Shut Up and Play the Hits

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Der erste Tag nach der letzten Show

„We fucking went out on a total fucking high“. Am Tag danach ist der Manager immer noch ganz weggeblasen vom perfekten Abgang auf der Höhe des Erfolges. Sein Gegenüber allerdings wirkt noch etwas desorientiert an seinem ersten Tag als Bandfrontmann-Frührentner. James Murphy scheint nicht so recht zu wissen, ob er erleichtert ist, weil es jetzt vollbracht ist, ob er trauern soll, weil es jetzt vorbei ist, oder ob er einfach nur müde ist von letzter Nacht. Da hat er sein musikalisches Baby im ausverkauften New Yorker Madison Square Garden zu Grabe getragen. Sein Band-Projekt LCD Soundsystem ist nach zehn erfolgreichen Jahren eines angekündigten Todes gestorben: letztes Album im Mai 2010, letzter Fernsehauftritt am 14. Februar 2011, letztes Konzert am 02. April 2011. Ein wohl kalkulierter Abgang. Eine kluge Entscheidung?
Shut Up and Play the Hits verewigt den letzten Auftritt von James Murphy’s LCD Soundsystem vor 20.000 Fans. Damit gehört der Dokumentarfilm von Dylan Southern und Will Lovelace in die Reihe der Letzte-Konzerte-Filme, deren berühmtestes Beispiel Martin Scorseses The Last Waltz von 1978 ist, mit dem er The Band ein filmisches Denkmal setzte. Der Dokumentarfilmer D.A. Pennebaker legte schon 1973 mit Ziggy Stardust and the Spiders from Mars vor. Damals hat David Bowie auf der Bühne den Abgang seines Alter Ego Ziggy Stardust zelebriert, diese Tatsache allerdings erst kurz vor Ende der Show auch verkündet: „Not only is this the last show of the tour, but it’s the last show that we’ll ever do“. Die entsetzten Schreie der Fans sind legendär.

David Bowie gehört explizit zu den musikalischen Helden des 1970 in New Jersey geborenen James Murphy. Das Mastermind von LCD Soundsystem sang in Punkbands und legte Platten auf, bevor er 2001 sein elektronisches Dance-Punk Projekt ins Leben rief. Treibende elektronische Rhythmen kombiniert mit dreckigen Gitarren und viel Keyboard, dazu Murphy’s Gesang, mal polternd mal croonend, eine hypnotische Dance-Orgie mit Punk-Seele.

In den fulminanten Konzertausschnitten in Shut Up and Play the Hits ist alles dabei, von der ersten Single „I’m Losing My Edge“ über „All My Friends“ und „North American Scum“ bis „Dance Yrself Clean“ und „Drunk Girls“. Spike Jonze, der für letzteren Song das Music Video drehte, hat während des Konzerts eine Kamera übernommen. Die Bilder überzeugen, wirklich herausragend jedoch ist der Ton. Murphy selbst hat am Soundmix des Films mitgewirkt, mit dem Ziel, dass die Songs maximal aus den Boxen blasen – was sie auch wirklich tun. Als Konzert-Gäste sind u.a. auch Mitglieder von Arcade Fire mit auf der Bühne und als Murphy zwischen den Songs redet, brüllt Win Butler „Shut up and play the hits!“.

Der Reiz von Shut Up and Play the Hits als Dokumentarfilm liegt allerdings genau in der Tatsache, dass sich der Film nicht auf die Musik beschränkt, sondern Murphy auch zu Wort kommen lässt und vor allem die laute Show immer wieder mit dem stillen Alltag am Tag danach kontrapunktiert. Wenn sich James Murphy zerknautscht aus dem Bett schält und erst mal mit seiner Französischen Bulldogge Gassi geht, sich rasiert, Kaffee kocht, vor sich hin starrt, als wüsste er gar nicht, was er jetzt mit dem Tag, mit dem Rest des Lebens anfangen soll. Und dann loszieht durch die Stadt, zum Manager, zum abgestellten Band-Equipment, den Zeugen seines alten Lebens, aus dem er einfach ausgestiegen ist.

Warum eigentlich? Darüber spricht er mit dem New York Times Journalisten Chuck Klosterman, der Murphy eine Woche vor dem Abschiedskonzert interviewt hat und Fragen stellt, die ihn nachdenklich werden lassen. So erhält Shut Up and Play the Hits eine reflektierende, geschickt größtenteils im Off eingewebte Ebene, auf der es nicht nur um Musik, seine Karriere und seine Entscheidung, sie auf dem Höhepunkt zu beenden, geht. Sondern auch darum, älter zu werden, sich um seine Gesundheit zu sorgen und über Kinder, Kaffee kochen und ein ganz normales Leben nachzudenken.

Was der größte Fehler seiner Karriere gewesen sei, will Klosterman wissen. Zögernd äußerst Murphy die Angst, dass sich die Entscheidung aufzuhören als sein größter Fehler herausstellen wird. Sollte es so sein, dann bleibt ihm ja immer noch die Möglichkeit, sich wie Bowie neu zu erfinden und wieder auf die Bühne zu steigen. Oder einfach das LCD Soundsystem wieder auferstehen zu lassen. Mit den Regisseuren Dylan Southern und Will Lovelace kennt er nämlich auch schon zwei Spezialisten für Dokumentarfilme über Band-Reunions. Mit No Distance left to Run haben die beiden 2009 die Wiedervereinigung von Blur dokumentiert.

Shut Up and Play the Hits

„We fucking went out on a total fucking high“. Am Tag danach ist der Manager immer noch ganz weggeblasen vom perfekten Abgang auf der Höhe des Erfolges. Sein Gegenüber allerdings wirkt noch etwas desorientiert an seinem ersten Tag als Bandfrontmann-Frührentner. James Murphy scheint nicht so recht zu wissen, ob er erleichtert ist, weil es jetzt vollbracht ist, ob er trauern soll, weil es jetzt vorbei ist, oder ob er einfach nur müde ist von letzter Nacht. Da hat er sein musikalisches Baby im ausverkauften New Yorker Madison Square Garden zu Grabe getragen.
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