Episode mit seinem Schlaganfall und dem Weg zurück ins Leben gerät ausgesprochen kurz. Sie erscheint darum auch wie ein Fremdkörper im Film, wie eine Prüfung, die sich nicht das Leben, sondern der Drehbuchautor ausgedacht hat. Sicher, das gibt es alles im echten Leben, aber St. Vincent verströmt den Odem des Irrealen. Das liegt wohl auch daran, dass er in kürzester Zeit wieder auf den Beinen ist.

Das ist eine der eklatanten Schwächen des Films, der seinen Figuren nie weh tun will. Ja, er sorgt für große Probleme, aber sie alle lösen sich im Grunde in Wohlgefallen auf. Warum? Weil Wohlfühlkino das benötigt. Ein schöner Film, der muss das Herz erwärmen, der muss positiv sein, der muss ein Lebensgefühl transportieren. Was da nur stört, wäre die Unbilden des Lebens, die hier zwar vorhanden ist, aber nonchalant zur Seite gefegt wird. Dabei gibt es Momente echten Tiefgangs, wenn der Zuschauer – nicht jedoch die Menschen in seiner Umgebung – einen Einblick in das zerrüttete Dasein des Mannes erhalten, wenn sie sehen, wie er strampelt, um seiner an Alzheimer erkrankten Frau einen guten Heimplatz bezahlen zu können, wenn man ihn beim Scheitern betrachtet. Aber auch das kommt mit einer Leichtigkeit daher, die dem Stoff nicht unbedingt angemessen ist.

Sie ist es aber, die St. Vincent zum wohligen Film werden lässt. Natürlich ist er absolut manipulativ, aber das weiß man. Im Grunde will man das sogar. 100 Minuten geschöntes Leben, das braucht man manchmal auch.
 

St. Vincent (2014)

Es gibt die Art Kino, die sich zwar behaupteter (und mit Inbrunst vorgetragener) Probleme annimmt, die aber eigentlich nie einen Zweifel daran lässt, dass am Ende alles gut wird. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht das Ende, wie man schon im „Best Exotic Marigold Hotel“ wusste. Bei „St. Vincent“ endet man auch erst, wenn alles gut ist.

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Meinungen

Martin Zopick · 24.04.2023

Ein brummeliger, saufender, Frührentner, der sein bisschen Geld auf der Rennbahn verbrennt, wird zu einem liebenswerten Mitbürger und am Ende sogar noch ein ‘Heiliger des Alltags‘. Bill Murray spielt diese Figur überaus überzeugend mit etwas entwaffnendem Mutterwitz, wobei Ehrlichkeit von ihm durchaus als Verletzung des Gegenübers in Kauf genommen wird. So entstehen wohl dosierte Lacher aus normalen Alltagssituationen. Herrlich die beiden Frauen in seinem Umfeld: Mutter Maggie (Melissa McCarthy), die ihre überzähligen Funde stolz zur Schau trägt und die tanzende Nutte Daka (Noami Watts). Sie schafft mit ihrem russischen Akzent und dem rollenden ‘R‘ zusätzliche Wortkomik (‘Ich nicht mehr machen, ficken jetzt, zahlen später‘). Alle drei ‘betreuen‘ Maggies Sohn Oliver (Jaeden Lieberher). Und alle drei haben einen tragischen Aspekt in ihrer Biographie. Die alleinerziehende Maggie lebt in Scheidung und Daka ist schwanger. Vincent war im Vietnamkrieg und betreut liebevoll seine demente Frau im Pflegeheim.
Die Ordensverleihung am Ende an Vincent mag manchem gewöhnungsbedürftig erscheinen, ist aber wohl ein bekanntes amerikanisches Motiv. Man darf das einfach nicht so eng sehen.
Das alles zusammen macht die Qualität des Films aus. Diese ernsten Seiten berühren besonders wegen des Gegengewichts zur übrigen, rotzfrechen Komik, die sie umgibt. Daneben erleben wir aber auch jede Menge Unsinn und Spaß an der Freud‘ bis hin zum sinnfreien Abspann, in dem Bill einfach nur Bill ist. Er und der Gartenschlauch!
Ein Spaß, der mit seiner Offenheit berührt und mit seiner Lebensweisheit überzeugt.

Martin Zopick · 28.02.2023

Ein brummeliger, saufender, Frührentner, der sein bisschen Geld auf der Rennbahn verbrennt, wird zu einem liebenswerten Mitbürger und am Ende sogar noch ein ‘Heiliger des Alltags‘. Bill Murray spielt diese Figur überaus überzeugend mit etwas entwaffnendem Mutterwitz, wobei Ehrlichkeit von ihm durchaus als Verletzung des Gegenübers in Kauf genommen wird. So entstehen wohl dosierte Lacher aus normalen Alltagssituationen. Herrlich die beiden Frauen in seinem Umfeld: Mutter Maggie (Melissa McCarthy), die ihre überzähligen Funde stolz zur Schau trägt und die tanzende Nutte Daka (Noami Watts). Sie schafft mit ihrem russischen Akzent und dem rollenden ‘R‘ zusätzliche Wortkomik (‘Ich nicht mehr machen, ficken jetzt, zahlen später‘). Alle drei ‘betreuen‘ Maggies Sohn Oliver (Jaeden Lieberher). Und alle drei haben einen tragischen Aspekt in ihrer Biographie. Die alleinerziehende Maggie lebt in Scheidung und Daka ist schwanger. Vincent war im Vietnamkrieg und betreut liebevoll seine demente Frau im Pflegeheim.
Die Ordensverleihung am Ende an Vincent mag manchem gewöhnungsbedürftig erscheinen, ist aber wohl ein bekanntes amerikanisches Motiv. Man darf das einfach nicht so eng sehen.
Das alles zusammen macht die Qualität des Films aus. Diese ernsten Seiten berühren besonders wegen des Gegengewichts zur übrigen, rotzfrechen Komik, die sie umgibt. Daneben erleben wir aber auch jede Menge Unsinn und Spaß an der Freud‘ bis hin zum sinnfreien Abspann, in dem Bill einfach nur Bill ist. Er und der Gartenschlauch!
Ein Spaß, der mit seiner Offenheit berührt und mit seiner Lebensweisheit überzeugt.