Selma

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Politisches Drama erfährt deutsche Home Entertainment Premiere

Mit seinem Budget von „nur“ rund 20 Millionen Dollar, seinem umfangreichen, engagierten Hauptensemble und seiner gewaltigen Anzahl von Statisten zum großen Teil an Originalschauplätzen in den USA gedreht, mit seinem effektvoll-emotionalen, schließlich unter anderem mit einem Oscar prämierten Titelsong „Glory“ angereichert und auf Grundlage seines sorgfältig recherchierten, historisch bedeutsamen Themas stellt Selma einen signifikanten US-amerikanischen Film der Superlative dar.

Seit der diesjährigen Verleihung der Academy Awards im vergangenen Februar, für welche das biographisch geprägte Drama über eine ganz besonders bedeutsame persönliche wie politische Phase im Leben des Bürgerrechtlers Dr. Martin Luther King jr. (1929-1968) zweifach nominiert wurde, gab es etliche private wie öffentliche Empörungen ob der in diesem Rahmen als rudimentär empfundenen Berücksichtigung. Es gehört auch zur längst nicht abgeschlossenen Rezeptionsgeschichte dieses Films, der nun mit reichlich wertvollem Bonusmaterial bei Arthaus auf Blu-ray (und DVD) erscheint, dass seine inhaltlichen, formalen und auch filmhistorischen Qualitäten diesen Reaktionen zufolge von der mächtigen Autorität der Academy Awards nicht ausreichend gewürdigt wurden.

Erst 47 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod erscheint mit Selma ein ausführlicher Spielfilm über Martin Luther King jr., inszeniert von der aus Kalifornien stammenden Filmemacherin Ava DuVernay, graduierte Absolventin des interdisziplinären Studiengangs African American studies und als farbige Frau persönliche wie professionelle Expertin für afroamerikanische Ausrichtungen auf Territorien wie Literatur, Politik, Religion und Sozialwissenschaften. Der Umstand, dass eine Person mit ihrem Bewusstsein und ihrer Bildung in Kooperation mit dem Drehbuchautor Paul Webb alias Corcoran und populären Produzenten wie Oprah Winfrey und Brad Pitt dieses Projekt nun endlich trotz einiger Widerstände der Hollywood-Industrie realisiert hat, stieß bei Publikum und Kritikern auf derart positive Resonanz, dass die Enttäuschung über die kargen Oscar-Nominierungen auch Ausdruck des Unmuts gegenüber dem sturen US-amerikansichen Filmgeschäft darstellen, das auf diese Weise nicht zuletzt wichtige Protagonisten und Aspekte der eigenen Geschichtsschreibung marginalisiert. Ein Phänomen, das nicht selten innerhalb dieser Mainstream-Sektion zu beobachten ist, deren Machtorgan Academy Awards im Übrigen in der Regel lediglich von zwei Prozent Schwarzen und Hispanics repräsentiert wird, wie Selma-Hauptdarsteller David Oyelowo illusionslos bemerkt, in einem Interview auf die Gründe für seine nicht erfolgte Oscar-Nominierung als „Bester Schauspieler“ angesprochen.

Unter Einbeziehung dieser und zahlreicher weiterer Komponenten bezüglich der Hintergründe und Wirkungen dieses opulent angelegten Spielfilms gerät die akribische Analyse desselben überwiegend außerhalb des üblichen Fokus der Filmkritik, die ihre mitunter scharfkantigen Methoden bereitwillig zuliebe der bedeutsamen Absicht, Umsetzung und möglichst ausführlichen positiven Rezeption des Films wohlweislich stutzt. In der Tat ist Selma vor allem auch in Kombination mit begleitenden Zusatzinformationen bestens geeignet, als eine Art fiktiver, berührender Lehrfilm zu seinen Themen zu fungieren, was beispielsweise von einigen Lehrern weltweit bereits in Form von entsprechenden Einsätzen als Unterrichtsmaterial und darüber hinaus genutzt wurde.

Ob es bei intensiven Filmen mit enormem emotionalem wie kognitivem Effektpotenzial für den Zuschauer generell eine Rolle spielt, ob sie auf authentischen Begebenheiten basieren, bedarf einer umfangreichen Untersuchung. Im Falle von Selma als historischer Spielfilm einer afroamerikanischen Regisseurin über das Terrain der Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King jr. mit seinen ganz speziellen Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen jedoch dominieren diese verständlicherweise über eine puristische, isolierte Analyse, was keineswegs Schlüsse über die Qualität des Films zulässt, die hier ohnehin vielschichtig in den unterschiedlichsten Details und Konstellationen zu verorten ist.
 

Selma

Eine Welle an Liebe und Sympathie hat „Selma“ in den USA ausgelöst. Zu Recht und verständlicherweise, denn „Selma“ kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, wenn man die rassistischen Auswüchse der letzten Monate betrachtet. Man wird das Gefühl nicht los, dass „Selma“ gleich zwei Funktionen erfüllen will und muss: ein biographisch-historisches Porträt des Dr. Martin Luther King (David Oyelowo) und eine Mahnung den Kampf um Gleichberechtigung weiter zu kämpfen. Und zwar gewaltlos.

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